»Muß das jetzt sein?«
Er reicht es ihr wortlos: Ich bin sehr trank und bitte Dich, lieber Vater, zu mir zu kommen. Rosmarie.
Die Fürstin: »Ach, wie unangenehm! Ob es denn wirklich so schlimm ist? Dann hätte doch Miß Granger depeschiert. Vielleicht ist's nur eine von ihren Phantastereien. Ich meine, wir telegraphieren zurück an Miß Granger, wir bäten um weitere Nachricht. Die schrieb mir doch heute, Rosmarie sticke sehr fleißig an einer Decke. Und du weißt, wen wir heute abend treffen wollten, und wie viel daran liegt.«
Der Fürst hört schon längst nicht mehr, er stürzt hinauf, und sie hört ihn nach seinem Leibjäger und dem Kursbuch rufen. Da steigt die Fürstin in ihrer rauschenden diamantflimmernden Pracht in ihr blauatlassenes Coupé. Einen Augenblick wartet sie noch, aber es dringt eine Eisluft herein, – sie winkt dem Lakaien, der Schlag fliegt zu, und das Coupé rollt davon. – Der Fürst hat sich um nichts mehr bekümmert, als daß er den Nachtexpreß noch bekomme, und nun fährt er dahin, und die Worte begleiten ihn. Eine Nacht und einen Tag und wieder eine Nacht, immer die gleichen Wände, ob der Zug durch eisige Winterwüsten oder nun am Meeresbrausen neben Palmenkronen hinfährt. Was kann in einer Stunde geschehen – was in so langer Zeit! Ach, wie die alten Ängste aufleben! Und was sie getrennt in letzter Zeit, das ist zurückgetreten, oder nein, es ist, als habe es sein Kind mit noch mehr Ketten an sein Herz verfestigt. Wenn er ihr unrecht getan hätte? Nein, das hat er nicht – nun wieder haben die Worte ihr Spiel mit ihm.
Und nun graut der letzte Morgen über einem fremden wilden Meere, aus dem gelbe kahle zerrissene Felsen aufsteigen. Der Fürst geht in seinem Abteil wie ein unruhiges gefangenes Tier hin und her. Jetzt eine Station, hohe, morgengraue Palmen, ein blaues Leuchten auf dem Wasser. Da ist die Braunecker Livree. –
Nein, sie könnten den Mann nicht mit der schlimmsten Nachricht ihm entgegengeschickt haben. Das gibt ihm Kraft auszusteigen. Wie wenn er aus einem Schiff stiege, so zittert der Boden.
Der Diener hat sogar ein kleines Briefchen: »Ich begrüße Dich, lieber Vater, als Deine dankbare Rosmarie.«
Der Fürst braucht nicht den Diener zu fragen, das Billett sagt ihm genug. Bei den Löwen, etwas nervös und übernächtig, erwartet ihn der Doktor.
»Kann ich meine Tochter sehen?«
»Gewiß, Durchlaucht.«
»Bitte, begleiten Sie mich, ich muß doch ein wenig Toilette machen.«
Ein Zimmer ist für den Fürsten gerichtet.
Der Kammerdiener, den der Fürst mitgebracht hat, hat mit blitzartiger Schnelligkeit verschiedenes ausgepackt, und der Doktor sieht mit Erstaunen, wie sich das kleine Zimmer füllt mit Gegenständen, die man jetzt und in den verschiedensten Umständen brauchen könnte.
Der Fürst macht sorgfältig Toilette, der Doktor wundert sich ein wenig. Will der den Moment des Wiedersehens hinausschieben, oder darf man nicht ohne sorgfältige Vorbereitungen einer jungen Königin nahen?
Er erstattet Bericht, einen Bericht, den er sich vorher sorgfältig mit dem Geheimrat überlegt hat.
Ja, – er ist erst vorgestern zu der Prinzessin geholt worden. Hat sie sehr elend gefunden, namentlich recht schwachen Puls. Auch sehr schlecht ernährt. Ein organisches Leiden hat er nicht entdecken können. Die große Schwäche des Herzens –
»Meine Tochter ist sehr schnell gewachsen, sie ist ein ziemliches größer als ich. Daher das schwache Herz. Die italienische Kost hat ihr nicht zugesagt. Ich war dagegen, daß meine Schwester eine italienische Köchin engagiert hat.
Und Sie hoffen, Herr Doktor, daß wir bald wieder über den Berg kommen?«
Ja, der Herr Doktor hofft. »Wohl nicht so ganz schnell. Auch ist der Schwächezustand eine tägliche Gefahr.« Doktor Vogt findet in sich ein schlummerndes Talent zum Hofarzt.
»Nun, wird meine Tochter mich erwarten? Wollen Sie die Güte haben, nachzusehen ...«
Aber auch dem Fürsten gibt es einen Herzstoß, wie er sein Kind sieht. Und doch ist ein schwaches Rot auf den Wangen, und wie schön sind die Augen in ihrem feuchten Glanze.
Der Fürst schiebt seinen Arm unter ihren goldenen Kopf und hebt sie sanft empor.
»Vater, liebster Vater, verzeihe, ach verzeih!«
Er zuckt zusammen. Ach, er hatte alles vergessen.
»Du wußtest nicht, was du tatest.«
»Vergib, Vater, o vergib, ich habe gekämpft, oh, bitter habe ich gekämpft.«
Er legt sie auf ihre Kissen zurück und gewöhnt sein armes Herz an ihren Anblick. Sie hat gelitten!
»Harro ist hier, Vater.«
»Harro hier?«
»Ich habe ihn gebeten. Er will mit dir reden –«
»Hast du ihn empfangen, Rosmarie? Das kannst du unmöglich getan haben. So allein und krank wie du bist –«
»Er wollte nicht kommen, aber als ich beinahe gestorben wäre, holten sie ihn. Sie wußten ja, daß er mein Freund sei. Und so ganz allein, Vater ...«
»Liebe Rosmarie ...«
»Nicht ›taktlos‹ sagen, Vater. Du sollst den Doktor fragen, ob ich so nahe am Abgrund war oder nicht. Und Herr Geheimrat Schwarzen, das ist fast eben so gut, wie wenn es der Herr Stiftsprediger wäre, – war auch dabei.« »Und Miß Granger.«
»Sie ist so sonderbar geworden. Ich hätte es dich wissen lassen müssen. Sie sagen nun, sie hätte eine schlimme Krankheit.«
»Lieber Himmel, warum erfahre ich das jetzt erst?«
»Es war zuerst nicht so schlimm. Und dann war ich so bitter. Ich dachte, das gehört ja auch zu meiner Verbannung, daß ich mit Menschen leben muß, die nichts, gar nichts von mir wissen.«
»Reden wir jetzt nicht mehr davon. Rosmarie, du hast dich gegrämt. Deine armen Hände ... Nein, schweigen wir davon. Schweigen wir immer davon, Rosmarie.«
»Vater, wenn es sein muß. Ja. Schweigen.
Aber ich flehe dich an! Höre zuerst einmal Harro! Und dann schweigen, Vater. O Vater, ich will auch darunter dein liebes Kind sein.«
Einundzwanzigstes Kapitel.
Das schwarze Band
Der Fürst hat sich in dem engen kleinen Zimmer etwas manövermäßig, wie er sagt, einquartiert, und seine schönen Zimmer im Hotel Angst bewohnt sein Kammerdiener.
Er geht in dem kleinen Wohnzimmer auf und ab und kennt jede Dielenritze und die Silhouetten sämtlicher Löwen. Er wagt kaum bis zum Strande vorzudringen, so ängstigt ihn der Gedanke, Rosmarie könnte eine der schweren Ohnmachten bekommen. –
Wenn er dabei ist, – nein, das tut sie ihm nicht an. Daß aber ihr Befinden nicht besser wird, das kann ihm kein Mensch verschleiern. Der Doktor ist