»Aber Papa, es hing doch da, eh wir hereinkamen.«
»Rosmarie, red' keinen Unsinn, kann man denn durch Türen sehen, und in welches Mausloch soll sich das blaue Männchen verkrochen haben!«
»Es ist aber doch nicht da,« sagt sie sehr kläglich.
»Und war nie da. Wer hat dir denn davon erzählt?«
»Niemand, ich weiß es doch.«
»Jetzt will ich nichts mehr davon hören,« sagt der Fürst streng, »und laß das Flüstern und auf den Zehen gehen.«
»Aber es heißt doch Schweigen.«
»Ach, das hat schon Jahrhunderte so geheißen, hier war man oft laut genug.«
»Ja, fühlst du denn nicht ...«
»Rosmarie, du führst dich heute auf! Nun warst du so lange vernünftig, daß man sich freuen konnte – muß mir nun der schöne Tag verdorben sein!«
Seelchen kommen die Tränen, es schleicht sich zu dem Bette hin und greift zaghaft nach dem wunderbaren Vorhang und küßt die seidenen Blumen und wischt sich verstohlen die Augen daran ab. Der Fürst sieht ihr mit finsterer Stirne zu. Nun ist sie gerade wieder wie früher. – Und er geht ärgerlich hinaus, das Kind auf den Zehen hinter ihm drein. Es wendet noch einmal das blasse Gesichtchen nach dem Bett und suchend nach der Decke, als müßte das blaue Männlein sich erbarmen und plötzlich aus der Decke brechen und wieder da hängen, und halb warnend, halb lächelnd, auf die Lippen deuten. Aber die Decke bleibt weiß, und Papa ist ärgerlich, und Mama wird immer vergnügter, je ärgerlicher Papa ist. Dann fährt man nach Hause; der Wagen wird geschlossen, weil es kühl ist. Armer Papa, er kann doch keine Feste feiern.
Neuntes Kapitel.
Das blaue Männlein
Papa und Mama sind abgereist nach Berlin, und die weißblaue Fahne hält den Winterschlaf. Die Bäume trauern und lassen alle schönbunten Blätter herunterfallen: es schreien die Raben. Sie wissen, daß bald Schnee kommt. Seelchen lernt nähen und hat die allergeschicktesten kleinen Hände, die Nadel geht immer ganz von selbst dorthin, wo sie sollte. Frau von Hardenstein ist ganz erstaunt darüber und verspricht ihr, daß sie nun bald Weihnachtsarbeiten machen dürfe. Und sie weiß schon, was sie will, einen Stuhl will sie sticken für Harros Salon. Mit schönen Vorhangblumen. »Auf seinem Stuhl sind so häßliche Würmer.«
»Ornamente,« verbessert Frau von Hardenstein, aber Seelchen weiß ganz gewiß, daß es große und kleine Würmer sind, über dem hört man Harros Schritt draußen. O wie lange war er nicht mehr da. Er bringt eine sehr schlechte Laune mit.
»Gib Ruhe, Seelchen, ich bin widerwärtig heute. Ein alter, verdrießlicher, knarriger, schnorziger Höhlendachs. – Ich weiß wirklich nicht, warum ich euch eine solche Laune ins Haus trage.«
»Harro, ist Ihnen etwas Besonderes geschehen? Dieses Wetter ist zu trübselig. – Ich meine, wir machen Licht.«
Es ist sehr behaglich in der alten Lernstube mit ihren alten Empiremöbeln, die blauen Vorhänge werden heruntergelassen, das elektrische Licht glüht auf in der kleinen Glaskrone, auf dem großen Tisch steht ein weißer Rosenstrauß aus dem Gewächshaus.
»Harro, was ist Ihnen geschehen?« »Wie gütig, Frau Mutter, das noch einmal zu fragen. Ich warte ja nur, bis ich mich erleichtern kann. Nein, geschehen ist nichts, nur ein paar Einstürze unterm Steinwerk, die mich in meinem Bett zu verschütten bestrebt waren, es ist ihnen aber vorbeigelungen, – ein Balken hält noch. Maurer steigen herum und werfen Staffeleien über den Haufen... nein, geschehen ist nichts!«
»Wie traurig, Harro! Ich sorge mich um Sie.«
»Seelchen,« rief er, »mache keine rabenschwarzen Augen, wenn du eigentlich graue hast, komm erzähl uns etwas. Wir wollen unser nächstes Fest bereden, das Haselnußfest.«
»Ich war doch schon in Schloß Schweigen mit Papa und Mama.«
»Oh, du warst schon, wie schade, ich hatte mich eigentlich sehr darauf gefreut, es dir zu zeigen. Wie war's? Erzähle, Seelchen! Hast du den alten Spiegel gesehen und die schönen Linden! Wir gehen noch einmal nach Schweigen zur Efeublüte, die muß ja jetzt bald sein, und einmal muß doch wieder die Sonne scheinen. War es schön, Seelchen?«
»Ich habe aus dem Brünnlein getrunken, mit Papa aus silbernem Becher, daß ich es nie vergesse. Daran die Fee saß und der Ritter in eisernem Panzer.«
Harro lacht hell auf und schlägt sich auf die Schenkel.
»Du bist ein lebendiges Märchenbuch... Wie gemütlich ist's bei euch und wie die Rosen duften! Und Frau Mutter strickt an einem Ding, das meine Tante Uli einen Seelenwärmer nennt. Stricken Sie mir doch auch einen, ich kann's brauchen in meinem feuchten, rutschenden Dachsbau. Komm, erzähl vom Ritter und der Fee, Seelchen.«
»Ach, die Geschichte weiß man nicht mehr, und ich mag auch nichts mehr erzählen. Papa habe ich in Schloß Schweigen geärgert und ihm den schönen Tag verdorben, und Mama hat sich darüber gefreut. Und sie mag Schloß Schweigen gar nicht, weil es nach Gespenstern riecht.«
»Wie riechen denn die?« »Altmodisch, sagt Papa, und, Harro, was sind denn Gespenster?«
»Wie kann ich das wissen? – Du mußt dir abgewöhnen, immer zu meinen, ich sei allwissend.«
»Warum hat sich denn der Fürst über Sie geärgert? Sie haben mir gar nichts davon erzählt,« fragt Frau von Hardenstein.
»Ich habe mich geschämt. Ich sollte nicht auf den Zehen gehen, und als ich den Vorhang küßte, war Papa zornig ... Und das mußte ich doch.«
»Warum denn, Seelchen?«
»Ach Harro, ich mußte! Ich konnte in dem Zimmer doch nicht laut sprechen, in dem sie lag ... sie ... ach nun sind wir wieder an ihr, der Frau mit dem Silberkleid. Ein blaues Männlein hing von der Decke,« das Seelchen weint fast, »und Papa will mir's nicht glauben.«
»Das mußt du deinem Vater nicht übelnehmen, wenn ich hinübergehe, werde ich wohl auch kein blaues Männlein sehen. Wir sollten Kompagniegeschäfte machen ... deine Augen und die meinen ... Nun und sie! Wieder im Silberkleid und den ...«
»Harro, ich möchte Sie dringend bitten,« unterbricht Frau von Hardenstein.
»Entschuldigen Sie, Frau Mutter, aber das blaue Männlein, das ist doch gestattet!«
Seelchen stellt es dar mit einem blauen Regenmantel und Kapüzchen.
»Und das sonderbarste an dem Männlein war, hinten wuchs ein Hirschgeweih heraus und darauf steckten Kerzen.«
»Ach, du meinst eine Leuchterfigur ... Und darum heißt das Schloß Schweigen! Ach, wenn du's nur auch lerntest, Seelchen. Natürlich am rechten Fleck, meine ich ... Aber dein Männchen hat mich doch gefreut, das gäbe eine feine Leuchtfigur für ein Musikzimmer, Seelchen. Will mir's doch merken. Und das Männlein muß eine Laterne tragen, worin das Licht ist. Schweigen!« Auf dem finstern langen Heimweg sinnt der Thorsteiner so vor sich hin – das blaue Männlein ... Kein Mensch weiß, warum das Schloß Schweigen heißt. Wo die Herren ihre lärmenden Jagden abhielten. »Ich muß doch den Domänenrat fragen, wie lange das Schloß nicht mehr bewohnt war.«
In der Ruine lärmen immer noch die Maurer, und weder Ofen noch Wände haben Vernunft angenommen. So wandert der Thorsteiner am nächsten Tage nach Brauneck. Er erfährt nicht viel. Seit zweihundert Jahren ist das Schloß nicht mehr dauernd bewohnt, vor achtzig Jahren ist es neu eingerichtet und das alte Gerümpel hinausgeworfen worden. Der Fürst hält sehr darauf, daß nichts geändert wird. Schon im sechzehnten Jahrhundert hieß es Schweigen. Ob der Fürst wohl gestattet,