Die fliegende Schule der Abenteurer. Thilo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thilo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783649638162
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ließ sich die imposante Echse vom ganzen Rummel um sie herum nicht stören. Wie wohl auch in den Jahrzehnten zuvor ging sie schnurstracks zur Bühne und blieb vor dem Tisch mit der Samtdecke stehen.

      Im Publikum standen eine Frau und ein Mann auf, zusammen wohl nicht viel jünger als Harry. Gemeinsam folgten sie der Echse.

      „Wie in jedem Jahr ist es die ehrenvolle Aufgabe der beiden ältesten Mitglieder des Clubs, die Schatulle von Harry entgegenzunehmen“, sprach Noir weiter. Die beiden Abenteurer zogen sich weiße Handschuhe über und hoben die Truhe auf den Tisch.

      „Öffnen allerdings werde ich die Kiste, denn der einzige Schlüssel ist … hier!“

      Catherine Noir griff an eine Kette, die an ihrem Gürtel befestigt war und zog einen schweren Schlüssel aus ihrer Tasche. Als sie ihn in die Höhe hob, passierten zwei Dinge gleichzeitig: Die Gäste klatschten begeistert – und das Licht im Saal ging aus.

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      Belle pfiff auf den Fingern, so sehr riss sie die perfekte Inszenierung rund um den Feuertiger mit: die Legende, der Waran, die alten Mitglieder, der Schlüssel und nun als Höhepunkt die Dunkelheit.

      Auch die Gäste um Belle herum jubelten und schrien. Erst nach zwei, drei Sekunden merkte Belle, dass die Stimmen gar nicht fröhlich klangen. Stühle fielen um, Menschen liefen durcheinander. Und über allem lagen die verzweifelten Rufe von Catherine Noir.

      „Licht, wir brauchen sofort Licht!“, brüllte sie ins Mikrofon. „Und haltet die Türen verschlossen!“

      Jetzt erst dämmerte Belle, dass die Dunkelheit gar nicht Teil der Präsentation war. Nach einer halben Ewigkeit blitzten einzelne Strahler auf. Catherine Noir stand noch immer auf der Bühne. Sie umklammerte den Schlüssel mit ihrer Faust. In ihrer andern Hand hielt sie einen silbernen Kugelschreiber, aus dem vorne eine Nadel ragte. Den Feuertiger würde sie zur Not mit ihrem Leben verteidigen, das erkannte jeder im Saal. Doch dazu würde es nicht mehr kommen, denn die Truhe auf dem Tisch neben ihr war geöffnet – und leer. Auch Belles Herz schlug schneller. Der Feuertiger war gestohlen worden! Vor ihrer aller Augen! Und wo war eigentlich Oliver? Belle hatte das ungute Gefühl, dass sie sich um ihn kümmern musste.

      „Hierher!“, Belle reckte den Hals. Oliver stand am Rand des Saals vor dem Notausgang im Halbdunklen. Er hob den Arm, als wollte er seinen Lehrer im allerletzten Moment anbetteln, ob er mal kurz aufs Klo dürfte.

      „Hierher!“, rief er mit piepsiger Stimme. „Hallo, hallo, kommt alle hierher!“

      Doch in dem Durcheinander achtete niemand auf ihn. Belle aber sah die Furcht in seinen Augen.

      Sofort drängelte sie sich zu ihm durch.

      Oliver kniete jetzt am Boden. Vor ihm lag ein zusammengerollter Mensch mit einer schwarzen Sturmhaube über dem Kopf. Aus seinem Rucksack lugte der Griff des Feuertigers.

      Der Gestalt hinter der Bühne!, schoss es Belle durch den Kopf. Mit beiden Händen rollte sie ihn auf den Rücken. Belle zuckte erschrocken zurück. Auf der Vorderseite der schwarzen Maske waren zwei funkelnde Pantheraugen aufgedruckt. Sie hatten den berühmtesten Dieb der Gegenwart vor sich!

      „Los, zieh ihm die Maske runter!“, forderte Oliver sie auf.

      Als Belle nicht reagierte, streckte er selbst seine Finger nach dem Phantom aus. Doch in diesem Moment zerrten ihn die beiden Wachen von dem bewusstlosen Dieb herunter.

      „Bist du lebensmüde, Junge?“, herrschte der größere von ihnen Oliver an. „Du weißt doch, was mit dir passiert, wenn die Klinge auf dich zeigt!“

      Oliver nickte wie der Schulstreber, der beim Abschreiben erwischt worden war.

      Catherine Noir bahnte sich einen Weg durch die Menge. „Bringt ihn in mein Büro“, kommandierte sie. „Fesselt ihm die Hände – und lasst ihn keine Sekunde aus den Augen. Ich komme gleich hinterher.“

      Die Wachmänner legten sich die Arme des Phantoms über die Schultern und schleiften ihn aus dem Festsaal.

      Die Präsidentin stieg auf einen Stuhl.

      „Liebe Gäste, bitte beruhigen sie sich“, bat sie mit kräftiger Stimme. „Wir sind im Vorfeld des Festes gewarnt worden, dass ein Dieb versuchen würde, den Feuertiger zu stehlen.“ Catherine Noir lächelte. „Nun, es ist bei einem Versuch geblieben. Dank der genialen Idee unseres Akademieleiters Severin Maximov. Er hat den Deckel der Schatztruhe mit einem Kontaktgift versehen, das wenige Sekunden nach Berührung zu Bewusstlosigkeit führt. Unsere ältesten Club-Mitglieder waren eingeweiht und trugen deswegen erstmals Handschuhe.“

      Alle im Saal klatschten. Belle und Oliver jedoch sahen sich enttäuscht an. Sie hatten die Chance, eines der größten Geheimnisse der Gegenwart zu lüften, um wenige Sekunden verpasst.

      Wo sind denn alle?

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      In der Eingangshalle von Deep Fog Castle gab es für den Rest des Abends nur ein Thema. Wohin Belle auch blickte, alle redeten nur über den vereitelten Diebstahl.

      „Man muss die Kühnheit dieses Phantoms regelrecht bewundern!“, trompetete Dick Snyder in die Runde. Belle blieb stehen, um ihm zuzuhören. „Wenn er nicht so ein Schurke wäre – er wäre glatt ein spannendes Mitglied für den ACE.“

      Die Umstehenden protestierten heftig. Oliver neben ihm untersuchte gerade die spannenden physikalischen Gesetze, die hinter dem Trinken mit Strohhalm steckten.

      Dick Snyder sah ihm kopfschüttelnd zu. „Ich wünschte, unser Oli hätte auch nur ein kleines bisschen von diesem Mut, aber er ist leider völlig aus der Art geschlagen.“

      Belle sah, wie Oliver rot wurde. „Ich heiße Oliver, Papa“, piepste er zurück.

      Dick Snyder knuddelte ihn väterlich. „Junge, ich meine es nicht so“, versuchte er zu beschwichtigen. „Maximov wird aus dir einen großen Abenteurer machen. Da bin ich mir hundertprozentig sicher. Du wirst eines Tages vollenden, was deiner Großmutter und mir nicht gelang: das Aufspüren der Ruinen von Batavia!“

      Er legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter. Oliver machte ein Gesicht, als wäre sie schwer wie ein Mühlstein. Als er zu Belle hinübersah, drehte sie sich schnell weg. Bei einem weiteren Gespräch an diesem Abend würde der Nerd sie sicher als gute Freundin ansehen und darauf hatte Belle absolut keine Lust. Um richtige Freunde zu finden war es klug, sich von Gestalten mit Pullunder und Sandalen fernzuhalten.

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      Belle stellte sich in einen Pulk mit älteren Schülern. Doch die dachten gar nicht daran, mit einer Neuen zu sprechen. Und Belle war viel zu stolz dafür, um um Aufmerksamkeit zu betteln.

      Also trank sie ihren Saft aus und ging ins Obergeschoss. Ohne die Panik des Zuspätkommens fand sie den Weg sofort.

      Doch mitten im Gang blieb sie stehen. Die Tür von Zimmer Luxor stand weit offen. Leise schlich Belle sich an. Hektische Geräusche drangen in den Flur, als würde jemand ihren Schrank durchwühlen. In Belles Innerem schrillten Alarmglocken. War das Phantom wieder ausgebrochen und knackte nun ihr mageres Sparschwein? Mit einem Satz sprang Belle in den Raum.

      „Was machst du da?“, rief sie.

      Ein Mädchen mit Billionen von schwarzen Haaren auf dem Kopf stieß einen spitzen Schrei aus.

      Erschrocken drehte sie sich zur Tür um. Auf ihrem Arm turnte ein Tier herum.

      Das Mädchen, das auf dem verschwindenden Elefanten angekommen war! Warum war Belle beim Anblick des Rucksacks nicht gleich auf sie gekommen?

      „Tschuldigung“, sagte Belle. „Ich wollte dich nicht erschrecken. Aber die Tür …“

      Das Mädchen lächelte