Rosmarie glitt aus dem Zimmer mit ihren langsamen Schritten, wie Königinnen schreiten in Traumgärten. Der Fürst ging auf und ab und suchte seine Erregung zu bemeistern. Schließlich war ja jetzt alles viel klarer und besser als zuvor. Rosmarie war noch nicht eingeführt worden, es war wohl möglich, daß sie niemand erkannt hatte. Und der Thorsteiner hatte ihr wohl zu verstehen gegeben, daß die alte Kinderfreundschaft ein Ende habe, und sie hatte es verstanden. Es war also kein Grund vorhanden, sich jetzt noch über die Sache aufzuregen. Charlotte, dachte er, es ist besser, sie erfährt nichts davon. Takt ist nicht ihre Starke. Und Rosmarie, sie beruhigt sich, wohl am ehesten jetzt. Irgendeinen Fetzen Stolz wird sie doch haben. Nun, den raffte sie wohl zusammen, und später kann sie über diese reichlich sentimentale Kinderfreundschaft lächeln.
Alles das sagte er sich schön vor und beruhigte sich damit und kehrte wieder zu seinen Papieren zurück. Aber eine leise Angst bleibt. Rosmarie ist eben ein Sorgenkind gewesen, da haftet einem die Unruhe noch an. –
An Rosmaries Wesen ist aber nichts Besonderes zu bemerken. Sie geht am Abend mit Mama ins Theater, den nächsten Tag in eine große Blumenausstellung. Der Fürst ist erst ganz beruhigt, als ihm sein Diener, den er ausgeschickt hat, um den Grafen Thorstein aufzusuchen, da er ihn eventuell sprechen wolle, die Nachricht bringt, ein Graf Thorstein sei abgereist, unbekannt wohin. –
Nun ist also alles in Ordnung, und als er am andern Morgen Rosmarie freundlich und lieblich an seinem Frühstückstisch findet und sie ihm mit gewohnter Sorgfalt seinen Tee und seine Eier bereitet, gestattet er sich sogar eine extra gute Laune. Die Fürstin erscheint nie zum Frühstück, ihre Toilette nimmt immer längere Zeit in Anspruch. So ist diese Stunde sehr gemütlich. Rosmarie ist eine gute Tochter, findet er, sie ist nicht schlechter Laune, sie hat keine verweinten Augen, sie klagt nicht die ganze Welt an, weil ihr etwas nicht nach Wunsch gegangen ist. Sie hat alles für ihn bereit, einen Morgenkuß, ein liebevolles Eingehen auf seine kleinsten Wünsche. Wenn er bedenkt, welche Szene sie hätte machen können – Serenissimus ist ein großer Feind von Szenen –, so findet er, daß er mit Recht gerührt ist.
»Rosmarie, hast du auch alle deine Weihnachtswünsche laut werden lassen? Weißt du, erraten kann ich nicht so gut. Das ist bei Damen immer unsäglich schwierig. Oder möchtest du selbst jemand eine Freude machen? Gib mir dein Portemonnaie, ich will dir etwas hineinstecken – vielleicht macht es dir doch Spaß, etwas selbst auszuwählen.«
»Du bist sehr gut, Vater, ich danke dir. Ich gehe heute mit Fräulein Bergmann aus, Miß Granger hat Rheumatismus, und besorge nur die Dinge, die ich nach Brauneck schicken will.«
»Ob du es nun für dich verwendest oder für andere, hier mein Herz, nimm und kaufe dir ein bißchen Freude damit, wenn du kannst.«
»Oh, das werd ich tun, Vater, du bist sehr gut, ich danke dir, ich bringe dir auch einen Veilchenstrauß mit.«
»Nimmst du das Coupé?«
»Nein, ich gehe, Mama hat es nicht gern, wenn ich morgens das Coupé nehme, hie und da braucht es die Friseurin, wenn sie gerade Eile hat.«
»Dies ist ausgezeichnet, eine reizende Einrichtung. Meine Tochter geht zu Fuß, weil die Friseurin ein Coupé braucht. Was ist das für ein kostbares Frauenzimmer, daß sie nicht in der Elektrischen fahren kann?«
»O Vater, dazu ist sie viel zu vornehm, das dürfte man ihr nicht anbieten. Und ich gehe gerne. So früh sind auch die Läden nicht so voll, und es geht schneller.«
Rosmarie bietet ihrem Vater ihre weiche Rosenwange hin. »Also ich gehe mir ein bißchen Freude kaufen, das hast du so lieb gesagt.«
»Gut, Rosmarie, und vergiß den Veilchenstrauß nicht!«
Rosmarie mit Fräulein Bergmann, der vielgeplagten Kammerfrau ihrer Mutter, geht die Friedrichstraße hinunter, die ja zu jeder Tageszeit ein anderes Bild bietet. Jetzt gehen Schulkinder und eilige Lehrerinnen und ein verspätetes Ladenfräulein, eine Hausfrau, die in die Markthallen geht. Das ist die einzige Tageszeit, wo Rosmarie sich auf die Straßen wagt. Man sieht zu viel nach ihr, selbst in dem menschenreichen Berlin. Ihre hohe, schlanke Gestalt, ihr Gang, ihr leuchtendes Haar, sie ist auffallend, mag sie noch so einfach und dunkel gekleidet sein, wie jetzt in dem blauen Tuchkleid und Sealskinjackett und Barett. Am schönsten Blumenladen machen sie halt, und Rosmarie kauft zwei wunderschöne Sträuße von herrlich duftenden Nizzaveilchen. Einen Strauß bekommt in Papier eingeschlagen Fräulein Bergmann zu tragen, den andern steckt sie in das Jackett. Es ist mild heute, die Blumen werden's schon aushalten. Einige Läden werden besucht, und hoffentlich werden die Braunecker sich freuen, der Herr Domänenrat, Fräulein Berger und die andern alle.
Da ist ein großer Laden mit Kunstgegenständen aller Art, der kommt zuletzt. Nein, vorher noch der kleine Eisenladen. Rosmarie braucht eine kleine Schere. Fräulein Bergmann muß sich verwundern, Scheren gibt's doch im Überfluß. Aber auch die kleine Schere wird gekauft und wandert in Rosmaries Muff.
Nun kommt die Kunst. Da gibt es eine Menge Dinge, schöne und auch häßliche. Letztere in der Überzahl. Eine freundliche, blasse, nicht zudringliche Verkäuferin ist da, deren Augen sehnsüchtig auf Rosmaries Veilchen fallen. »Fräulein Bergmann, das ist ein schöner Laden, ich glaube, hier finden wir alles, was wir brauchen. Und Fräulein Bergmann, ich glaube, Sie möchten sich auch gerne etwas aussuchen. Darf ich Ihnen das Goldstück dazu geben. Suchen Sie doch etwas für Ihren Bruder, der solche Freude an hübschen Dingen hat. Ich sehe mir einstweilen die Kristallsachen an.« Fräulein Bergmann strahlt. – »Ach wie freundlich, Durchlaucht, tausend Dank!« und sie wendet sich einem wunderbaren Trompeter von Säckingen als Zigarrenbehälter zu. Rosmarie beugt sich zu der blassen Verkäuferin vor und sagt schnell: »Geben Sie mir Papier, ich werde eine Adresse aufschreiben. Und die Kristallvase dort mit dem silbernen Fuß.« Ihre schönheitssicheren Augen haben sofort die einzige gute Form unter all den vielen herausgefunden. Sie schreibt die Adresse mit fliegender Hand.
»Können Sie mir das besorgen, kommt das noch an? ... Mit Eilboten! ...«
»Gewiß, gnädiges Fräulein.«
»Der Preis?«
Rosmarie muß ihr ganzes Portemonnaie ausleeren.
»Wollen Sie es mir besorgen, Fräulein, und dies hineintun?« –
Sie wendet sich um, an den Pfeilern sind schmale lange Spiegel, und vor dem einen hat sie etwas an ihrem Haar zu ordnen. Die Schere blitzt auf, die Locke, die an ihrem Ohr herunterhing, ist nicht mehr da. Den Veilchenstrauß nimmt sie von der Jacke und zerteilt ihn. Das Fräulein muß auf ihre schlanken Hände dabei sehen und auf die schönen, schönen Veilchen. Solche gab's hinterm Pfarrgarten, wo sie daheim war. Freilich nicht an Weihnachten. Und plötzlich hält sie die eine Hälfte der Veilchen in der Hand.
»Für Sie, Fräulein. Sie haben mich so freundlich bedient, und ich sah, daß Sie sich daran freuten.«
Das blasse Mädchen wird rot.
»Gnädiges Fräulein, ich weiß nicht, ich darf ...«
»Oh, Sie dürfen schon« –
Gibt es denn unter den vornehmen, den ganz vornehmen Leuten auch so freundliche Menschen? Gewiß, die blonde junge Dame muß von den allervornehmsten sein! Die Locke windet Rosmarie um die andere Hälfte der Veilchen und legt sie auf den Boden der Schale. Die Schale gibt einen tiefen, feinen und doch starken Ton von sich ... Ach wie schön! Wie der singende Brunnen.
»Einen Namen?« fragt die Verkäuferin.
»Nicht nötig.«
Freilich, wer das Goldgespinst sieht, wird auch wissen, von welchem Haupte es kam. Rosmarie wendet sich lächelnd zu Fräulein Bergmann, die umringt steht von einer Reihe Trompeter, Gretchen und Königin Luisen, und sich eben entschlossen hat.