In Live-Rollenspiel als Erzählform geht Daniel Steinbach der Frage nach, inwieweit Larp als Literatur zu verstehen ist und welche Analysemöglichkeiten sich ergeben, wenn man Larp als Text betrachtet. Er erläutert wesentliche Grundbegriffe der Erzähltheorie und wendet literaturwissenschaftliche Theorien und Methoden auf Live-Rollenspiel an, mit dem Ziel, das Erzählen von Geschichten durch Live-Rollenspiel besser zu verstehen und vielleicht auch besser zu machen.
Auch Ruth B. macht in Theater und Larp – Warum das zusammen gehört! Vorschläge, wie sich Larp durch die Techniken anderer Künste verbessern ließe. Ausgehend von ihrer Arbeit als Theatermacherin einerseits und Larp-Veranstalterin andererseits berichtet sie, wie sich die beiden Bereiche durch gegenseitige Anleihen besser und intensiver gestalten lassen. Sie plädiert – nicht immer ganz ernsthaft – dafür, beides zusammen zu denken und hemmungslos beieinander abzuschauen. Dabei plaudert sie aus dem Nähkästchen langer Jahre praktischer Erfahrung.
Gerke Schlickmann blickt in „Wir müssen über SIGNA reden“ – Larp und Performance-Installationen auf Probleme in der Erfassung neuerer Formen der Theater- und Performance-Kunst und eröffnet mögliche praktische und theoretische Lösungen aus der Sicht von Larp. Anhand der SIGNA-Arbeit Wir Hunde macht Schlickmann deutlich, wie fruchtbar eine Verbindung von gegenwärtiger Performance-Kunst und Larp sein kann – sowohl für Performance-Installationen als auch für Larp.
Carsten Herbst reflektiert Partizipation aus Spielleitersicht in „They have … what?!“ Atmosphere and Storytelling in Larps. „Spieler haben immer Recht“, so lautet die These, und Herbst liefert neben handfesten Beispielen aus seiner Erfahrung als Halloween-Spielleiter auch eine Reihe von gestalterischen Grundprinzipien, wie Immersion durch Partizipation erreicht werden kann.
Katharina und Marius Munz zeigen, wie auch erfahrene Spieler_innen sich weiterhin von Larp verzaubern lassen können, wenn sie teil haben an der Gestaltung von Prozessen, Strukturen und Inhalten eines Larp. Der Beitrag Mittendrin statt nur dabei. Oder: Warum Partizipation im Larp wichtig ist schildert aus Spielleiterperspektive, wie psychologische Mechanismen der passiven Konsumentenhaltung mittels Partizipation verändert werden könnten, um allen Spieler_innen mehr Freude am Rollenspielen zu ermöglichen.
In diesem Sinne wünschen wir vielfältige Anregungen und viel Vergnügen mit dem vorliegenden Band,
Rafael Bienia und Gerke Schlickmann
Órla Fiona Wittke
GRENZEN ÜBERTRETEN
GEDANKEN ÜBER PARTIZIPATION, COMPUTERSPIELTHEATER UND LIVE-ROLLENSPIEL
Attention, you‘re about to enter the game!
Das Licht geht aus, der Vorhang öffnet sich. Still und unauffällig sitzt das Publikum auf den samtig roten Theatersesseln. Ein Lachen, ein Schluchzen, manchmal hustet jemand. Das Geschehen auf der Bühne ist fokussiert, oft hell erleuchtet, dadurch scheinbar abgegrenzt vom Publikumsraum. Doch ein Austausch ist in Form von Reaktionen im Publikum und der Wahrnehmung dieser durch die Schauspieler_innen pausenlos präsent, die Existenz einer vierten Wand ist deshalb eine Illusion. Nun endlich der Applaus, das Licht geht wieder an, die Schauspieler_innen verbeugen sich, lassen sich noch eine Weile beim Ab- und wieder Aufgang auf die Bühne feiern und schließlich verschwinden sie. Die Wege trennen sich. Das Publikum reibt sich die Augen, manche flüstern, andere sagen noch nichts, um den Zauber der eben erlebten Aufführung noch etwas länger aufrechtzuerhalten, den Moment auszukosten, langsam wieder ins Hier und Jetzt zurückzufinden.
Voilà – das allseits bekannte Theater. Ziemlich klassisch, das Publikum augenscheinlich passiv, lediglich aufnehmend. So war es schon im 18. und 19. Jahrhundert üblich, so wirkt es bis heute nach. Jedenfalls in der traditionellen Bühnensituation mit einer physischen Abgrenzung von Bühne und Zuschauerraum.
Zur Zeit der Klassik und Aufklärung stand die erzieherische Funktion des bürgerlichen Theaters im Vordergrund. Eine klare Dramaturgie, möglicherweise „die Moral von der Geschicht‘“ fein säuberlich zwischen den Zeilen des auf der Bühne gesprochenen Textes verpackt. Das Theater als Bildungsstätte, die Zuschauer_innen von gutem Stand, aufnahmewillig und an der Selbstpräsentation im öffentlichen Raum interessiert.
Ein paar hundert Jahre später leben wir im sogenannten ‚post-digitalen Zeitalter‘. Der öffentliche Raum: digitalisiert. Facebook, Twitter, Instagram – die Möglichkeit zur Selbstpräsentation ist so omnipräsent wie nie. Wir ‚liken‘, ‚sharen‘ und ‚haten‘, was das Zeug hält, es gibt kaum Grenzen innerhalb des World Wide Web. Aber was ist eigentlich noch ‚wirklich da‘? Und was nur imaginiert oder philosophiert? Was wird von uns zur Wirklichkeit gemacht und ist doch eigentlich unfassbar? Wer ist heute noch wirklich in der Lage, eine Grenze zwischen Realität und Fiktion zu ziehen? Und gerade diese Fiktion ist doch so wichtig für uns. Um dem Alltag zu entfliehen, der – getrieben vom Konsum – immer hektischer und stressiger wird. Der trotz oder gerade wegen der sozialen Netzwerke und ihres großen Einflusses auf uns immer unpersönlicher wird, die Privatsphäre von Smartphone und Smart-TV ausradiert, die Identität an diverse Plattformen verkauft.
Stop.
Gebt mir mein ‚Ich‘ zurück. Ich möchte es wieder selbst in die Hand nehmen und formen, wie ich will. Nicht, wie Ihr wollt und es mir mit Werbung und mithilfe ominöser ‚Cookies‘, die scheinbar auf mich und meine Interessen abgestimmt sind, vorschreiben wollt. Wer seid Ihr überhaupt? Für wen sprecht beziehungsweise arbeitet Ihr? Gibt es Euer allgemeines Publikum überhaupt? – Ich aber will meine Geschichte wieder selbst bestimmen und Einfluss darauf haben. Mitbestimmen, wie das Märchen ausgeht, und tatsächlich etwas sagen dürfen. Ich will mir selbst meine Rolle in der Welt aussuchen und spielen, wie ich will. Und ich will eine Heldin sein und mit meinem Vampir-Zombie-Superschurken-Team diese Welt retten. Gebt mir die Chance, mich auszuprobieren, und das Gefühl, wichtig zu sein. Gebt mir alle Freiheiten, die tatsächlich nur von den Grenzen der Realität eingeschränkt werden und dann doch so leicht mit unserer Phantasie zu durchbrechen sind. Und gebt mir einen sicheren Raum, wo ich das alles erleben und ausprobieren kann. Gebt mir das Theater.
Weiter.
Schon vor Jahrzehnten formten sich mit Happenings und Performances partizipative Alternativen zum klassischen Theater. Der Drang nach politischen Diskussionen und der Möglichkeit der Mitbestimmung hält sich über die Jahre bis heute, ist noch weiter geformt, verändert, modifiziert worden und vielleicht sogar gerade jetzt wichtiger denn je für einen sozialpolitischen Diskurs innerhalb der Gesellschaft. Neben den atemberaubenden Performance-Installationen à la SIGNA und Thomas Bo Nilsson1 gibt es noch eine Vielzahl anderer immersiver Theaterprojekte, in denen sich die Teilnehmer_innen unterschiedlich frei innerhalb der vielseitig inszenierten Räume bewegen können.
MACHINA EX – THEATER ALS POINT‘N‘CLICK-ADVENTURE
2010: Eine Gruppe von (mittlerweile ehemaligen) Student_innen der Universitup Hildesheim findet sich zusammen und konzipiert als machina eX das sogenannte Computerspieltheater. Seitdem können sie auf viele erfolgreiche Projekte zurückblicken; das neueste ist bald im Theater Hebbel am Ufer in Berlin zu erleben. Die Teilnehmer_innen finden sich hier in von Projekt zu Projekt unterschiedlichen Räumen und Raumstrukturen wieder. Machina eX selbst beschreiben ihr Konzept so:
„Wir gestalten ein immersives Erlebnis irgendwo zwischen Computerspiel, Theater und interaktiver Installation. Durch ein komplexes System von Sensoren, Elektronik und Computerprogrammen schaffen wir inter-reaktive Räume, in denen die Geschichten spielbar werden. Gemeinsam tauchen die Spielergruppen in die Welt des Spiels ein und finden sich inmitten der Handlung wieder, die ohne deren Initiative nicht voranschreitet: Sie folgen den