Es war Mittagszeit vorüber, schweigende Ruhe lag über dem Tal. Des heiligen Benedikt Regel ordnet für diese Stunde, dass ein jeder sich still auf seinem Lager halte, und wiewohl von der gliederlösenden Glut italischer Mittagssonne, die Menschen und Tier in des Schlummers Arme treibt, diesseits der Alpen wenig zu verspüren, folgten sie im Kloster doch pflichtgemäss dem Gebot. Nur der Wächter auf dem Torturm stand, wie immer, treulich und aufrecht im mückendurchsummten Stüblein.
Der Wächter hieß Romeias und hielt gute Wacht. Da hörte er durch den nahen Tannwald ein Rossgetrabe; er spitzte sein Ohr nach der Richtung. Acht oder zehn Berittene! sprach er nach prüfendem Lauschen; er ließ das Fallgatter vom Tor herniederrasseln, zog das Brücklein, was über den Wassergraben führte, auf und langte sein Horn vom Nagel. Und weil sich einiges Spinnweb drin festgesetzt hatte, reinigte er dasselbe.
Jetzt kamen die Vordersten des Zuges am Waldsaum zum Vorschein. Da fuhr Romeias mit der Rechten über die Stirn und tat einen sonderbarlichen Blick hinunter. Das Endergebnis seines Blickes war ein Wort: Weibervölker!? – er sprach's halb fragend, halb als Ausruf, und lag weder Freudigkeit noch Auferbauung in seinem Worte. Er griff sein Horn und blies dreimal hinein. Es war ein ungefüger stiermäßiger Ton, den er hervorlockte, und war dem Hornblasen deutlich zu entnehmen, dass weder Musen noch Grazien die Wiege des Romeias zu Villingen im Schwarzwald umstanden hatten.
Wenn einer im Wald sich umgeschaut hat, so hat er sicher schon das Getriebe eines Ameisenhaufens angesehen. Da ist alles wohlgeordnet und geht seinen gemeinsamen Gang und freut sich der Ruhe und der Bewegung: jetzt fährst du mit deinem Stab darein und scheuchest die vordersten: da bricht Verwirrung aus, Rennen und wimmelnder Zusammenlauf – alles hat der eine Stoss verstört. Also und nicht anders fuhr der Stoss aus Romeias' Horn aufjagend ins stille Kloster.
Da füllten sich die Fenster am Saal der Klosterschulen mit neugierigen jungen Gesichtern, manch lieblicher Traum in einsamer Zelle entschwebte, ohne seinen Schluss zu finden, manch tiefsinnige Meditation halbwachender Denker desgleichen; der böse Sindolt, der in dieser Stunde auf seinem Schragen des Ovidius verboten Büchlein »Von der Kunst, zu lieben« zu ergründen pflegte, rollte eiligst die pergamentnen Blätter zusammen und barg sie im schützenden Versteck seines Strohsacks.
Der Abt Cralo sprang aus seinem Lehnstuhl und reckte seine Arme der Decke seines Gemaches entgegen, ein schlaftrunkener Mann; auf schwerem Steintisch stund ein prachtvoll silbern Wasserbecken darein tauchte er den Zeigefinger und netzte die Augen, des Schlummers Rest zu vertreiben. Dann hinkte er zum offenen Söller seines Erkers und schaute hinab.
Und er ward betrüblich überrascht, als wär' ihm eine Walnuss aufs Haupt gefallen: Heiliger Benedikt, sei mir gnädig, meine Base, die Herzogin!
Sofort schürzte er seine Kutte, strich den schmalen Büschel Haare zurecht, der ihm inmitten des kahlen Scheitels noch stattlich emporwuchs gleich einer Fichte im öden Sandfeld, hing das goldene Kettlein mit dem Klostersigill um, nahm seinen Abtsstab von Apfelbaumholz, dran der reichverzierte Elfenbeingriff erglänzte, und stieg in den Hof hernieder.
Wird's bald? rief einer der Berittenen draußen. Da gebot er dem Wächter, dass er die Angekommenen nach ihrem Begehr frage. Romeias tat's.
Jetzt ward draußen ins Horn gestoßen, der Kämmerer Spazzo ritt als Herold ans Tor und rief mit tiefer Stimme:
Die Herzogin und Verweserin des Reichs in Schwabenland entbeut dem heiligen Gallus ihren Gruß. Schaffet Einlass.
Der Abt seufzte leise auf. Er stieg auf Romeias' Warte; an seinen Stab gelehnt gab er denen vor dem Tor den Segen und sprach:
Im Namen des heiligen Gallus dankt der unwürdigste seiner Jünger für den erlauchten Gruß. Aber sein Kloster ist keine Arche, drin jegliche Gattung von Lebendigem, Reines und Unreines, Männlein und Weiblein Eingang findet. Darum – ob auch das Herz von Betrübnis erfüllt wird – ist Einlass schaffen ein unmögliches Ding. Der Abt muss am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen über die seiner Hut vertrauten Seelen. Die Nähe einer Frau, und wär' sie auch die erlauchteste im Lande, und der hinfällige Scherz der Kinder dieser Welt wär' allzu große Versuchung für die, so zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten müssen. Beschweret das Gewissen des Hirten nicht, der um seine Lämmer Sorge trägt. Die kanonische Satzung sperrt das Tor.
Die gnädige Herzogin wird in Trogen oder Rorschach des Klosters Villa zu ihrer Verfügung finden...
Frau Hadwig saß schon lange ungeduldig im Sattel; jetzt schlug sie mit der Reitgerte ihren weißen Zelter, dass er sich mäßig bäumte, und rief lachenden Mundes:
Spart die Umschweife, Vetter Cralo; ich will das Kloster sehen!
Wehmütig hub der Abt an: Wehe dem, durch welchen Ärgernis in die Welt kommt. Ihm wäre heilsamer, dass an seinem Hals ein Mühlstein...
Aber seine Warnung kam nicht zu Ende. Frau Hadwig änderte den Ton ihrer Stimme. Herr Abt, die Herzogin in Schwaben muss das Kloster sehen! sprach sie scharf.
Da ward es dem Schwergeprüften klar, dass weiterer Widerspruch kaum möglich ohne große Gefahr für des Gotteshauses Zukunft. Noch sträubte sich sein Gewissen. Wenn einer in zweifelhafter Lage aus sich selber keine Auskunft zu schöpfen weiß, ist's dem schwanken Gemüt wohltätig, andere zu gutem Rat beizuziehen, das nimmt die Verantwortung und deckt den Rücken.
Darum rief Cralo jetzt hinunter: Da Ihr hartnäckig darauf besteht, muss ich's der Ratsversammlung der Brüder vortragen. Bis dahin geduldet Euch!
Er schritt zurück über den Hof, im Herzen den stillen Wunsch, dass eine Sündflut vom Himmel die Heerstraße zerstören möge, die so leichtlich unberufenen Besuch herbeiführe. Sein hinkender Gang war eilig und aufgeregt, und es ist nicht zu verwundern, dass berichtet wird, er sei in selber Zeit in dem Klostergang auf- und abgeflattert wie ein Schwälblein vor dem Gewitter.
Fünfmal erklang jetzt das Glöcklein von des heiligen Othmar Kapelle neben der Hauptkirche und rief die Brüder zum Kapitelsaal. Und der einsame Kreuzgang belebte sich mit einherwandelnden Gestalten; gegenüber vom sechseckigen Ausbau, wo unter säulengetragenen Rundbogen der Springquell anmutig in die metallene Schale niederplätscherte, war der Ort der Versammlung, eine einfache graue Halle; auf erhöhtem Ziegelsteinboden hob sich des Abtes Marmorstuhl, dran zwei rohe Löwenköpfe ausgehauen, Stufen führten hinauf. Vergnüglich streifte das Auge von dort an den dunkeln Pfeilern und Säulen vorüber ins Grün des Gärtleins im innern Hofe; Rosen und Malven blühten drin empor; die Natur sucht gütig auch die heim, die sich ihr abgekehrt.
In scharfem Gegensatz der Farbe hoben sich die weißen Kutten und dunkelfarbigen Oberkleider vom Steingrau der Wände; lautlos traten die Berufenen ein, flüchtig Nicken des Hauptes war der gegenseitige Gruß; wärmender Sonnenstrahl fiel durchs schmale Fenster auf ihre Reihen.
Es waren erprobte Männer, ein heiliger und Gott wohlgefälliger Senat. Der mit dem schmächtigen Körper und dem scharfen, von Fasten und Nachtwachen geblassten Antlitz war Notker, der Stammler; ein wehmütig Zucken spielte um seine Lippen, lange Übung der Askesis hatte seinen Geist der Gegenwart entrückt. Früher hatte er gar schöne Singweisen erdacht, jetzt war er verdüstert und ging in der Stille der Nacht den Dämonen nach, mit ihnen zu kämpfen; in der Krypta des heiligen Gallus hatte er jüngst den Teufel erreicht und so darniedergeschlagen, dass er mit lautem Auwehschrei in einen Winkel sich barg; und seine Neider sagten, auch sein schwermütiges Lied media vita sei unheimlichen Ursprungs und vom bösen Feind geoffenbart als Lösegeld, da er ihn in seiner Zelle siegreich zusammengetreten unter starkem Fuße festhielt.
Aber neben ihm