Sandra Halbe, Jahrgang 1985, wurde im Sauerland geboren. Sie entpuppte sich schon früh als Leseratte und entdeckte ihre Liebe zum Schreiben. Nach ihrem Studium in Köln, Aix-en-Provence und Newcastle zog sie zunächst nach Wiesbaden. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Bad Laasphe, einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen an der Grenze zu Hessen.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
© 2020 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: mauritius images/Jochen Tack/Alamy
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzeptvvon Leonardo Magrelli und Nina Schäfer
Umsetzung: Tobias Doetsch
Lektorat: Christiane Geldmacher, Textsyndikat Bremberg
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-96041-682-1
Originalausgabe
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Dieser Roman wurde vermittelt durch
die Leselupe-Literaturagentur, Wachtendonk.
… da ist meine Heimat, da bin ich zu Haus.
Wittgensteiner Heimatlied,
Walter Birkelbach, 1940
1
Sonntag
»Caro, Essen ist fertig! Bist du so weit?«, höre ich meine Mutter aus der Küche rufen.
»Ja, gleich«, murmele ich.
»Caro?«
»Gleich!«, antworte ich gereizt, diesmal so laut, dass sie mich hört. Ich starre weiter auf meine nicht ausgepackten Koffer auf dem Boden. Den ganzen Vormittag habe ich nichts anderes gemacht.
In meinem Zimmer hier in Bad Laasphe hat sich so gut wie nichts verändert: Mein Bett steht an der Wand, meine Mutter hat es frisch bezogen, als ich ihr sagte, dass ich herkomme und eine Weile bleibe. Darüber hängt ein Regal mit ein paar Jugendbüchern, die ich beim Auszug vor drei Jahren nicht mitgenommen habe. Mein Schreibtisch ist ebenfalls noch da. Nur der Laptop und diverse Unterlagen sind verschwunden. Und an der Wand gegenüber vom Bett steht mein Kleiderschrank. Leer.
Die Koffer warten nur darauf, ausgepackt zu werden. Ich kann es nicht. Ich habe Angst, einen Stromschlag zu bekommen, wenn ich versuche, die Dinger zu öffnen. Meine Mutter meldet sich erneut aus der Küche. Also gehe ich zu ihr. Vielleicht tun die Koffer mir ja den Gefallen und lösen sich in Luft auf, bis ich wieder in meinem Zimmer bin.
»Du isst ja gar nichts«, beschwert meine Mutter sich.
»Ich habe keinen Hunger«, gebe ich zurück und lasse das Besteck sinken.
»Willst du lieber ein Eis?«
Bevor ich überhaupt Zeit habe zu antworten, springt sie schon auf und öffnet das kleine Gefrierfach. »Ich bin so froh, dass du wieder hier bist«, sagt sie.
Den Becher mit dem Spaghettieis vor mir, bringe ich es nicht übers Herz, sie wieder vor den Kopf zu stoßen. Also esse ich langsam meinen Nachtisch, während sie mich anstrahlt.
»Ich muss gleich zur Arbeit. Kommst du zurecht?«
»Natürlich. Ist ja nicht so, als wäre ich zum ersten Mal hier.«
»Ruf mich an, wenn du was brauchst.«
»Mama, ich bin achtundzwanzig Jahre alt und habe lange genug alleine gewohnt. Ich komme schon klar.«
Sie nickt, auch wenn der beunruhigte Ausdruck in ihren Augen nicht verschwinden will.
Ich bin nicht freiwillig nach Laasphe zurückgekehrt. Seit drei Jahren arbeite ich als Kommissarin beim BKA in Wiesbaden. Nach meiner Polizeiausbildung habe ich alles unternommen, um dort zu landen. Ich wollte die ganz großen Fische fangen, anstatt mich mit Kneipenschlägereien zu befassen. Ich wollte weg vom Land und rein ins Großstadtleben. Natürlich habe ich meine Mutter immer mal wieder besucht. Sie richtete mir dann mein Zimmer hier in der Ostpreußenstraße her und tat alles dafür, dass ich mich wohlfühlte. Aber nach allem, was passiert ist, bin ich nie hierhergekommen, um zu bleiben.
Dieses Mal ist es anders. Die Koffer, die ich mitgebracht habe, sind riesig. Darin befindet sich mehr Gepäck, als für einen obligatorischen Wochenendbesuch nötig wäre. Meine Mutter macht sich ständig Sorgen, dieses Mal allerdings mit gutem Grund. Ich bin suspendiert. SUSPENDIERT! Das einzige Wort, das dauernd im Kopf widerhallt und das sich als Klumpen in meinem Magen festgesetzt hat. Seit Tagen kann ich nichts essen. Mein Chef hat es netter formuliert: Ich sei bis auf Weiteres beurlaubt. Das Ergebnis ist das gleiche: Ich bin vom aktiven Dienst enthoben.
Aus einer Laune heraus habe ich meine Mutter angerufen und ihr davon erzählt. Von der Beurlaubung. Allerdings habe ich ihr weisgemacht, dass ich es sei, die sich freigenommen habe. Was genau vorgefallen ist, muss sie nicht wissen. Sie würde verrückt werden vor Sorge. Ich habe sie lediglich gefragt, ob es ihr recht sei, wenn ich für eine Weile nach Hause komme. Sie war begeistert. Bis sie mich heute Morgen gesehen hat. Seitdem hat sie diese Falte auf der Stirn. Sie weiß, dass ich nicht freiwillig hier bin. Und ich habe meine Meinung inzwischen wieder geändert: Es war ein Fehler. Ich will zurück nach Wiesbaden. Und zwar jetzt. Während meine Mutter bei der Arbeit ist, werde ich die Koffer in mein Auto schleppen und wieder abreisen. Sie wird aus allen Wolken fallen, wenn sie wieder zu Hause ist. Eine passende Erklärung werde ich mir auf dem Rückweg überlegen. Ich weiß nicht mehr, was mich geritten hat, hierherzukommen. Jetzt fühlt es sich falsch an.
In diesem Moment klingelt mein Handy, und mein Chef ist am Apparat.
2
»Hallo, Caro«, begrüßt er mich.
»Dennis!«, rufe ich aus. Mein Herz fängt an zu rasen. »Ich habe noch nicht mal ausgepackt. Wenn du mich brauchst, mache ich mich sofort auf den Rückweg.«
»Du weißt, dass das nicht möglich ist nach allem, was passiert ist.«
Das Mitleid in seiner Stimme zeigt an, wie verzweifelt ich geklungen haben muss. Ich räuspere mich. »Was kann ich für dich tun? Ich bin gut angekommen, wenn du das fragen wolltest«, sage ich eine Spur resignierter.
»Ich rufe trotzdem an, weil ich dich brauche«, fährt er unbekümmert fort, ohne auf meinen Kommentar einzugehen. »Sagt dir der Fall Robert Hellmar etwas?«
»Klar«, bringe ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Das ist der letzte Fall, an dem mein Vater gearbeitet hat.«
»Der Kriminalhauptkommissar in Bad Laasphe hat mich um Unterstützung gebeten. Da ist es doch perfekt, dass du in der Gegend bist.«
»Ich verstehe nicht. Hellmar sitzt seit einer Ewigkeit im Gefängnis. Was gibt es da für mich zu tun?«
»Die genauen Details kenne ich nicht. Am besten fragst du das alles, wenn du vor Ort bist. Du hast heute Nachmittag um fünfzehn Uhr einen Termin auf der Polizeiwache.«
»Aber du hast mich doch beurlaubt«, gebe ich zu bedenken.
»Bist du mit meiner Entscheidung zufrieden?«
»Nein, aber …«
»Eben. Der zuständige Beamte vor Ort hat nach dir gefragt. Also sagen wir, ich lege den Begriff Beurlaubung großzügig aus. Dein persönlicher Bezug zu diesem Fall wird uns hilfreich sein, denke ich. Alle Informationen bekommst du heute Nachmittag von deinem Kollegen.«
Nachdem wir uns verabschiedet haben, lasse ich das Handy langsam sinken. Alles in mir rebelliert gegen diesen Auftrag. Ich habe in der Tat einen