Seeland Schneeland. Mirko Bonné. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mirko Bonné
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783731761891
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Jacketts – zwei Briefumschläge, die absolut identisch aussahen, adressiert in derselben Handschrift, frankiert mit der gleichen roten Marke, gestempelt an derselben Stelle. Die Briefmarke zeigte das hunderttausendfach reproduzierte Konterfei des Königs.

      Dafydd legte die Kuverts nebeneinander auf den Tisch. Die Adressen ihren Eltern zugewandt, schob er ihnen beide Umschläge hinüber.

      Tonlos sagte er: »Den erhielt gestern Gonny Frazer, die ihn mir überlassen hat – zusammen mit diesem, den Mari Simms bekommen hat.« Er hob abwehrend die Hände und lächelte. »Keine Fragen bitte nach wie oder warum – ich stehe bei beiden Ladys im Wort.«

      »Ladys!« Regyn konnte sich vor Entrüstung kaum halten.

      »Ihr braucht die Briefe nicht zu lesen, Dad. Es steht Wort für Wort dasselbe darin, nur die Anreden sind verschiedene. Ennid hat den Brief zweimal kopiert, bevor sie ihn Gonryl, Mari und Reg geschickt hat.«

      »Auch die beiden – abgestempelt in Portsmouth«, sagte ihr Vater über die neuen Beweisstücke gebeugt, ehe er sie vorbei an Zeitung und Teetablett weiterschob. Auf ihrem Rückweg griff seine weiß behaarte Hand nach dem Glas Brandy.

      »Euer Bruder wird Ferien machen«, sagte ihre Mutter, indem sie sich zurücklehnte und tief Luft holte. Ihre schwere Brust und so auch eine der großen weißen Gespensterblüten hob und senkte sich. Tief aufgewühlt, rätselnd, verständnislos, deswegen nach Halt suchend in ihrem Innern, in ihrer durch nichts zu erschütternden Güte, fasste sie die Briefe nicht an, würdigte sie keines Blickes. »Vielleicht fährst du nach Pontyprydd, Merce. Oder du besuchst diesen Tom Clean drüben in Irland. Er scheint mir ein anständiger Mann zu sein.«

      »Ein Besuch bei Tom Crean«, sagte Bakie höflich und wie immer darauf bedacht, seine Schwiegermutter nicht zu brüskieren, »eine phantastische Idee, Gwendolyn. Er lebt noch immer in Annascaul, keine Stunde von Dingle entfernt.«

      »Hat er nicht einen Pub dort?«, fragte Dafydd.

      Bakie nickte. »Die Kneipe am Südpol, die wir uns wünschten und die es nie gab. The South Pole Inn.« Er lächelte.

      Und Dafydd sagte: »Diese Iren, ich weiß ja nicht. Grad jetzt scheinen sie mir kein sehr friedliches Völkchen zu sein.«

      »Friedlich wie wir sind sie allemal.« Gwen Blackboro seufzte und blickte in die Runde. »Wohin du fährst, entscheide selbst, sweetheart. Ich meine, zwei Wochen werden reichen, um diesen Wahnsinn zu beenden. Wenn alle einverstanden sind, sehen wir danach weiter.«

      Damit war die Beweisaufnahme beendet. Der Strafantrag zeichnete sich durch Milde aus, im Stillen musste selbst er das einräumen.

      Also stimmten sie ab und einigten sich in Ermangelung eines besseren Vorschlags auf den richterlichen.

      »Bitte sag wenigstens Ja oder Nein«, bat seine Mutter sanft und sah ihn dabei an mit ihren traurigen dunklen Augen.

      Kein Wort war über seine Lippen gekommen, aber auch das hatte ihm nicht weitergeholfen. Am liebsten wäre er vom Stuhl gesunken und hätte schluchzend die Hände in den Teppich gegraben. Unter dem Tisch liegend, zugedeckt mit dem Echo, wäre er wimmernd irgendwann eingeschlafen. Während alle Blicke auf ihn geheftet waren, erschien ihm nichts so erstrebenswert, also nickte er eben, zuckte mit den Achseln und sagte: »Ja.«

      9

      »Bryn, mein Knecht, gib her, gib schon, deinen Arm. Arm!«

      Robey lallte und schwankte, bis Meeks bei ihm war und ihn stützte. »Und jetzt befiehl diesem Lift, augen… – augenblicklich soll er runterkomm’, wenn er nich vermöbelt werden will!«

      Meeks drückte den Knopf. Robey legte den Kopf schief und lauschte, und als sie hörten, wie sich der Mechanismus in Gang setzte, erschien ein breites Grinsen auf seinem Gesicht, ein U, dachte Bryn Meeks, durch Robeys Nasenlöcher wurde es zu einem deutschen Ü.

      »Aha! Hat er gehört!« Der Aufzug kam, und die Türen gingen auf. »Elletrisch, moderne Baukuns!«, lallte Robey und sang und grunzte dabei: »God sha-a-ave the King …!«

      Meeks sagte: »Treten wir etwas beiseite.«

      Einen Kopf kleiner, 20 Jahre älter und um einiges beleibter, zog er Robey, der sich am Fahrstuhleingang festklammerte, zwei Schritte zur Seite, damit ein älteres Ehepaar und eine junge Frau in Abendgarderobe aussteigen konnten.

      »Alle raus! Los!«, grölte Robey den dreien entgegen. »Ist meiner. Mein Lift!«

      Es war zwar Abend, aber noch keine zehn Uhr. Seit sie angekommen waren, hatten sie nichts gegessen, doch schon im Zug hatte Robey getrunken, drei Manhattans, dann vier weitere an der Hotelbar. Den ihm aufgedrängten Drink hatte Meeks am Tresen absichtlich umgestoßen und den Ersatz – Robey bestand darauf (»Ist ein Befehl, alte Motte!«) – nicht ausgetrunken.

      Trotzdem war ihm leicht übel und verzog sich jedes Gesicht vor seinen Augen zu einer verschwommenen Grimasse. Die junge Frau, die aus dem Lift trat, trug ein Stirnband, an dem ein großer Stein funkelte. Sie duftete. Freundlich bedankte sie sich, drehte sich nach ihnen um und lächelte auf einmal spöttisch und schauerlich.

      »Was haste da am Kopf, Maiglöckchen?«, fragte Robey. »Ist das dein Auge?«

      Die junge Frau antwortete mit gut lesbaren Lippenbewegungen und verschwand.

      Das alte Ehepaar entfernte sich kopfschüttelnd. »Haut ab, ihr Gerippe!«, rief er ihnen nach, während Meeks ihn in die silbern ausgeschlagene Kabine bugsierte.

      Darin wartete ein Liftboy in Livree, mit einer Schirmmütze, auf der The Moon stand. Er wünschte ihnen einen guten Abend und fragte nach dem Stockwerk.

      »Erst mal fahren wir los und gucken uns die Gegend an, Junge«, brachte Robey unter einigen Schwierigkeiten hervor.

      Im achten Stock stiegen sie aus. Meeks führte Robey am Ellbogen durch den stillen Korridor und behielt dabei die Zimmernummern im Auge: golden glänzende Ziffern an weißen Türblättern.

      »Was ist das?« Ohne anzuhalten, wies Diver mit einem Nicken auf seine in Hüfthöhe ausgestreckte Hand.

      »Sieht aus wie Ihre Brieftasche.«

      »Was macht die da?«

      8007, 8008, die Zahlen wurden größer. Also gingen sie in die richtige Richtung. Doch bis 8065 war es noch weit durch dieses lunare Labyrinth. Er dachte an den Rückweg von Robeys Suite und fragte sich, wo das Treppenhaus des Moon war, durch das er hinunter in den Sechsten gelangen könnte, zu seinem eigenen Zimmer. Neben den großen Suites im siebten und achten Stock war kein kleineres Zimmer frei gewesen.

      »Sie haben dem Liftboy fünf Dollar gegeben.«

      Robey fragte, wofür. »Wie viel Pfund sind das, fünf Dollar? Er soll fünfzig kriegen, der kleine Stinker.«

      Offenbar konnte er sich an nichts erinnern. Nach dem dritten Glas hatte er den Barkeeper, der Brewster hieß, abwechselnd Bruce und Brian genannt, bevor er der Einfachheit halber auch zu ihm Bryn sagte. Sie unterhielten sich über die Prohibition in den Staaten. Der Barmann sagte, er wäre schon längst nach Amerika ausgewandert, könne sich in einer Milchbar zu arbeiten aber nicht vorstellen.

      »Blödsinn«, lachte Robey, »alles Quatsch, Bruce. Du kommst zu mir. In meinen Hotels gibt es Bars, keine Speakeasys. Gute Barmixer sind selten, ich suche ständig nach welchen.«

      Zwei glatte Lügen. Selbst seine Stiefmutter und er waren gegen das Alkoholverbot machtlos. Auch in ihren Hotels wurde nur heimlich in den Zimmern getrunken. Und: Er suchte vielleicht nach Flugzeugen – Maschinen, die imstande waren, über den Atlantik zu fliegen –, nicht aber nach Barmixern oder überhaupt irgendwelchen Menschen. Personalfragen entschied im Familienkonzern Estelle. Ohne ihr Okay wurde in 17 Hotels amerikaweit kein Gärtner oder Sektglasputzer, nicht mal eine Zimmermädchenwochenendvertretung eingestellt.

      »Sag mir, was du hier verdienst, Bruce, und ich zahle dir das Dreifache«, trompetete er. »Raus mit der Sprache, alter Freund.« Er lachte. Ausgelassen