Die unerträgliche Leichtigkeit der Schulden. Axel Stommel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Axel Stommel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783963177538
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bestellter und bezahlter Schutzausrüstung durch die USA auf fremden Territorium; der Landesvater legt nach und bezeichnet das Verhalten der Gegenseite »unmenschlich«.

      Der Beschuldigte kontert mit dem zwar wenig konkreten, dafür aber umso heftigeren Vorwurf, der Berliner Senat entfalte eine regelrechte »Desinformationskampagne« gegen den Realisator der Luftbrücke: SoDer Tagesspiegel vom 4.4.2020, S. i, bzw. vom 22.4.2020, S. 3.

      30Konnten sich besonders hart von der Epidemie getroffen EU- bzw. Euro-Mitglieder wie Italien der Hilfe ihrer besser gestellten EU-Partner sicher sein? Dass sie medizinische Hilfe schicken, dass sie endlich in die Logik einer Währungsunion einwilligen und gemeinsam für die gemeinsame Währung bürgen? Keineswegs. Deutschland verhängte umgehend ein Ausfuhrverbot für medizinisches Gerät.

      Wirkungsvolle, erste Hilfe erhielten die Italiener aus China, Russland und Kuba. Aufgrund des katastrophalen Eindrucks, den dieser Vorgang in Zeiten der Not erweckte, erklärte sich Deutschland später zwar schon noch zu halbherzigen Hilfsleistungen bereit – dennoch werden eh schon EU-skeptisch gewordenen Italiener diese Vorfälle nicht vergessen, solange sie leben.

      Mit Corona tritt wieder einmal das Grundproblem der EU an den Tag: Während im Bundesstaat USA der New Yorker im Kalifornier einen Landsmann sieht, sieht der Deutsche im Italiener, der Lette im Zyprioten einen Fremden; Polen und Portugiesen verbindet wenig mehr als ihre beiden Anfangsbuchstaben. Für ein »Hier wächst zusammen, was zusammengehört«, fehlt die Grundlage. Für EU und Euro wird die Luft dünner, Corona wird zu einem weiteren Streitpunkt, der die dominanten Merkmale der Politik eines jeden Mitglieds verstärkt hervorkehrt. Es gibt kein ›europäisches Volk‹, sondern nur viele (und viele sind mitunter weniger als eins).

      Mehr zu Problemen von EU und Euro bei AXEL STOMMEL, Basics…, S. 227 ff., sowie AXEL STOMMEL, Die Reichen, die Banken, die Schulden und wir, Bad Homburg 2012, S. 15–66.

      31So z. B. der Prozess wegen der fahrlössigen Tötung von 21 Teilnehmern der Duisburger Loveparade von 2011.

      32Physische Distanz, wohlgemerkt, nicht »soziale Distanz«, wie es auch die promovierte Physikerin im Kanzleramt in grober Verkennung der Unterschiede nennt, ist Ersatz- bzw. Folgegebot. Während die Kosten der physischen Distanzierung nicht quantifizierbar sind (jedenfalls nicht kardinal), sind die Stillstandskosten der Wirtschaft als prozentualer Rückgang des Bruttoinlandsproduktes zumindest grob bezifferbar. Die diesbezüglichen Schätzungen der Experten bewegen sich bei Abfassung dieser Schrift mehrheitlich in einem Korridor zwischen 2,5 und 25 % des Bruttoinlandsproduktes – bereits der kleinere ist ein enormer Wert!

      Übrigens kritisiert auch die Denkfabrik der Bundeswehr, das German Institute for Defense and Strategic Studies (GIDS), diesen Preis; in ihrer Studie zur Corona-Pandemie vom 5.4.2020 bemerkt sie mit der ihr gebotenen Zurückhaltung in betriebswirtschaftlicher Sprache und ebensolchem Denkmuster: »Die Fixkosten für die Aufrechterhaltung einer strategischen Reserve, sei es beim Personal oder Material, könnte am Ende weit geringer anfallen als die unmittelbaren Kosten und vor allem die daraus resultierenden Folgekosten, die in einer Krise entstehen. Hier muss Deutschland dringend nachbessern… (I)n Zukunft muss mehr auf die Diversität der Zulieferer, auf Vorratshaltung und Vermeidung von Redundanzen geachtet werden.« Weiterhin wird beklagt, dass alle Welt »offensichtlich blind in eine Katastrophe gerauscht ist.« Mehrfach warnt das Institut vor der Gefahr von Wiederholungen; ein »Nach der Krise ist vor der Krise« durchzieht den ganzen Bericht.

      En passant befürchten die militärischen Vordenker, ihrem Auftrag entsprechend, einen Bedeutungsverlust des Militärischen als Folge der Pandemie, nämlich weil »der Begriff ›Sicherheit‹ für die meisten Menschen jetzt und wohl auch auf absehbare Zukunft fest mit Gesundheit, sozialer und wirtschaftlicher Sicherheit in Verbindung gebracht werden dürfte.« Und ihre Warnung vor dem Antimilitaristen erweist sich übrigens umgehend als begründet; wendet sich doch schon zwei Tage später die deutsche Sektion der mit einem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Ärzteorganisation IPPNW z. B. mit folgendem Aufruf an die Öffentlichkeit: »Es kann nicht sein, dass wir im Dauereinsatz gegen die Folgen der Coronapandemie sind und es überall an medizinischer Ausrüstung fehlt, während gleichzeitig Milliarden in atomare Aufrüstung investiert werden.« (https://kurzlink.de/Brief_IPPNW)

      3 »Schuldenbremsen verlangen Sparpolitik« – ein Denkfehler

      Hier der angekündigte Denkfehler über die Beziehung zwischen Schuldenbremsen, Schwarzen Nullen, Wirtschafts-, Sozial- und Klimapolitik. Obwohl der Fehler schnell und leicht offenzulegen ist – man benötigt dazu noch nicht einmal eine DIN-A4-Seite –, erfreut er sich weitester Verbreitung.

      Was also besagt eine Schwarze Haushaltsnull? Tatsächlich besagt sie einzig und alleine, dass die staatlichen Einnahmen (E) den staatlichen Ausgaben (A) entsprechen:

       E = A

      Wenn E gleich groß ist wie A (und umgekehrt), dann ist der Haushalt ausgeglichen: Die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben ist null – die Schwarze Null ist erreicht, die Schulden sind ausgebremst.

      Der Ausgleich von E und A ist auf jedem erdenklichen Niveau möglich: E und A können beliebige Werte annehmen; beide müssen nur jeweils gleich sein. Zu der Frage, auf welchem Niveau der Ausgleich stattfindet, tief im Keller der Austeritätspolitik oder auf einer der Entwicklung angemessenen Höhe, womöglich gar in der dünnen, in Demokratien eh kaum mehr erreichbaren Luft gleichsam feudalistisch-verschwenderischer Staatswirtschaft – zu dieser Frage sagen Schwarze Nullen und Schuldenbremsen rein gar nichts.

      Indem Schwarze Nullen bzw. Schuldenbremsen für jede Steuersenkung, wie sie laufend von den bekannten Verdächtigen, den »wirtschaftsnahen Kreisen«, gefordert wird, eine entsprechende Ausgabensenkung als Gegenfinanzierung verlangen, erschweren sie unverantwortliche Steuersenkungen einschließlich der Versuchungen eines Steuersenkungswettbewerbs politischer Parteien insbesondere in Wahlkampfzeiten. Hier bremsen sie.

      Für Einnahmeverbesserungen, folglich auch für erweiterte staatliche Handlungsspielräume und Aufgabenerfüllung sind die Schuldenbremsen dagegen uneingeschränkt offen. Hier bremsen sie nicht. Dabei ist es gleichgültig, ob die Einnahmeverbesserungen aus endlich gewährleistetem, ordentlichem Steuervollzug stammen, aus dem Stopfen von Steuerschlupflöchern oder aus einer überfälligen, sach- und leistungsfähigkeitsgerechten Gestaltung von bestimmten Steuerarten und Steuersätzen: Sie bremsen in keinem Fall.

      Was folgt aus diesen Feststellungen? Und worin bestehen überhaupt die Besonderheiten des wirtschaftenden Staates im Gegensatz zu den privaten Hauswirtschaften einerseits und den produktiven Wirtschaftsunternehmen andererseits?

      Verfolgen wir die Fragen nacheinander in den Kapiteln 4 und 7 und beginnen mit der privaten Hauswirtschaft.

      4 Der Staat und die privaten Haushalte: Wer wirtschaftet einnahmen-, wer ausgabenbestimmt?

      Seit geraumer Zeit folgt die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik dem Vorbild der Schwäbischen Hausfrau: »Auskommen mit dem, was wir zur Verfügung haben«, lautet das kanzleramtliche, austeritäre, sprich sparsame Motto. Der grundlegende Fehler dieser Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik besteht darin, dass der Staat kein Privathaushalt ist und deshalb auch nicht so wirtschaften sollte, als wäre er einer.

      Im Privathaushalt sollen die Einnahmen die Ausgaben bestimmen; hier bilden die Einnahmen den Ausgangs- und Orientierungspunkt:

      EinnahmenAus gaben

      Im Staatshaushalt sollte es jedoch