Der Gang durch das Ried. Elisabeth Langgässer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Langgässer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9788726482409
Скачать книгу
saßen, und trieb die Pferde an; die übrigen sprangen im Fahren auf, traten fluchend in Eisenspiralen, die von Sprungfedermatratzen herrühren mochten, und stolperten allmählich ein jeder auf seinen Platz, um mit angerückten Knien, ihre Oberfläche verkleinernd, sich mühsam zu vertragen. Die Räder knirschten noch lange durch die tiefe Einsamkeit, als schon Wälder, Ruinen und Nebelfetzen den Wagen eingeschluckt hatten, und die große Regenglocke gab den Schall getreulich weiter, bis er endlich nur noch ein Seufzen war und sich tränenmüde verlor . . .

      Jean-Marie Aladin saß auf der Pferdetränke, schob den merkwürdig schmalen Kopf mit den gehöhlten Schläfen, die stark durchädert waren, zwischen hilflosstumpfe Hände und starrte auf die Erde, die soviel gefressen hatte und immer weiter fraß.

      Da liegen, zwei Schuhe tief, zerbeulte Konservendosen mit stinkendem Fleisch und Fischen, die schon vergoren sind, Patronentaschen, durchnäßt von der verwesten Gallerte vergangener Embryonen, Zigarettenschachteln und leere Hülsen, die noch einmal hochgeschleudert und wieder verschluckt sein mögen. Fünf Schuhe tief stecken Silbermünzen aus den napoleonischen Kriegen. Sieben Schuhe tief blättern leise die fetten gelblichen Würmer zermürbte Schädeldecken erschossener Spanier, Schweden und deutscher Söldner um. Zwölf Schuhe tief ruhen Waffen und Schilde aus der eisernen Römerzeit und donnern dumpf in die Träume dieser ältesten Landschaft hinein... die Erde fraß immer weiter, fraß Fleisch, Erz, Gras, unterschiedslos in ihren dicken Bauch und trank Bäche von Blut dazu, die sogleich durch den lockeren Sand der Wanderdünen hinunterflossen, welche das Meer hier zurückgelassen und mit Muschelwerk angefüllt hatte, mit gewundenen kleinen Ohren, die den Einsturz des Rheingrabens angehört haben und von ihm so erschreckt gewesen sein mußten, daß sie durch Jahrmillionen nach oben wanderten, um wieder das Getöse der umgelagerten Zeit zu vernehmen: Geschützfeuer und Clairons-Signale und den feierlich grellenTrauermarsch der feindlichen Besatzung, wenn ein schwarzbrauner Kolonialsoldat, von Brechruhr und Regen durchnäßt, zu Grabe getragen wurde – –.

      Eine lärmende Wolke fiel über den Mann, der mit einemmal um sich schlug, als ob er einem Heer von Harpyen zu wehren suche, eine Halluzination von kriegerischen Tönen, deren eherne Süße ihm Herz und Hirn wie faules Werg verzehrte, ihn bis auf die Knochen ausfraß und mit den dürren Beinen einen Trommelwirbel begann: Aladin, Aladin, Aladin und wieder Aladin, bis der Leichenzug vorüber und ein aufgescheuchter Krähenschwarm, den der Fremde jetzt zwischen Wasserschleiern an dem grauweißen Himmel wahrnahm, wie ein Schattentheater verschwunden war.

      Nun fand er sich wieder zusammen und rückte an seiner Krawatte, als ob ihm diese Bewegung einen Halt zu geben vermöge; doch während er seine Jacke mit den blinden Metallknöpfen öffnete und dann in verquollenen Löchern umständlich wieder schloß, kam ihm traurig zu Bewußtsein, daß er an seinem Kragen wie ein Mann an dem Fallschirm baumelte: Wolken oben, Wolken unten und ringsum Einsamkeit. Was über ihm war, wer wußte es! doch kam er langsam der Erde näher und fühlte sie schon in den Zehen, bevor er landete, kippte plötzlich nach vorne über und hatte Sand in den Händen, der, weil er naß war, sich ballte, als ob er ein fruchtbarer Mutterschoß voller Samen und Sagen wäre.

      Er klatschte ihn wie ein Kind, das Kuchenbacken spielt, drückte Dellen und Muster hinein und plattete ihn wieder, wobei er sich einer Geschichte entsann, welche Philipp, ein Irrenwärter in der Heilanstalt Goddelau, ihm gestern abend berichtet hatte.

      Sie beide, Aladin und der starke alte Mann, den man rief, wenn einer von Tobsucht oder Brunst befallen wurde, saßen still auf einer Bank, die dem hungrigen Blick erlaubte, in das kalkhelle rheinische Hügelland und auf die Mauerflächen der Katharinenkirche in Oppenheim zu gehen.

      »Du bist also jetzt geheilt, und deine Frau hat geschrieben, daß alles richtig ist. Nur, daß es kein Nußbaum wäre, der unter dem Schlafzimmerfenster steht, vielmehr eine junge Pinie, die heute schon Zapfen trägt. Nun, nun, daran wirst du dich auch schon erinnern, wenn du nach Hause kommst –« begütigte Philipp den Mann, dessen Knie sich unruhig spannten. »Hauptsache ist für den Augenblick, du weißt nun wieder den Namen, auf den du getauft worden bist, und mehr«, er lächelte listig, »weiß ja keiner im Grunde von sich. Man heißt eben, wie man muß – und muß vielleicht, weil man so heißt«, sinnierte er dann weiter, schob seine Stummelpfeife zwischen abgebrochenen Zähnen herum, bis sie fester eingeklemmt war, und brummelte vor sich hin, zuletzt komme Staub zu Staub, und es gäbe wohl Totensteine, die einen Namen zeigten, deren Träger schon weitergerutscht und unter den nächsten gerieselt sei, denn der Erde wäre nicht wichtig, wer unter ihr verfaule, und ob sie Wegerich, Weizen oder Wolfsmilch daraus mache. Wer das bei lebendigem Leibe einmal begriffen habe, dem könne nichts mehr geschehen, und habe ihn einst sein Name von der Nabelschnur abgeschnitten und Hans oder Peter geheißen, so fiele es solchem Menschen nicht schwer, im Nu auch wieder zusammenzuklappen, was jeder als offenes Messer in seinem Hosensack trüge, um den anderen damit hinzumachen. Das täten ja wohl auch die Mönche, wenn sie eins mit dem Himmel würden – sie tauschten freilich dafür einen neuen Namen ein – und noch besser hätte dasselbe ein tapferer Mann vollbracht, der drüben an dem Altrhein in einem Weiler wohnte, der im Schwedenkrieg unterging. Dies ist nun die Geschichte, welche Philipp, der Irrenwärter, dem Aladin erzählte, bevor er Abschied nahm:

      Das Hauptheer Gustav Adolfs war schon vorübergezogen und hatte den Rhein überschritten, als noch ein Nachtrupp ankam, Gesellen ohne Führer, die wie streunende Hunde fraßen, was der Löwe etwa verschont oder übriggelassen hatte. Denen war es zu Ohren gekommen, daß an dem Ausgang des Dorfes ein Hostienbäcker wohne, ein kluger, älterer Meister, der jedoch keineswegs ein stiller Betbruder war. Von ihm und seinem Gewerbe versprach sich nun die Horde besonderes Vergnügen und drang mit Geschrei in die Hofstatt ein, um ärgerlich festzustellen, daß kein Stäubchen Mehl mehr im Haus und der Backofen niedergebrochen war. Doch fand sich unter den Trümmern ein altes Hostieneisen mit den heiligen Initialen, und sie zwangen den Meister, Erde, mit Kot und Wasser vermischt, dem Eisen einzufüllen, die Hostien auszupressen, sie in offenem Feuer zu härten und einzeln herauszunehmen. Er tat auch, was sie wollten, es wurde Messe gespielt, der Bäcker machte den Priester, und als es zur Wandlung kam, rief er pfiffig: »dies ist mein Leib – dies ist mein Blut« über jedes Stück, das die Schweden besudelten, ward also selber zu Dreck und Urin und rettete, was ihm wert war, indem er sich aufgab und seinen Namen der Spottgeburt einverleibte. Nun, am Ende wurde er niedergestochen und rann in die Erde aus; wahrscheinlich, wie Philipp meinte, weil das Pläsier nicht so groß war, wie die Schweden sich vorgestellt hatten.

      Dies war die Geschichte, die Aladin beikam, und indem sie der arme Mensch noch einmal überdachte, befiel ihn, obwohl er nicht recht verstand, was der Wächter mit dieser Erzählung ihm hatte sagen wollen, die wunderliche Magie der Namengebung so mächtig, daß er fast mit Sicherheit wußte: die Inschrift auf seinem Paß möchte zwar die letzte sein, auf die er gelautet habe, doch stünden wohl noch frühere, ihm unbekannte, dahinter, und »Jean-Marie Aladin« wäre nichts als eine Verkleidung, eine Schutzfarbe oder Schreckform, die er angenommen habe, um irgendeiner Verfolgung, die aus dem Boden stieg, auszuweichen.

      Wie aber – er atmete tief und wollüstig vor sich hin – wenn er nicht eher ginge, als bis er hinter den Tag und die Stunde geraten wäre, die das Leben für ihn verriegelten; wenn er wirklich, wie Vogel Strauß, den Kopf in den Sand hier steckte – nicht um sich zu verbergen, sondern endlich herauszubekommen, was ihn da anrufen wollte? Denn Paß und Bild waren falsch; er wußte jetzt auch die Stelle, den rosagetünchten Durchgang des Militärbordells, wo er von einem Araber das Papier entgegengenommen, einem muffigen Mohammedaner, der einmal saufen wollte und für ein Fläschchen Schnaps den toten Aladin, verstorben an einer Magengrippe, um seinen Ausweis erleichtert hatte. Er war in die fremde Haut geschlüpft, als sei sie ihm angemessen, und hatte er anfangs gefürchtet, sie möchte ihm zu weit und daher Anlaß sein, daß er mit ausgelappten und schlotterigen Händen die gefährlich neuen Dinge vom Brett herunterstieße, so fühlte er bald mit Befriedigung, daß sie wie angegossen um seinen Körper saß. Er kannte nicht die Sage von dem Hemde des Zentauren, doch nicht anders als Herkules erging es Aladin: was ihn umschlossen hatte, fraß tückisch in seinen Adern und zerstörte, vergiftete, verbrannte das Gewebe, bis er plötzlich in Flammen stand und später im Irrenhaus wie eine gelöschte Kohle unter eisigen Duschen lag. Der Name war mitverbrannt, so schien es wenigstens – aber während er noch im Winkel saß, tauchte jener schon wieder auf und baute seinen