Ich habe noch niemals einen Protestanten so reden hören, sagte der Einsiedel.
Und doch bin ich Einer, antwortete Thorwald, und ein recht eifriger. Worin aber der junge Mann Recht hatte, fuhr er fort, daß war in seinem Tadel über meine Neckereien gegen Euch, frommer Vater. Verzeiht mir; ich verletzte Euch, wie ein scharfes Messer, unabsichtlich.
Der Einsiedler war bald und gern versöhnt, und man setzte sich vergnügt zum Abendbrod, auch Alwin, den Thorwalds ernste Zurechtweisung mehr gefreut, als gedemüthigt hatte. Es war ihm, als sei er seinen Gefährten näher gerückt, und er suchte es ihm durch Blick und Rede darzuthun, worauf jener aber wiederum gar nicht zu achten schien.
Fünftes Kapitel
Die beiden Reisegefährten zogen gegen Abend in Braunschweig ein. Der milde Herbsttag hatte viele Menschen in's Freie gelockt, und sie begegneten daher mannichfaltigen Gruppen. Die Fußgänger grüßten den Geheimschreiber ehrerbietig, viele der Reiter und Fahrenden winkten ihn vertraut und freundlich zu. Oefters sahen schöne Frauen aus den vorbeirollenden Wagen, und Alwin beneidete jeglichen Jüngling, den er mit darin erblickte, oder zu Rosse daneben. Er dachte es sich als das höchste Glück, recht einheimisch und wohlvertraut in dieser glänzenden Welt zu leben, von all den herrlichen Sonnenblicken freundlich bestrahlt, günstige Zeichen von zweien der schönsten Augen gewinnend. Diesen gelobte er im Voraus Treue, Verschwiegenheit, und alle Tugenden, die seine Romanzen an verliebten Rittern priesen; doch schien er sich selbst allzu fremd und unbeholfen, um je auf ein so großes Heil Anspruch machen zu dürfen. Er nahm sich aber vor, alle seine gegenwärtigen Wünsche und Träume in ein Gedicht zu bringen, auf eignen Boden herüberrettend, was ihm die unbekannte Welt vermuthlich höhnisch in Trümmer schlagen würde, wenn er so ungeschickt und unerfahren darnach griffe, als er sich in seinem Innern fühlte. Einzelne Lieder ähnlichen Inhalts, erinnerte er sich gehört zu haben, und verstand nun erst ihre ganze Süssigkeit, so daß er Verse daraus zu seinem eignen Troste in Gedanken hersagte.
InThorwalds ansehnlichem Hause stiegen sie ab, um sich, wie dieser ihm sagte, zu einem Besuch bei der schönen Gräfin Mathilde anzukleiden, wo Heut Abend ein glänzender Kreis versammelt war, und der Fremdling vorgestellt werden sollte. Man eilte, sich fertig zu machen, ging die Straßen im feuchten Abendnebel hindurch, vorbei mancher stillen Wohnung mit ihren niedrigen Fenstern, worin die Familien friedlich versammelt und leicht von außen zu übersehen, den Jüngling mit Heimweh und vertrauten Lieblingsbildern erfüllte, bis aus dem Pallaste der Gräfin die unzähligen Kerzen herab leuchteten, und Alwin's Gemüth auf die neuen Erscheinungen lenkten, welche ihm bevor standen. Die breite, erhellte Treppe hinauf, durch die Reihen gleichgekleideter Diener und ein Wohlgeruch duftendes Vorzimmer, traten sie in den Saal zu der zahlreichen Gesellschaft, die Alwin's Augen für die ersten Momente gänzlich blendete. Er blieb fast unbewußt hinter seinem Leiter stehen, der sich bei den Nächsten auf eine vertraute und ungezwungene Weise nach der Gräfin erkundigte. Gleich darauf trat sie hervor; Alwin konnte nicht einen Augenblick daran zweifeln, daß sie selbst es sei, diese königliche Gestalt, in aller strahlenden Herrlichkeit der Jugend, süße Anmuth und Liebesgluth auf den Lippen, stolze Geisteskraft im Auge, Bewußtsein ihrer siegenden Gewalt in jeder Geberde. Reiche Perlenschnüre durchflochten auf eine fremdartige Weise ihr Haar, ein scharlachrothes Tuch schlang sie phantastisch um das weißseidne Gewand; man hätte sie für ein sinnvolles Bild gehalten, wäre nicht oft wechselnd eine ihrer herrlichen Stellungen in die andre übergegangen.
Willkommen Thorwald, redete sie den Geheimschreiber freundlich an. Ihr seht, wir leben hier noch immer wie die Kinder, in Spiel und bunter Herrlichkeit, während Ihr die Wache für uns haltet. Wie habt Ihr's in Halberstadt gefunden?
Gut, schöne Gräfin, sagte Thorwald, so gut es sich in der gegenwärtigen Zeit erwarten läßt. Der alte Baldrich thut ganz treffliche Dienste. Ich kann Euch versichern, daß sein benarbtes Kriegerantlitz, noch mehr die Erinnerung der Beute, die unter seinen Fahnen erfochten ward, von beßrer Wirkung ist, als die schönsten Sinnsprüche und anderweitige Hülfsmittel aus den Zeiten der irrenden Ritter. Er wird ein statliches Volk zusammen bringen.
Unsre Meinung, antwortete sie, wird wohl wieder einmal mit der Erfahrung im Bunde stehn.
Ich bringe noch mehr, sagte Thorwald, als gute Nachrichten für Stadt und Land, auch einen Schmuck für Eure Palläste, einen hübschen Jüngling, der gar artig die Cither schlägt und dazu singt, auch Verse zu machen versteht.
Wenn er sich nicht selbst besser empföhle, sagte Mathilde lächelnd, so könnte man nach Euern Worten glauben, Ihr brächtet nur eine künstliche Maschine getragen, die zu den erwähnten Dingen eingerichtet wäre. Aber so spricht sein freundliches Auge, seine blühende Wange dafür, daß ein eigenes jugendliches Leben in ihm wach ist.
Alwin's Gesicht glühte bei dem Lobspruch der schönen Frau und dem gütigen Blick, der auf ihn fiel. Sie dachte seine Verlegenheit durch eine der gewöhnlichern Reden zu erleichtern, und fragte, wie es ihm auf der Reise ergangen sei? Gut bis jetzt, wollte er antworten, und beneidenswerth in solcher Nähe, oder etwas ähnliches, verwickelte sich aber in seiner Rede, und blieb bei der ersten Versicherung seines Wohlseins stehn. Nun, das ist ja vortrefflich, sagte Mathilde, und gab sich keine Mühe, den leichten Spott zu verbergen, der um die schönen Lippen zog. Sie erneuerte darauf ihr voriges Gespräch mit Thorwald, und trat mit ihm in eine Fensterwölbung um es ungestörter fortzusetzen.
Alwin blieb in drückender Verlegenheit stehn. Er fühlte, wie albern er geantwortet hatte; so mächtig sein Stolz auch rang, ihm selbst das Lächerliche seines Betragens zu verkleiden, und er wußte endlich keinen bessern Rath, als sich in Gedanken über die ganze Gesellschaft zu erheben, und sich unablässig vorzusagen, daß gar nichts Wünschenswerthes in der abgeschliffnen Gewandheit liege, die man hier für etwas Großes zu halten scheine. Diese heimlichen Prahlereien hinderten ihn jedoch nicht, die Gesellschaft auf's Genaueste zu beobachten, und sich Vorwürfe darüber zu machen, daß er so blöde und unbeachtet an der Thür stehn bleibe. Er war zuletzt fest entschlossen, mit Anstrengung seines ganzen Muthes weiter in den Saal zu treten, und den Ersten Besten selbst anzureden, als sich ihm ein junger hübscher Mensch näherte, von ausländischem Ansehn und heiterm Wesen.
Erlaubt mir, sagte er, daß ich Euch mit einigen Gliedern der Gesellschaft bekannter mache, vor Allen, so eigenliebig es auch klingen mag, mit mir. Ich heiße Anselmo; mein Vater, ein Italiänischer Edelmann entführte eine schöne Nonne, und zog mit ihr nach dem Norden, wo sich Beide, das Lutherische Glaubensbekenntniß ergreifend, verheiratheten und mich erzeugten. Nehmt mich verpflanztes Gewächs nur immer zum Landsmann auf, und jetzt auch zum Führer in der Gesellschaft, denn Euer staatskluger Freund hat sich mit der staatsklugen Gräfin in so staatskluge Gespräche vertieft, daß sie schwerlich vor den ersten drei Stunden Zeit gewinnen können, an irgend etwas Andres zu denken.
Dabei nahm er ihn, ohne Antwort zu erwarten, an die Hand, und führte ihn zu einem Kreise junger Damen, wo er ihn vorstellte, und von seinem poetisch-musicalischen Talent erzählte, das er, wie er sagte, dem gravitätischen Thorwald abgehorcht habe. Nun verbreitete er sich mit vieler Lustigkeit über seine eigne Diebesgabe, weil er dem Geheimschreiber noch etwas von Poesie und Musik stehlen könne, Einem der selbst von beiden gar nichts besitze.
Haltet ein wenig ein, um Gotteswillen, sagte ein sehr zart gebildetes Mädchen. Bedenkt doch, lieber Waldstrom, daß Ihr Euch nicht unter den Bäumen befindet, die Eures unablässigen Plauderns gewohnt sind, sondern unter lebendigen Menschen, die gern auch ein vernünftiges Wort drein sprächen.
Erzieht mich ungestümes Kind der Wildniß, sagte der Jüngling, so braucht unser neu angekommener Orpheus hier, seine Lieder nicht für meine Cultur zu verschwenden.
Mit