Mit diesem Sieg mußte sich Harro begnügen.
Alfred bat: »Harro, laß dich herab zu einem so unbedeutenden Gewächs, wie ich bin, und erkläre mir ein bißchen. Hat das Bild auch einen Namen?«
»Es hat einen. Alfred,« rief die Rose mit ihrer hellen, feierlichen Stimme. »Es heißt: Der Schleier der Gisela... Und mit den Reihern sollt ihr anfangen, die droben an dem grau versponnenen Himmel fliegen, mit ihren schweren dunkeln Schwingen wie traurige und sehnsüchtige Gedanken, wie sie dahinstürmen über die sanften Wipfel der klagenden Bäume. Es ist ein Tränental. Und das stille dunkle Wasser, in dem sich kein Blümlein spiegeln will, es kommt wohl aus einem bitteren Bächlein geflossen. Nur die herabgefallenen Blätter umsäumen seine Ufer. Und vorne am Ufer ist die Rose... Es ist unnötig, sie zu bedauern, ganz unnötig. Ihr seht ja den Schleier, von dem sie gehalten wird, von der schönen geheimnisvollen königlichen Frau, die hinter sie getreten ist... Ach. ihr wolltet wohl auch von der Hand berührt werden, die das bittere Leidenszeichen trägt, wenn ihr in Kummer seid. Es ist kein Wunder, daß die Rose den Schleier, der von dem königlichen Haupte herunterwallt, mit ihren beiden Händen an ihrem Herzen zusammenfaßt. Seht ihr den leichten Himmelswind, der den Schleier faßt; und ihr seht doch alle, daß die Königin der armen Rose etwas weist. Dorthin soll sie sehen, dorthin...«
Hans Friedrich ging ganz leise zum Flügel, er hatte sie wohl alle vergessen, seine auf Musik gestimmte Seele suchte sich ihren Ausdruck in zarten Akkorden, und es erklang das Finale des Herrgottsnarren:
O Ehrenburg, sei nun gegrüßet mir.
Tu auf die Gnadenpfort...
Sie achteten es kaum, nur die Rose lächelte hinüber.
Tante Ulrike ließ sich hören. »Harro, die zarte Rose in ihrem grauen Wolkenkleid und dahinter die silberne Königin, es ist doch ein silbernes Kleid, und der dunkle grüne Hintergrund, die Bäume und wieder Bäume, die eine solche Tiefe des Waldes ahnen lassen, wie hast du das erfaßt! Es ist auch eine Dichtung, Harro. Du mußt mir sagen, wie du darauf gekommen bist.«
Harro erwiderte bescheiden: »Die Rose dichtet, sie ist eine Dichterin. Das Bild hat sie mir abringen müssen bis zuletzt. Mir ist gar kein Verdienst dabei zuzumessen. Aber wenn es euch ergreift, und wenn sogar meine Uli Zugeständnisse macht, so wird es daher kommen, weil es erlebt ist.« »Und nun,« sagte die Rose, »müßt ihr mir alle die Hand geben und mir gratulieren, denn ich habe so sehr das Bild ersehnt, und es hat Harro über schlimme Stunden hinweggeholfen. Ihr seht es ja der Rose an, daß sie auf ihre Art und Weise sehr glücklich ist.«
Sie versicherten es alle... und es gab ein großes Küssen und Händeschütteln und Liebhaben, daß es Harro fast bange werden wollte. ^
Er rief: »Herrschaften, laßt mir auch noch etwas von der Rose übrig...« Da ertönte zum Glück der Gong, und alle verabschiedeten sich zu ihrem zweiten Frühstück. Die Rose hatte schon etwas gegessen, und Harro nahm fast nie an der Tafel teil, die ihm für seine Ungeduld stets zu lange dauerte. Mit Mühe brachte ihn die Rose dazu, daß er im Saal neben ihr ein kurzes Mahl einnahm. Sie selbst genoß nichts, nur von seinem Weinglas nippte sie ein wenig.
Eine schöne Sonne schien vom mild blauen Himmel und die Waldberge trugen ihr buntestes Herbstkleid. Es war noch kein Frost gefallen und die Schönheit der Wälder stand noch auf der Höhe. So metallisch das Grün, so leuchtend das Gelb und Rot.
»Wir gehen in den Park, Rose,« schlug er vor.
»O wie gerne, Harro, nur – du weißt, ich war noch nicht bei Mama.«
»Liebste, tu mir das heut nicht zuleid. Denk an deine Nächte. Und mich wirst du heute nicht los, und wie kannst du mir zumuten, daß ich daneben stehe, wenn nach dir gestoßen wird. Komm, Heinz ist unten mit seinem Fips und der Babette.«
»Als ob die Mama nur noch ein unfreundliches Wort sagte, Harro... Die arme Mama, oben hinter ihrer Glastüre!«
»Tut sie das nicht mehr, Rose... Ja, dann ist's etwas anderes!... Märt!«
Sie trugen die Sänfte hinauf und stellten sie vor der Türe nieder. Harro hob die Rose heraus und flüsterte: »Ich trage dich hinein, dann weiß ich, was geschieht.«
Die Fürstin saß in ihrem Lehnstuhl am Fenster, wo sie immer saß, und beim Anblick der beiden hielt sie sich mit beiden Händen an ihrem Stuhl fest und ein lähmendes Entsetzen schien sie zu befallen. Die Rose glitt an ihrem Mann herunter und ging mit ihren mühseligen Schritten auf die Fürstin zu und legte sanft und wie beschützend den Arm um sie.
Die Unglückliche schmiegte sich an sie und stieß hervor:
»Du – – – du...« Dann sah sie halb trotzig, halb jammervoll auf den erblaßten Harro.
»Nicht fürchten, gar nicht fürchten,« flüsterte die Rose, und beugte sich herab und küßte sie leise auf die Stirn. Und wie sie so dastand, hatte sich ihre Haltung einen Augenblick gestrafft und in ihrer beschützenden Gebärde und in dem schönen Haupte sah sie plötzlich seiner Gisela ähnlich.
Dann bat sie: »Trag mich hinunter, Harro, bitte... Lebewohl, Mama...«
Harro küßte die Hand der Fürstin und murmelte etwas Teilnehmendes, und dann brachte er seine Rose wieder zu ihrem Stuhl. »Es hat dich angegriffen, ich hätte es nicht tun dürfen, Rose.«
Sie war sehr blaß geworden und sagte: »Harro, muß man nicht das innigste Mitleid haben, wenn man sich Mama noch vor einem Jahre denkt? Oh, ihr müßt Geduld mit ihr haben und sie hinter ihrer Glastüre nicht ganz verlassen.«
Er nickte und sagte: »Rose, sie muß etwas Fürchterliches erlebt haben, von dem wir nichts wissen... Etwas, was sie ganz zerbrochen hat. Entsetzlich, so ein zerbrochener Mensch. Glaube mir, Rose, sie hat eine Schuld auf dem Gewissen ...«
Die Rose schwieg, und er war froh, daß sie nicht weiter darüber sprach.
Für den Park hatte man einen ganz leichten Wagen mit einem Pony bespannt, damit konnte man fast alle Wege fahren, nur mußte man stets auf die Nordseite zurückkehren, weil nach Süden Terrassen mit ihren Steintreppen lagen.
Harro nahm die Zügel über den Arm und schritt nebenher. Wie eine blasse Königin saß sie in ihren Kissen, ein blauer Samtkragen um ihre Schultern. Der gut gezogene Pony ging in langsamem Schritt und blieb sofort stehen, wenn man es verlangte. Es war noch gar kein Frost gekommen, trotzdem es Ende Oktober war, und die Blumenbeete standen noch in üppiger Fülle. Auf der Rosenterrasse blühten noch die Rosen, zwischen den Spalieren, die die alten Mauern bis oben verdeckten, glühten die Kapuziner in reicher Pracht. Und ein Duft von Herbstveilchen erfüllte die Luft...
Sie schwiegen beide, und doch redeten ihre Seelen miteinander. Dort auf die Steinplatten, die die Mauerkrönung bildeten, hatte der Ruinengraf einst das Seelchen gestellt und an seiner Hand nun plötzlich zu seiner Augenhöhe emporgehoben, hatte sie den wundervollen schwindligen Gang machen dürfen, wobei man sich einbilden konnte, man könne unmittelbar in das Tal hinunterfallen bis zu dem Silberfluß. Dort an jener Stelle, wo die steile Steintreppe mit ihrem Efeugeranke zur Brücke hinaufführte, hatte das Seelchen am Abend ihrer Konfirmation Abschied genommen von dem Freund.
Ihre Augen treffen sich und sie lächelt. Nein, sie wird nicht ohne ihren Harro zu den seligen Gärten kommen... nun ist es fest und stark im Feuer der Trübsal geglüht und gehämmert, das goldene Band. Der Winterwald taucht vor ihr auf, das goldene Tor, die himmlischen Rosenkränze. Geht er nicht sehr schnell, der Pony? Man muß ein wenig halten. So schnell wie das alles vorübergeht. Hielt sie nicht eben noch die Hand des fremden Mannes in ihrer Kinderhand, und in unendlicher Ferne lag das goldene Tor... und nun ist sie schon so nahe... O du schöne geliebte Heimaterde, du silberner Fluß im Tal, ihr goldroten Waldberge, du altes Mauerwerk, du Kapellenturm dort über der Efeuwand. –
Sehr blaß ist die Rose, es ist keine Rose so blaß in ihres Vaters Garten. »Rose,« seufzte er... »Es hat dich zu müde gemacht ... all die Menschen... und nun müssen wir die Runde machen. Bis zum Mauerpförtchen, und dann trag ich dich die äußere Treppe zum