Blutrausch. Andreas M. Sturm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas M. Sturm
Издательство: Bookwire
Серия: Wolf & König
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783946734604
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      Er hatte den Bewohner richtig eingeschätzt, genau wie bei ihm zu Hause stand der Werkzeugkasten in einem Wandschrank. Mit einiger Mühe beförderte Jan einen Alu-Koffer mit einem kompletten Werkzeug-Set ans Tageslicht. Beim Öffnen musste er unwillkürlich grinsen. Jedes einzelne Werkzeug glänzte ihn mit strahlender Unbenutztheit an. Gleich oben, in einem Fach für Kleinteile, lag sogar noch der Kassenzettel. Weise hatte das Werkzeug-Set vor vierzehn Jahren erworben. Es war wie eine Versicherung, die man kauft und von der man hofft, dass man sie nie benötigt. Bevor Jan den Koffer zurückstellte, unterzog er das Fach einer akribischen Musterung. Außer einem halb leeren Eimer mit Wandfarbe konnte er nichts entdecken. Neugierig geworden hielt Jan nach Pinseln oder einer Malerrolle Ausschau. Fehlanzeige. Er zuckte mit den Schultern, vermutlich nach Gebrauch entsorgt. Verwendbar war die Farbe aber noch, das ergab zumindest Jans Schütteltest.

      Punkt eins war somit geklärt, in diesem Haus war es nicht erforderlich Abflüsse auseinanderzunehmen, Geräte zu öffnen und Schubfächer auf doppelte Böden zu untersuchen. Wenn es ein Versteck geben sollte, hatte der Anwalt mit Sicherheit eine unkompliziert zugängliche Position dafür gewählt. Mit Grausen erinnerte sich Jan an eine Drogenrazzia, bei der er gezwungen gewesen war, den Abfluss einer Toilette zu demontieren. Er lächelte erleichtert, das würde ihm in dieser Wohnung nicht passieren.

      Seiner größten Sorge ledig, konnte sich Jan auf den nächsten Punkt seiner Liste konzentrieren. Die Indizien wiesen eindeutig auf einen Raubmord hin, somit blendete Jan die Existenz eines Geheimverstecks vorerst aus. Folglich bestand seine Aufgabe darin, Informationen zu sammeln.

      Bei Wohnungsdurchsuchungen ließ Jan sich gern von seinen Gefühlen leiten. Er nahm an, dass das Verhalten eines Menschen von den tief in seiner Seele verborgenen Begierden bestimmt wird. Die Bestätigung für diese Annahme hoffte er, im Schlafzimmer des Anwalts zu finden.

      Er stieg die Treppe hoch und widmete sich den oberen Räumen. Gleich zu Beginn wollte er die uninteressanten Bereiche abhaken und betrat die Veranda.

      Überwältigt blieb er stehen, der Ausblick auf Bäume und Felder faszinierte ihn. Von seinem heimischen Balkon sah er bloß den Mietern des gegenüberliegenden Blocks in die Fenster. Erneut überkam ihn ein Anflug von Neid. Doch er verdrängte das Gefühl rasch und ließ seinen Blick über die Einrichtung wandern. Außer einem Klapptisch und einem Liegestuhl, der ordentlich in Folie verpackt an der Wand lehnte, und einer Flasche Sonnenmilch gab es nichts zu sehen. Allerdings erzählten diese Dinge dem Kommissar eine ganze Menge über den Menschen, der hier gelebt hatte. Der Anwalt wollte mit einer sportlichen Bräune glänzen und war gern für sich.

      Im Wintergarten mit den üppigen Grünpflanzen fand Jan eine weitere Bestätigung für seine zweite Schlussfolgerung: An einem Tisch stand ein einsamer Stuhl.

      Das Badezimmer entlockte Jan nur noch ein müdes Lächeln. Die Serie setzte sich fort: Keine zweite Zahnbürste und die Kosmetik – ausnahmslos von Hugo Boss – war für einen einzelnen Mann bestimmt.

      Die Überprüfung des Arbeitszimmers war gleichfalls erfolglos. Lustlos blätterte Jan durch Aktenordner, fand jedoch nur Weises Steuererklärungen, Unterlagen der Krankenkasse und alle möglichen Dokumente zu dessen Haus. Das alles waren Dinge, die ihn nicht wirklich interessierten, und er war froh, dass nicht er sich mit Weises privaten Unterlagen befassen musste. Das gesamte Material würde auf Heidelindes Schreibtisch landen, genau wie Jans private Steuererklärung. Für eine gute Flasche Roten war die Kollegin jedes Jahr bereit, ihm diese Last abzunehmen.

      Nach einem Computer hielt er im Arbeitszimmer vergeblich Ausschau. Vermutlich hat der Anwalt für seine Arbeiten den Laptop benutzt, der aus seinem Wohnzimmer geklaut worden war, schlussfolgerte er.

      Mit leicht gedämpftem Optimismus öffnete er die Tür zum Schlafzimmer. Das Bett sah komfortabel und teuer aus, gemütlich für eine Person, zu schmal für ein Paar. Die Kleiderschränke offenbarten Weises Faible für hochpreisige Schuhe und Designeranzüge von Gucci. Eigentümlich wirkten die daneben liegenden Stapel mit Camouflage Klamotten. Bemerkenswert dabei war, dass die Sachen penibel nach den jeweiligen Jahreszeiten geordnet waren.

      Da ist jemand gern und oft auf die Pirsch gegangen, dachte Jan und wandte sich dem Nachttisch neben dem Bett zu. Diesen hatte er sich bis zum Schluss aufgehoben. Der Inhalt enttäuschte ihn jedoch maßlos. Verwundert kratzte sich Jan am Kopf. Statt der erwarteten Pornosammlung oder Sexspielzeug war er nur auf gewöhnliche Dinge gestoßen: eine Taschenlampe, Aspirin, Lesebrille und ein Buch. Mit letzter Hoffnung las Jan den Titel – es könnte immerhin ein Pornoroman sein –, zu seinem Kummer war es ein Krimi.

      Für einen Moment sah Jan wie ein kleiner Junge aus, der gerade erfahren hatte, dass es Einhörner nur im Märchen gab. Doch das war nur ein kurzer Augenblick, denn wenn man Jan eine Eigenschaft zugestehen musste, dann war das Hartnäckigkeit.

      »Nein, mein Freund«, sagte er laut in die Stille des Schlafzimmers hinein, »den Heiligen kaufe ich dir nicht ab. Was sagte Karin, wie alt du warst? Vierundvierzig? Und nie Besuch, der dir in einsamen Nächten einheizte? Warte, mein Freund, dir komme ich schon auf die Schliche.«

      Zurück im Parterre, widmete sich Jan zunächst der großen Wohnküche, dann dem zweiten Bad. Er hatte nicht mit einem Treffer gerechnet und so blieb die Enttäuschung aus. Alles wie gehabt: gemütlich und praktisch eingerichtete Räume – für einen Bewohner.

      Ehe Jan das Wohnzimmer betrat, blieb er an der Treppe stehen und schüttelte seinen Kopf. Er hatte seine Meinung geändert. Er wollte nicht in einem so großen Haus leben, da müsste er ja ständig nur putzen. Er fingerte sein Smartphone aus der Gesäßtasche und machte sich eine Notiz.

      Mit einem gemurmelten »Jetzt kriege ich dich bei den Eiern« begann Jan seine Runde durch den Raum. Am Fernsehschrank blieb er stehen. Das Antennen- und HDMI-Kabel hatte der Räuber zurückgelassen, die Netzkabel fehlten. Ausgehend von der Exklusivität der Einrichtung, fiel es Jan nicht schwer, sich vorzustellen, was für Geräte hier vor anderthalb Tagen gestanden hatten. Der Räuber hatte einen guten Fang gemacht. Jan tippte eine zweite Notiz.

      Im untersten Regalfach des Racks stand in Reih und Glied Weises DVD-Sammlung. Abermals stieß Jan nicht auf die erhoffte Erotik. Alte Kriegsfilme, Action- und Thrillerserien waren alles, was er fand.

      »Hm«, brummte er, »richtige Männerfilme eben.« Er nickte andächtig, Weise hatte einen guten Filmgeschmack, die meisten der Streifen mochte Jan ebenfalls.

      Die Schränke zu filzen, konnte er sich schenken. Begleitet von mehreren deftigen Flüchen, hatte ihm Günther Lachmann versichert, dass die Kriminaltechniker den Inhalt der Schubladen auf das Gründlichste durchsucht hatten. Die Theorie eines Raubmordes sollte nachgewiesen werden und das komplette Fehlen von Bargeld und Schmuck sowie eine aufgebrochene Geldkassette lieferten eindeutige Indizien dafür.

      Eine letzte Chance war Jan geblieben. Sorgfältig begann er mit der Musterung der bequemen Sitzecke. Als er abgewetzte Stellen an einer Armlehne und eine ausgesessene Kuhle bemerkte, freute er sich. Egal, wie teuer Möbel sind, dem Kreislauf des Lebens entgehen auch sie nicht. Der junge Kommissar machte es sich exakt auf der Stelle, die der Anwalt bevorzugt hatte, gemütlich.

      Die Füße auf den vor ihm stehenden Wohnzimmertisch gelegt, tastete er mit seinen Blicken das Umfeld ab. Das Rack stand vis-à-vis und rechts neben ihm, leicht mit der Hand zu erreichen, stand eine Truhe aus Massivholz. Ohne sich verrenken zu müssen, konnte Jan die Truhe öffnen und hineinsehen. Der Anblick einer Rolle Küchentücher ließ sein Herz höherschlagen. Er lachte leise. »Hab ich dich!«, flüsterte er und seufzte süffisant.

      Nun musste er nur noch entdecken, wo Weise sich die Anregungen für sein Entspannungsprogramm geholt hatte. Also wühlte er in der Truhe, doch alte Tageszeitungen und Illustrierte schienen ihm ungeeignet, um als Stimulanz zu dienen. Eigentlich blieb nur der Fernseher, dummerweise war der weg. Natürlich war es möglich, zu erfragen, ob Weise Kunde bei diversen Pornokanälen gewesen war, aber den großen Durchbruch für Jans Karriere würde das nicht bringen.

      Er wollte und konnte sich nicht damit abfinden. Jan spürte es genau, hier war etwas, hier musste einfach etwas sein.

      Er sprang auf, war mit zwei großen Schritten bei