Tebaldo und Otto knieten neben dem Ohnmächtigen. Der Helm, vom grimmen Hiebe schon fast zertrümmert, war bald gelöst, und wie eine Purpurdecke lag das wallende Blut über Heerdegens Antlitz. So wie nun Otto, nach Ritterweise in der Heilkunst geübt, den furchtbaren Strom auf das schmerzloseste gehemmt und abgewaschen hatte, erkannte man, wie die Wunde links auf der Stirn beginne und sich von da zwischen den Augenbraunen durch auf die rechte Wange tief herunterziehe. Der Verband lag alsbald recht fest und gut, aber auch der Ritter lag in seiner Ohnmacht fest und still, ohne Regung, wie ein Toter. So von der Blässe gebleicht, von der Abspannung und leiser Milde übergossen, trat die Ähnlichkeit mit Bertha unverkennbar aus diesen Zügen hervor. Otto neigte sich über den Gefällten, und vergoß bittre Tränen. Ihm kam eine alte Geschichte zurück, die er und Bertha vor langer Zeit aus dem Munde des greisen Herrn Hugh vernommen hatten, von einem Ritter, der unbewußt seine Liebste in feindlicher Rüstung erschlug, und nun kam es ihm vor, als habe er jetzt die arme Bertha vollends erschlagen. »Ja, vollends erschlagen«, sagte er laut zu sich selbst, »das ist das rechte Wort. Denn den ersten Todesstoß gab ich ihr schon mit meinem leichtsinnigen Abschied, und mit dem Bruder mach' ich sie gänzlich tot.«
Der junge Kaufherr erinnerte ihn, daß es an der Zeit sei, den Wunden nach der Herberge zurückzuschaffen; der Abend dunkle, und Rasten im Bett und unter Dach sei vor allen Dingen not. – Da luden die beiden Jünglinge ihren kaum noch so lustigen Zechgesellen bleich und starr auf die Schultern, und zwar so, daß Tebaldo dessen Haupt zu unterstützen bekam: »Denn«, sagte Otto traurig, »falls er unterweges erwachen sollte, würde er Euer Gesicht doch immer viel lieber so nahe an dem seinigen sehen, als meines. Zudem könnte ich mir einbilden, es wäre die tote Bertha, und ließe ihn im schreckhaften Wahnsinn fallen.«
In der Herberge kam Lichtenried wieder zu sich. Zwei Reisige, die ihm dienstfertig waren, traten zu seiner Pflege herbei, und als der Kranke merkte, daß sich Otto anschickte, noch länger hier zu verweilen, wohl gar bis zu seiner Wiederherstellung, sagte er: »Herr von Trautwangen, wenn Ihr mir irgend etwas zugute tun wollt, so reitet noch heute abend, noch diese Stunde von hier fort. Denn Euer Anblick ist mir so zuwider worden, daß ich ohne Zweifel daran sterben muß, falls Ihr mich zwingt, diese üble Arzenei noch länger zu gebrauchen.«
Da setzte sich Otto traurig zu Pferd, und ritt den eben heraufdämmernden Sternen entgegen, auf die lange duftige Landstraße hinaus, Tebaldo ihm zur Seiten.
Zwei ungleiche Reiter waren es, welche unter dem nächtlichen Frühlingshimmel mitsammen dahin trabten; Otto schien allein das ganze Dunkel der Stunde in seine Seele aufgenommen zu haben, Tebaldo hingegen den Duft und die heitre Stille und das blitzende Leuchten des Gestirns. Dieser versuchte, einen Teil der fröhlichen Gabe in seines Gefährten Busen auszuschütten, und da es ihm mißlang, sang er allerhand Liebeslieder in seiner anmutigen Muttersprache durch das kühlige Nachtblau hin. Davon fühlte sich auch Otto nicht gestört. Eben weil er die Worte wenig oder gar nicht verstand, war es ihm, als flattre von den vielen Nachtigallen, welche rings umher aus Anger und Gebüschen die Reisenden anflöteten, eine fortsingend immer neben ihm her, und ihm ward wohl dabei, denn er konnte sich die zierlichen Töne ungehindert in den Sinn übersetzen, welcher seinem Herzen am behaglichsten klang.
So kamen sie endlich über eine grasige Anhöhe hinüber, und die große freie Reichsstadt Frankfurt leuchtete mit unzähligen Lichtern von beiden Mainufern herauf. Otto hielt überrascht seinen Gaul an. Eine solche Menge von hellen Fenstern hatte der Rittersohn, auf einsamer Burg erwachsen, noch niemalen beieinander erblickt, und jemehr sich die Häuser in die Finsternis zurückzogen, jemehr kam es ihm vor, als sehe er eine der kunstreichsten und festlichsten Erleuchtungen, welche es nur je auf Erden gegeben habe. Tebaldo weidete sich eine Zeitlang an dem Erstaunen seines edlen Genossen; dann sagte er: »Ja, Herr, dies ist die weltberühmte Stadt Frankfurt, und wenn es Euch gefällt, mit mir hineinzureiten, und mein Haus dadurch zu ehren, daß Ihr Euch als meinen Gast erzeigt, sollt Ihr wohl noch wundervollere und ergötzlichere Dinge zu sehn bekommen.«
Sie ritten darauf an zierlichen Gärten und Gartenhäusern diesseits der Tore vorbei. Meist war in den Gebäuden vieles Licht; und Saitenklang und Singen und das Getön zusammengestoßner Becher hallte daraus hervor; auch funkelte es durch zierliche Gitter aus manchen Bogengängen und hohen Lauben von goldnem Kerzenschein zwischen grünen Blättern, und noch anmutiger ließ sich von da herüber das Jubeln fröhlicher Gesellschaften vernehmen. Otto meinte, er seie schon lange in der Stadt. Da taten sich erst vor Tebaldos Ruf die ungeheuern Torflügel langsam voneinander, und man ritt durch das widerhallende, gebogne Torgewölb wie in eine Burg hinein, welches auch Otto zu Anfang glaubte, bis er jenseits in die lange erleuchtete Gasse hineinsah, und nun erst begriff, daß die Stadt selbsten eine riesengroße Burg ausmache, deren Bürger doch wohl mit ihrem Stolz, welchen er bisweilen von Herrn Hugh hatte schelten hören, nicht so gänzlich unrecht haben mochten.
Ottos Streithengst scheute soeben vor einigen blendenden Lichtstreifen, welche die hellen Fenster eines prächtigen Gebäudes aus zweien großen Erkern auf die Gasse herabwerfen, da sagte Tebaldo: »Wir sind zur Stelle, edler Gast.« – Und aus dem erleuchteten Hausflur hervor eilten viele glänzende Diener, ihrem Herrn, und auf dessen Wink, dem Ritter sein Roß abzunehmen. Otto sprang adeligen Schwunges leicht aus dem Sattel, und als die Dienerschaft nach den Zügeln seines Pferdes griff, sagte er: »Das geht nicht so leicht, ihr Herren. Den muß ich selbsten in den Stall führen, und absatteln und abstangen und anhalftern, auch ihm Futter vorwerfen, denn von andern Menschen leidet er's nicht.« Des Hengstes loderndes Auge, sein hauender Vorderhuf gab Zeugnis dessen, so sein Herr gesprochen, und man leuchtete dem Ritter nach einem prächtigen Stallgebäude vor, worin viel edle Rosse an schön verzierten Krippen standen. Aber sie fuhren alle scheu zusammen, als Ottos lichtbrauner Hengst an der Hand seines ehrnen Herrn durch die hohen Gewölbe wiehernd und stampfend hinschritt, und nur des Ritters ernster Zuruf ihn hinderte, irgendwo seine Kräfte im Kampf gegen einen der furchtsam schnaubenden Genossen zu versuchen. Die Dienerschaft sahe sich nach Halfterketten um, den hitzigen Gast damit anzulegen, aber Otto sagte. »Das hülfe nichts, liebe Herren. Er sprengt so was leicht. Wenn ich's hingegen ihm sage, bleibt er still.« – »Ruhig, Bursch!« rief er; und der Hengst stand wie ein Lamm, und schnoberte friedlich in dem Hafer, den ihm der Herr vorschüttete. Darauf ging Otto mit Tebaldo, welcher seines ritterlichen Besuches am Eingange geharrt hatte, hinauf in den Saal.
Oben war es zwischen den kerzenhellen Wänden bunt und vielfarbig, und von mannigfacher Pracht erfüllt, denn es wogte eine große Menschenmenge unter den feierlichen Bogen umher, und im Hintergrunde sah es aus, wie eine erhöhte Bühne, auf welcher noch buntere, wunderlichere und glänzender ausgeschmückte Gestalten ihr Spiel trieben. Man konnte alsbald bemerken, daß Tebaldo des Festes König war, denn die minder Geehrten der Gesellschaft wichen ihm mit ehrerbietigen Bücklingen aus, die Vornehmsten, sowohl Frauen als Männer, und unter diesen viele mit güldnen Ratsherrenketten, drängten sich begrüßend um ihn her, und nahmen seine Entschuldigungen, daß er, der Wirt, so spät gekommen sei, als Gunstbezeugungen auf. Das Spiel auf der Bühne im Hintergrunde der Halle schwieg, und schien den Wink des gebietenden Herrn wegen Fortdauer oder Aufhören demütig zu erwarten, bis Tebaldo, nachdem er sich mit seinem Gast auf einer Bank, mit Purpurkissen belegt, ganz vorne niedergelassen hatte, durch ein Kopfnicken ganz freundlich für das Fortspielen entschied.
Nun sahe man, daß in der Mitte des Schauplatzes ein reichgeschmückter, prächtiger Mann auf einem erhöhten Lehnsessel saß, mit vielen Goldsäckeln in der Hand, und auf seiner Brust mit goldnen Lettern den Namen Plutus tragend, wie bei den alten römischen Helden der Gott des Reichtums geheißen war. Diesem näherten sich von allen Seiten vielfach verschiedne Gestalten, als da sind: Priester, Hofleute, Gelehrte, Sänger, Pilger, Richter und so weiter, und baten mit den demütigsten Gebärden um seinen Schutz. Dann warf ihnen Plutus nach Belieben wenig oder viel von den Goldsäcken zu, und sie empfahlen sich, wie sie gekommen waren, jedes mit einem deutsamen gereimten Sprüchlein im Munde. Endlich kam auch ein geharnischter Kriegsmann, der beugte sich gar dienstfertig vor Herrn Plutus und sprach:
»Für