Dan Henry - Blas zum Angriff. Stig Ericson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stig Ericson
Издательство: Bookwire
Серия: Dan Henry
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711458808
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      Stig Ericson

      Dan Henry

      Blas zum Angriff

      Saga

Erster Teil

      1

      Eisiger Wind pfiff über die Hügel westlich des Forts, und ich fror in meiner abgetragenen Uniform.

      „Komm, wir gehen hinein“, schlug ich Conrad vor.

      Ich wollte nicht dabei sein, wollte nicht zuschauen, diese nackte Gewalt war mir zuwider.

      „Nein, halt ...“

      Er sah abwartend zu den beiden hinüber, die aufeinander losgingen.

      Leicht vorgeneigt standen sie sich jetzt gegenüber, mit herabhängenden Armen und gekrümmten Fingern. Der eine, blonde, war gut gebaut. Der andere war kleiner und hatte eine breite, höckerige Stirn.

      Hinter dem Lagerhaus war es sehr still. Die Zuschauer musterten die beiden Kämpfer mit großem Ernst, warteten geduldig, wogen die Chancen der beiden gegeneinander ab.

      Der Kleinere schlug als erster zu und schrie dabei, wie um seinem Schlag damit größere Wucht zu verleihen. Dann hieben sie sich gegenseitig wild ins Gesicht und in die Magengrube, steigerten sich in ihre Raserei hinein. Die Fausthiebe, die im Gesicht landeten, hallten durch die Kälte.

      Hartgefrorener Schnee knirschte unter den Stiefeln, während sie versuchten, sich gegenseitig zu zerstören; in ihren Gesichtern zeichnete sich Angst und Schmerz ab, und bald begann der Kleinere zu schwanken.

      Der Blonde mißhandelte ihn immer weiter, bis ihm das Blut aus der Nase und von den aufgeplatzten Lippen troff und er sachte zusammensackte und wie betend auf den Knien liegenblieb.

      Der Blonde trat ihm verächtlich mit dem Fuß in die Seite und sah uns, die Zuschauer, dann mit einem verwirrten Ausdruck in seinem zerschlagenen Gesicht an.

      „Na, fühlst du dich jetzt besser?“ fragte einer.

      Der Blonde atmete schwer und bewegte das Kinn hin und her.

      „Warum hat er das gesagt?“ stieß er mit belegter Stimme hervor. „Warum hat er das gesagt? Über Custer ...“

      Der Besiegte hatte sich auf die Seite gelegt. Er jammerte vor sich hin. Sein Mund war eine dampfende Wunde. Ein paar von seinen Kameraden beugten sich über ihn.

      Der Blonde schwankte plötzlich, stützte sich mit den Händen gegen die Wand und spuckte in den Schnee. „Es ist kalt“, bemerkte Conrad Beck.

      Wir gingen rasch auf die Infanteristenkaserne zu, um Schutz vor dem Wind zu suchen. Unterhalb der Böschung hinter den Stallungen dehnte sich die fleckige Eisdecke des Missouri. Es war ein Sonntagnachmittag im Dezember 1876, und die Sonne am grauweißen Himmel erinnerte mich an einen runden Fettfleck.

      „Ich verabscheue Kälte“, sagte Conrad. „Und das Frieren! Ich hasse es! Ooooh ...“

      Der Schnee wirbelte über das Exerziergelände, und wir begannen zu rennen, an den Wachstuben, am Krankenhaus und an der Bäckerei vorbei, auf die Musikkaserne zu, die ziemlich weit von den anderen entfernt lag. Als wir endlich eintraten, schmerzte mein Gesicht vor Kälte.

      „Es ist zum Kotzen“, sagte Conrad.

      „Mach’s lieber draußen“, brummte der lange Flötist, der auf einem Bett neben der Tür lag und las. Die Zeitung war mindestens einen Monat alt.

      „In diesem Gestank würde es sowieso keiner merken“, sagte Conrad.

      „Nein, aber hören“, entgegnete der Flötist.

      Das Holz schwelte säuerlich in dem großen Backsteinofen an der Schmalseite des Raumes, frisches Pappelholz, das mehr Feuchtigkeit als Wärme verbreitete. Die schwere, abgestandene Luft kam mir noch widerwärtiger als sonst vor. Unsere Mannschaftsstube war lang und schmal. Conrad und ich gingen an den eisernen Betten entlang bis zur hintersten, vom Ofen am weitesten entfernten Ecke des Zimmers. Hier hatten wir Jüngeren unsere Plätze.

      Conrad legte sich auf den Rücken, mit den Stiefeln auf dem Fußende des Bettes. Er war lang und schlank und hatte braune, in der Mitte gescheitelte Haare mit hellen Strähnen. Er und ich waren die einzigen im Musikkorps des 7. Kavallerieregiments, die weder Bart noch Schnurrbart aufweisen konnten. Wir waren die Jüngsten.

      Das war mit ein Grund, warum wir zusammenhielten.

      „Wie war er?“ fragte ich.

      „Wer?“

      „Custer.“

      Conrad hatte vor gut einem halben Jahr den Beginn des Feldzuges gegen die Prärieindianer mitgemacht. Das Musikkorps hatte die Kavallerie bis zum Yellowstonefluß begleitet, dort standen sie dann auf einem Hügel oberhalb des Flusses und spielten Garry Owen und The Girl I Left Behind Me, während das Regiment zu den Bighornbergen im Nordwesten weiterzog. Custer und zweihundertundzweiundsechzig seiner Männer kamen nie zurück. Das Indianerlager, das sie angegriffen hatten, war zu groß gewesen.

      „Ein Mann mit einer großen Nase auf einem Pferd“, sagte Conrad. „Ich habe nicht besonders viel für Generäle übrig.“ Er sah mich augenzwinkernd an. „Wollen wir uns seinetwegen schlagen?“

      Das hatten die beiden anderen getan, und es war nicht das erste Mal, daß Custer den Anlaß zu einer Schlägerei geliefert hatte. Held oder Mörder? Tapferer Offizier oder rücksichtsloser Ehrgeizling? Custers kopfloser Angriff auf das Indianerlager am Little Bighornfluß hatte das Regiment gespalten. Es gab Offiziere, die nicht mehr miteinander sprachen, seit sie sich wegen ihres früheren Kommandanten zerstritten hatten.

      „Ich hab’ schon lange keinen General mehr gesehen“, sagte ich. „Und ich prügle mich nicht gern.“

      Conrads Augen blitzten unter seiner erstaunt gerunzelten Stirn auf.

      „Nicht? Und wozu, glaubst du, soll die Armee gut sein?“

      „So habe ich es nicht gemeint“, murmelte ich.

      „Du bist ein Idiot“, sagte Conrad. Er war 21, drei Jahre älter als ich, und er besaß die Fähigkeit, im Scherz Fragen zu stellen, die man nur sehr schwer beantworten konnte. Er lag da, seine verschossene blaue Schildmütze über dem Gesicht, und wartete auf eine Antwort, für die ich keine Worte fand.

      Wozu sollte die Armee gut sein? Allmählich wurde es mir natürlich immer deutlicher bewußt: Der funkelnde Pomp, die Marschmusik, die Paraden und die Uniformen waren nur die äußeren Zeichen einer anderen Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die mich erschreckte. Aber die Gemeinschaft? Was war mit der Gemeinschaft?

      „Du prügelst dich nicht gern, Soldat?“ wiederholte Conrad Beck. „Was tust du dann eigentlich gern? Du bist doch freiwillig hierhergekommen, hast den feierlichen Eid geschworen!“

      Ich dachte an die Gemeinschaft, die ich gesucht hatte, an das Gefühl der Fremdheit auf der Farm in Minnesota, an meine einsame, hoffnungslose Wanderung nach Nordwesten, an den frostigen Morgen, als ich vor einem Hühnerhaus stand, das milde Gackern der Hennen hörte und mir wünschte, drinnen in der Wärme auf einer Stange zu sitzen.

      Ich konnte nicht erklären, warum ich mich danach sehnte, einer von vielen Gleichen zu sein. Ich konnte die passenden Worte nicht finden. Englisch war nicht meine Muttersprache. Ich kam leidlich damit zurecht, mehr aber nicht.

      Vielleicht befürchtete ich auch, daß Conrad meinen Traum von der Gemeinschaft zerstören würde. Plötzlich ärgerte ich mich über ihn, über seine geschmeidige Stimme, und ich stotterte etwas vom Spielen – und von Mädchen. Conrad Beck lachte auf seine leise Art.

      „Dann bist du hier ja am richtigen Platz gelandet“, sagte er. „Du brauchst dich nur bei der neuen Wäscherin anzustellen. Du weißt, die nach Mary gekommen ist. Es dürften kaum mehr als ein paar hundert Mann vor dir an der Reihe sein, irgendwann im nächsten Jahr also ...“

      „Du bist ein Idiot“, fauchte ich.

      „Da bin ich wenigstens nicht allein“, versetzte Conrad.

      Ich fragte, wer Mary sei.

      „Eine