Schritte in der Nacht. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711570272
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aber ich verstehe mit den Autos umzugehen wie mit guten, willigen Tieren. Ueberlegen Sie sich meinen Vorschlag, Frau Gräfin. Ich werde mir erlauben, Ihnen morgen meinen Wagen zu zeigen. Vielleicht bekommen Sie dann Lust, ein Stündchen in den Wald zu fahren oder durch den Ort oder wohin Sie wünschen.“ Er erhob sich. „Ich bin als nüchterner Käufer gekommen und wählte eine beliebige Zeit. Wann darf ich meinen offiziellen Besuch machen?“

      Die alte Dame lächelte: „Ich erlasse Ihnen den offiziellen Besuch, Herr Willmann; aber Ihren Wagen dürfen Sie mir zeigen. Ich habe mir so ein Auto noch niemals genau betrachtet.“

      Gisa verwunderte sich immer mehr. Was für ein neuer Geist war nur in die Tante gefahren! Der Mann, der so aufreizend modern wirkte, und dessen kleines Spottlächeln sie störte, schien eine Art Hexenmeister zu sein. Unglaublich war es, dass sich die alte Dame, die das Wort „modern“ bisher schon fast als Beleidigung empfunden, ein Auto ansehen wollte.

      Er lächelte: „Um welche Zeit darf ich morgen vorfahren? Ich bin immer zu Ihrer Verfügung. Vielleicht darf ich Sie dann morgen gleich fahren. Glauben Sie mir, Frau Gräfin, Sie werden entzückt sein. Ich darf wohl annehmen, Sie, Komtesse, sind schon öfter im Auto gefahren?“ wandte er sich an Gisa.

      Sie sah ihn kühl an.

      „Nein, ich bin genau so rückständig wie meine Tante, und ich verspüre so wenig Verlangen, wie sie, nach diesem zweifelhaften Vergnügen.“

      Er lachte: „Wenn Sie erst einmal ein Stündchen gefahren sind, wollen Sie das Auto gar nicht mehr verlassen.“

      Ihre Lippen zuckten, und er dachte: Kleine hochmütige Kanaille, Geld hat sie wahrscheinlich gar keins; aber der Hochmut steift ihr den Nacken!

      Er neigte sich zu der alten Dame nieder.

      „Darf ich Ihnen mein Auto morgen vormittag vorführen? Vielleicht um zehn Uhr oder um elf oder lieber am Nachmittag um drei oder vier?“

      Franziska Wergenheim brummelte in sich hinein: „Aber mitfahren werde ich bestimmt nicht.“

      „Nein, nein“, beruhigte er, „es steht Ihnen frei, nach Ihrem Willen zu handeln. Ich freue mich ja schon. Ihnen mein hübsches Auto vorführen zu dürfen. Es ist ein Meller-Wagen. Wundervoll komfortabel ist er; aber die Firma ist kaputt gegangen; sie hat ihre Autos zu teuer gebaut. Ich war Kompagnon von Meller und werde hier auch Luxuswagen bauen. Aber ich hoffe zuversichtlich, dabei ein gutes Geschäft zu machen.“

      Die alte Dame hatte kaum zugehört.

      Sie sagte jetzt: „Kommen Sie morgen um drei Uhr. Ich sehe mir Ihren Wagen hier vom Fenster aus an.“

      Er ergriff die Rechte der alten Dame und küsste sie mit so viel Wichtigkeit und Zeremoniell, dass es Franziska Wergenheim war, als wären die schönen Tage ihrer Hofdamenzeit wieder erwacht. Damals hatte ihr Louis von Starke, des Herzogs erster Adjutant, so oft die Hand geküsst, so oft in süsser Heimlichkeit; aber ehe es so weit war, dass er ihr den Mund küssen konnte, starb er ganz plötzlich an einer ganz poesielosen Lungenentzündung. Sie hatte ihm ihre Liebe bewahrt, und Herbert Willmann hatte die freundliche Aufnahme bei ihr nur dem Umstande zu danken, dass er in Figur und Haltung ein wenig Aehnlichkeit mit jenem vor siebzig Jahren verstorbenen Offizier hatte. Wie ein heimlicher Gruss aus einem Grabe, das sie nicht kannte, mutete sie die Aehnlichkeit an. Louis von Starke war nach seinem Tode in die Gruft seiner Familie überführt worden, und sie war noch nicht seine offizielle Verlobte gewesen. Damals aber nahm man es mit solchen Dingen noch sehr genau, was die Form betraf.

      Nachdem Herbert Willmann mit tiefen Verneigungen gegen beide Damen gegangen war, sagte das Gnomenweibchen:

      „Schade, dass er bürgerlich ist. Ich glaube, das ist aber auch sein einziger Fehler! Ich finde diesen Autofabrikanten reizend. Ich habe mich lange nicht mehr so gut unterhalten wie heute.“

      Gisa hätte am liebsten widersprochen; aber sie musste immer Rücksicht auf das Alter der Urgrosstante nehmen. Widerspruch konnte sie erregen, und der Hausarzt hatte ihr eingeschärft: Keinen Widerspruch, wenn es nicht dringend notwendig ist. In diesem Alter kann die kleinste seelische Erregung wie ein rauher Lufthauch wirken und gesundheitlichen Schaden bringen.

      Die alte Dame sah Gisa an.

      „Eigentlich sollte ich mich doch ruhig einmal in sein Auto setzen, nicht wahr? Was könnte denn gross geschehen? Meine Tage sind sowieso gezählt, und wenn er selbst fährt, wie er versprochen hat, brauche ich auch sicher keine Angst zu haben. Ich bin schon lange nicht mehr weiter gekommen als hinaus in unseren kleinen Garten, und es muss schön im Walde sein jetzt im Frühling.“ Ganz langsam sprach sie weiter: „Ich habe unseren Buchenwald so lieb, und ich habe schon manchmal gedacht: Wenn ich doch noch einmal ein Stückchen hindurchlaufen könnte!“

      Gisa erwiderte rasch: „Wollen Kutscher Hahn mit seiner Droschke bestellen, Tantchen.“

      Die alte Komtesse blickte sie förmlich entsetzt an.

      „Um des Himmelswillen nicht! Nach der Fahrt in der alten Droschke ist man für lange Tage kaputt. Wie darfst du meinen alten Knochen das zumuten!“ Sie lächelte. „Ich bin neugierig aus das Auto morgen.“

      Sie dachte an die Aehnlichkeit der Gestalt, die Herbert Willmann mit dem jungen herzoglichen Adjutanten hatte, der nun schon seit siebzig Jahren der Ewigkeit entgegenträumte, und Gisa sann: Was war es nur, das sie zu gleicher Zeit an Herbert Willmann abstiess und anlockte? Es war ein ganz eigenartiges Empfinden, aus dem sie nicht klug wurde.

      2.

      Am nächsten Tage klangen kurz vor drei Uhr laute Hupensignale durch die stille Liliengasse. Die alte Komtesse Wergenheim sass am Fenster und sah das Auto vorfahren. Das musste sie zugeben: hochelegant sah es aus, und sie dachte, so ein vornehmes, teures Auto ist noch niemals durch die Liliengasse gefahren. Gleich darauf klingelte es, und Gisa machte dem Erwarteten auf. Lina war beim Abwaschen und hatte das Klingeln wieder einmal überhört.

      Herbert Willmann verneigte sich.

      „Gnädigste Komtesse, mein Wagen wartet. Ich hoffe Ihre Tante doch noch zu überreden. Was meinen Sie?“

      Gisa erwiderte kurz: „Ich halte es für möglich, obwohl es mir unfassbar ist.“

      Er lächelte. „Mir gelingt alles, was ich will. Nehmen Sie sich in acht vor mir, schönste Komtesse, denn ich will Sie.“

      Zorniges Rot bedeckte ihre Wangen.

      „Ich glaube, Sie vergessen, mit wem Sie sprechen, Herr Willmann.“

      Er lächelte ruhig weiter. „Bewahre, wie könnte ich das? Ich hoffe zuversichtlich, ich spreche mit einer jungen Dame, die nicht nein sagt, wenn ich sie bitte, meine Gattin zu werden, weil sie mir besser gefällt als alle jungen Mädchen, die ich bisher kannte. Und da ich zweiunddreissig bin, ist’s bald Zeit für mich, zu heiraten.“

      „Sie sind unverschämt!“ warf sie ihm empört entgegen.

      „Verzeihung, Komtesse, ich bin nur aufrichtig“, gab er zurück. Er blickte sie fast übermütig an. „Was wollen Sie, Komtesse, es gibt doch nun mal Männer und Frauen in der Welt, und die finden sich zu legitimen und illegitimen Pärchen zusammen. Wären Sie das Dienstmädchen der Komtesse Wergenheim gewesen, wie ich annahm, hätte ich versucht, Sie ohne Priestersegen zu küssen: da Sie aber selbst eine Komtesse Wergenheim sind, finde ich, Sie passen ausgezeichnet zur Herrin von Schloss Wernersruhe.“

      Gisa war wie erstarrt. War das, was dieser Mann, den sie kaum kannte, zu ihr sagte, nun eigentlich der Gipfelpunkt der Dreistigkeit oder war es nur Selbstbewusstsein? Und war seine Art die der modernen Männer von heute, die draussen in der grossen Welt lebten, und die sie nicht kannte? Die Herren, die hier ins Haus kamen, waren ohne Ausnahme ältlich oder alt; ihre Liebenswürdigkeit gegen Damen hatte etwas Altfränkisches, Verstaubtes.

      Sie gab darauf keine Antwort, sagte nur kühl: „Tante hat Sie vorfahren sehen und wird sich wundern, dass es so lange dauert, bis Sie bei ihr eintreten.“

      Er lächelte nur; aber sein Blick hing bewundernd an ihrem feinen, rassigen Gesicht