Die Sphinx in Trauer. Max Kretzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Kretzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711502785
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so daß der Junge zu weinen begann. Er fühlte sich beleidigt und ging wimmernd von mir fort, begleitet von dem kreischenden Papagei, den man unsanft angefaßt haben mußte.

      „Aber so hör’ doch, was Muttchen sagt“, versuchte ihn Sophie zu beruhigen. „Das Tier könnte ja krank werden, und dann wir andern auch.“

      „Wovon denn? Mein liebes, gutes Väterchen tut doch keinem was.“

      „Ach, das verstehst du noch nicht. Das brauchst du auch nicht. Du mußt nur gehorsam sein.“

      Sie zog ihre Stimme beim Sprechen, so daß ihre Worte unendlich gleichmäßig vorkamen. Ich stellte mir wieder ihre Verschlossenheit vor, mit der sie den ganzen Tag emsig herumging, nur um ihre Arbeit zu verrichten und einsilbig zu antworten. Sie sagte nie zu viel, sprach aber stets treffend und sicher, was von der Schärfe ihres Verstandes zeugte.

      Ich dachte, sie würde noch einmal zu mir zurückkehren, um mich allein zu betrachten, aber sie blieb im Nebenzimmer, dessen Tür noch immer geöffnet war. Ich hielt sie plötzlich für roh, bis ich mir einredete, sie könnte schon vor meinem Lager gestanden haben, ohne daß es mir bewußt gewesen wäre.

      Anton hatte sich mit demütigen Beileids- und Dankesbezeigungen verzogen. Dann begann meine Frau wieder: „Haben Sie den Brief abgegeben, Sophie?“

      „Ja, Frau Doktor. Eine Dame öffnete und sagte nur, daß es gut sei.“

      „Schön.“

      Sie wollte noch etwas hinzufügem, brach aber ab. Nach einer Pause fuhr sie fort: „Nun gehen Sie schnell aufs Telegraphenamt, und dann gehen Sie gleich ins Handschuhgeschäft mit heran. Es wird bis dahin auf sein. Ich habe keine schwarzen mehr. Bringen Sie mir gleich zwei Paar mit Sechseinviertel — kurze Finger … Hans, du kannst mitgehen, zieh’ dich rasch an!“ rief sie dann lauter. „Die Luft wird dir auch gut tun. Sophie wird dir helfen.“

      Der Junge wollte nicht. „Ich gehe mit Sophie nicht gern“, gab er aus einem Nebenraum zurück. „Ich bleibe lieber hier.“

      Die Mutter fuhr ihm laut über den Mund. „Wirst du wohl! — Wenn du nicht folgst, sperre ich dich im Sterbezimmer ein.“

      Davon wollte der Junge nichts wissen. Ich merkte seiner Gegenrede die Angst an, die diese fürchterliche Drohung in ihm hervorrief. Sofort kam er bittend angeschlichen, und die Worte „Muttchen, liebes Muttchen, hab’ mich doch lieb“, perlten wie süße Schmeicheleien über seine Seele, wie immer nach derartigen kleinen Zänkereien.

      Mit Sophie ging er allerdings nicht gern, weil sie für sein übermütiges Geplauder kein Verständnis hatte. Sie war zu wortkarg, was Kinder nicht vertragen können.

      „Nun spute dich, Sophie kann dir auch einen Windbeutel kaufen.“

      Er trampelte laut auf, immer ein Zeichen seines erwachenden Vergnügens, was ihm aber diesmal die Mutter mit einem raschen Zwischenruf verbot.

      Trotzdem hielt Irma die beiden noch zurück. „Sehen Sie doch mal, Sophie,“ begann sie wieder, „steht mir der Trauerhut noch?“

      „Vortrefflich. Frau Doktor halben sich ihn wohl umarbeiten lassen ?“

      „Es ist noch der alte vom Begräbnis meines Onkels.“

      „Wie lange sich doch so ’n Hut halten kann, Frau Doktor.“

      „Man trägt ihn ja doch nur bei Gelegenheiten. Die Fasson ist jetzt wieder in Mode! Sie wissen doch — ich ließ ihn mir vor zwei Monaten neu garnieren, als Frau Theiß gestorben war. Dann konnte ich doch nicht mitgehen, weil ich erkältet war. Auch das Kleid ließ ich mir extra anfertigen.“

      „Ja, ich entsinne mich, Frau Doktor. Es sitzt Ihnen noch wie angegossen.‘

      „Ich kann mich also drin sehen lassen?“

      „Aber Frau Doktor! Ihnen sitzt eigentlich alles. Sie haben die Figur danach.“

      Abermals trat ein Pause ein. Dann sagte Irma wieder seufzend: „Wer hätte das gedacht, daß ich das nun noch alles verwenden könnte.“

      „Sie müssen sich trösten, Frau Doktor“, gab Sophie zurück. „Es ist ja doch nur alles Bestimmung im Leben. Wie’s kommen soll, so kommt’s.“

      „Meinen Sie? Sie haben immer eine Entschuldigung bereit. Darin bewundere ich Sie.“

      „Das ist eine Art Selbsttäuschung, Frau Doktor, und das beruhigt. Wir Frauen sind ja nun doch einmal die Stärkeren, weil wir zäher sind.“

      „Wie kommen Sie denn gerade darauf?“

      Ihre weinerliche Stimmung war verschwunden, die sonderbare Unterhaltung hatte ihr wieder Festigkeit gegeben.

      „Wie man so darauf kommt, Frau Doktor … Ich wollte, ich wäre Witwe.“

      „Ach, reden Sie doch kein dummes Zeug.“ Ein kurzes Lachen begleitete die Worte, das aber sofort unterdrückt wurde. „Beinahe hätte ich ganz vergessen, wie mir zumute ist. Sie sind aber manchmal komisch in Ihren Äußerungen.“ Die Neugierde hatte sie aber stark gereizt, und so fuhr sie denn nach einem Weilchen fort: „Weshalb hätten Sie diesen Wunsch, Sophie?“

      „Na, eine trauernde Braut ist doch nichts. Danach haben sich die Männer nicht mehr. Bei einer Witwe ist das ganz was anderes.“

      „Gehen Sie nur jetzt!“ Es klang hart und abweisend, als wollte sie dieses Gespräch nicht weiter fortsetzen,

      Während der ganzen Zeit arbeitete mein Vorstellung lebhaft. Ich glaubte beide im Zimmer herumgehen zu sehen, sah ihre Gesichter, ihr Mienenspiel — den ganzen Ausdruck dieser beiden so verschiedenen Wesen, die im Innersten vielleicht gar keine Berührungspunkte hatten, die sich aber doch zueinander hingezogen fühlten, geschieden nur durch eine Schranke, die die Herrin von der Dienerin trennt.

      Es hatte wieder geklingelt, aber schwach und zaghaft. Ein verspäteter Patient wurde abgewiesen. Es war ein Arbeiter, den ich an diesem Vormittag zu mir bestellt hatte, um ihm einen Schnitt in die Finger zu machen, und der nun, um eine Hoffnung ärmer, von dannen ziehen mußte.

      Alles dies hörte ich jetzt aus der Küche hereinschallen, wo Lina sich sehr laut mit Anton unterhielt. Dann verstummte auch dieses Gespräch. Jeder Laut erstarb im Hause. Es herrschte sonntägliche Stille.

      5.

      Ich weiß nicht, wieviel Zeit verging, als eine männliche Stimme im Nebenzimmer erschallte, die ich für die eines fremden Arztes hielt. Ich konnte nicht mehr verstehen, was gesprochen wurde, denn sie schien sich am Fenster zu befinden. Nur die Lebhaftigkeit meiner Frau fiel mir auf. Die Unterhaltung näherte sich dann und wurde an meinem Lager fortgesetzt, nachdem die unteren Fenster zugeschlagen waren.

      „Da sieh ihn an, so ist er gestorben“, sagte Irma. „Kennst du ihn wieder?“

      „Aber Dummchen, wie kannst du so fragen?“

      Es war die Stimme eines Mannes, die ich nie zuvor gehört hatte, die aber einen kräftigen Wohllaut besaß, so daß ich auf Jugend schloß. Ich wußte nicht wie er aussah, ob er groß, klein, hübsch oder häßlich war, aber meine unheimliche Eingebung sagte mir, daß die äußeren Eigenschaften jedenfalls überwiegen würden. Parfüm strömte von ihm aus, ein Duft von Heliotrop, der sofort das Zimmer füllte. Er schien das Taschentuch zu schwenken, denn die Luftwellen führten mir den Duft zu.

      „Ich ihn nicht wiedererkennen, deinen lieben, guten Männe“, fuhr er fort.

      „Ich bitte dich um alles in der Welt, laß jetzt deinen Spott.“

      „Aber ich spotte doch nicht, Liebe. So hast du ihn doch immer genannt.“

      „Doch tust du es, ich merke es dir an. Alfred, ich bitte dich, achte meine Gefühle. Er war der beste Mensch, der Vater meines Kindes.“

      „Alles Dinge, die du mir zu oft gesagt hast, als daß ich sie vergessen haben sollte“, kam es ihm unwillig über die Lippen. „Du weißt doch, daß er nicht gerade