Dan Henry - Blas zum Angriff. Stig Ericson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stig Ericson
Издательство: Bookwire
Серия: Dan Henry
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711458808
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...“

      „Ich kann den Namen eines echten Amerikaners nennen“, sagte Conrad. „Aber der ist jetzt nicht hier.“ Wer denn? wollte man wissen. Jemand schlug Custer vor.

      „Custers Eltern kamen aus Deutschland“, sagte der Korporal.

      „Auf jeden Fall der Vater. Das habe ich irgendwo gehört.“

      „Sitting Bull“, sagte Conrad.

      Einen Augenblick wurde es noch stiller im Wagen, dann fingen sie an zu lachen und zu reden, und ich fing die Worte „Spaßvogel“, „Rothaut“ und „tapfer“ auf.

      Der Karren bog in die Forth Street ein und blieb vor einem ziemlich großen Holzhaus mit erleuchteten Fenstern stehen, Trinity House. Hier sollte der Ball der Kompanie K stattfinden. Wir begannen die Instrumente abzuladen, während Louis Schick an der Eingangstür stand und sich mit einem Sergeanten der Kompanie K unterhielt.

      „Sorge dafür, daß die Notenständer hinaufkommen“, hörte ich ihn zu einem der Korporäle sagen, dann ging er mit dem Sergeanten zur Main Avenue hinunter.

      3

      Das Lokal war festlich geschmückt. Rote und grüne Girlanden hingen an den Wänden, und an der einen Längswand war ein Plakat angebracht:

      Wherever we go, they’ll dread the name of Garry Owen in glory

      Vor einem schlecht gemalten Wandbild, welches das zukünftige Bismarck darstellte, spielten wir Walzer und Konzertstücke, und der Chef der Kompanie K, Hauptmann Owen Hale, hielt eine Rede, abgehackte und militärisch verkrampfte Sätze unter dem Walroßschnurrbart, und er schloß mit einem Trinkspruch auf den abwesenden Regimentschef und mit einem dreifachen Hoch auf die glorreiche Kavallerie der Vereinigten Staaten.

      Frischgeputzte Knöpfe und Schulterstücke, durchgedrückte Rücken, Honneurs und Verbeugungen – man strengte sich gewaltig an, um den grauen Alltag zu vergessen.

      Die übertriebene Höflichkeit forderte zu Späßen heraus.

      „Hätte Musiker Carter wohl die außergewöhnliche Höflichkeit, die Noten für Donauwellen zu verteilen ...“

      Und der rotgesichtige Andrew Carter, der sicher ebensoviel Zeit im Arrest wie außerhalb verbracht hatte, reichte uns lächelnd und unter Bücklingen die abgegriffenen Notenblätter.

      Die wenigen anwesenden Damen waren von Offizieren und Unteroffizieren umschwärmt. Die gewöhnlichen Soldaten tanzten miteinander – oder gar nicht. Besonders eine dunkle, hochbusige Frau in Blaugrün ist mir in Erinnerung geblieben. Sie lächelte oft, und ihr ganzes Auftreten, ihre Art den Kopf zu halten, verrieten große Sicherheit; sie schien davon überzeugt, daß an diesem Abend alle diese Männer in den prächtigen Uniformen nur für sie da seien.

      Für mich war sie ebenso unerreichbar wie der Mond – und ebenso schön; bei ihrem Anblick begann ich zu träumen, und beim Anblick des Schimmers, der sie umfing, kam mir die wartende Welt des Forts wie ein farbloses, kaltes Schattendasein vor.

      „Jetzt möchte ich gerne etwas sagen ...“

      Ein betrunkener Soldat trat auf den Tanzboden hinaus. In der einen Hand hielt er ein Glas, die andere streckte er hoch. Jemand versuchte ihn zu hindern, wurde aber von den anderen zurückgehalten. Der Betrunkene blieb mitten auf dem Boden stehen. Der Inhalt seines Glases schwappte ihm über die Hand. Auf einmal war es sehr still im Lokal. Augen blitzten auf, fragende Gesichter drehten sich Hauptmann Hale zu, der bedächtig den Kopf schüttelte. Der Betrunkene hob sein Glas.

      „Ehre“, rief er. „Hier war von der Ehre die Rede. Aber das eine muß ich doch sagen, diese Ehre hat ... diese Ehre hat nämlich nichts mit dem Oberst oder dem Präsidenten zu tun. Die gebührt ... den Toten. Nur durch den Tod werden wir alle hier ...“

      Der Betrunkene verstummte. Er schien plötzlich zu sich zu kommen und blickte unsicher um sich. Die Stille war sehr peinlich. Hauptmann Hale erhob sich mit dem Glas in der Hand von seinem Platz.

      „Darf ich vorschlagen, daß wir das Glas auf unsere gefallenen Kameraden erheben!“

      Alle tranken. Der Betrunkene wurde hinausgeführt. Ein junger Offizier kam zu uns hergeeilt.

      „Spielt etwas! Verdammt nochmal, spielt etwas, egal was!“

      Wir spielten The Girl I Left Behind Me, und aus irgendeinem Anlaß standen alle auf. Der scheppernde Klang der Blechinstrumente erfüllte das Lokal, und viele begannen zu singen:

      The hour was sad I left the maid

      a ling’ring farewell taking ...

      Der Gesang schwoll an, und die Gesichter veränderten sich. Die Töne und die Worte und die damit verbundenen Erinnerungen schufen eine Art sonntäglicher Gemeinschaft, wie ein Psalm in der Kirche.

      Hinterher erklang vereinzelter Applaus, und der junge Offizier trat wieder zum Orchester.

      „Ein Walzer“, forderte er Louis Schick auf. „Wir wollen uns doch amüsieren, zum Teufel! Das hier soll doch ein Fest sein!“

      Bevor er zu seiner Dame zurückkehrte, machte er ein paar ungeduldige, flatternde Bewegungen mit der Hand, und Louis Schick sah uns mit leicht erhobenen Augenbrauen an.

      „Amüsieren, ja!“ sagte er. „Wir nehmen einen von den neuen deutschen. Den in B-Dur.“

      „Lange leben die Toten“, murmelte Conrad Beck, als der Ambulanzkarren viele Stunden später zum Missouri hinunterrumpelte.

      „Du wirst doch hoffentlich nicht verbittert werden, mein Junge“, sagte Andrew Carter mit dem roten Gesicht, der trotz der beträchtlichen Mengen, die er hinter die Binde gekippt hatte, immer noch frischer zu sein schien als die meisten anderen im Wagen. „Du mußt eben zugreifen, auch wenn das Angebot kümmerlich ist – solange es währt! Hast du das noch nicht begriffen?“

      Wir näherten uns Whisky Point; Andrew Carter schob sich vorsichtig zwischen den Bänken nach hinten.

      „Wenn der Präsident ... oder irgendeiner der Herren Generäle meine Dienste benötigen sollten“, flüsterte er uns zu, „dann richtet ihnen aus, daß ich mich melde, sobald ich wieder zurück bin.“

      Er sprang ab und verschwand in der Dämmerung.

      „Der hat sie wohl nicht alle“, gähnte einer.

      „Kommt ganz darauf an, wie man es auffaßt, meinte Conrad.

      „Der wird noch in Fort Leavenworth landen“, sagte der andere.

      „Schon möglich“, versetzte Conrad.

      Der Karren rumpelte über das Eis. Ich dachte an die Frau in Grün und daran, was Andrew Carter bald machen würde. Die Welt, in die ich jetzt zurückkehrte, erschien mir unsagbar grau und karg. Ich spähte durch die Segeltuchbahnen hinten im Wagen hinaus.

      Winternacht im Dakota-Territorium ... Hinter den Hügeln rechts von Bismarck wurde der Himmel allmählich heller. Die eisenbeschlagenen Räder des Karrens hinterließen weiße Spuren auf dem Eis, die an Felsenritzungen erinnerten. Eines der Maultiere hatte dunkle, dampfende Klumpen auf das Eis fallen lassen. Kleine Dreckhaufen. Lebenszeichen in einer erstarrten Welt.

      Vielleicht dachte ich an den Pastor, einen Typographen, der mich auf meiner Wanderung durch Schweden begleitet hatte. Damals war es warm, und wir gingen in Richtung Süden. Pfeifend und singend marschierten wir rechts und links des Weges, zwischen uns das endlose Kiesband der Landstraße. Die Disteln waren hoch und staubig, und es roch nach Sommer. Wir aßen uns an wilden Himbeeren satt und stopften Gras in die Stiefel – wegen der Blasen. Der Pastor sagte oft zu mir, ich solle nie vergessen, daß ich nur ein kleines Würstchen sei, ein kleines Häufchen Dreck ...

      „Bist du dahinten festgewachsen, he?“

      „Stör ihn nicht. Er genießt die Aussicht.“

      „Halt’s Maul, da kann ja kein Mensch schlafen!“

      Sie