Zumindest ist ja klar, dass wir nicht einfach erlauben können, dass jemand auf einer öffentlichen Veranstaltung Schwarzpulver benutzt, um eine Muskete darzustellen, das kann doch nicht legal sein, oder? Aber um den Anscheinsparagrafen im Waffengesetz brauchen wir uns nicht zu kümmern, weil der gilt ja nur in der Öffentlichkeit und ein Con ist ja eine Privatveranstaltung … Oder was hatte ich eben noch mal gesagt?
Herrgott, da kann einem ja schon mal richtig Bange werden, aber zum Glück haben wir ja alle Spieler beim Check-In noch mal die AGBs unterschreiben lassen, und diejenigen, die später angereist sind, haben versprochen, am Sonntag vor der Abfahrt noch ihren „Kaiser Wilhelm“ drunter zu setzen.
ILLEGAL, WAS NUN?
Gesetze sind zwar meist innerhalb eines Landes einheitlich, aber Verwaltungsvorschriften, Auflagen des Ordnungsamtes oder der Versicherung ändern sich schon fast von Dorf zu Dorf. Darüber hinaus sprechen wir ja hier meist für den gesamten deutschsprachigen Larp-Raum, und wenn wir nur über die Grenze in die Schweiz oder nach Österreich blicken, dann haben wir es, aller Eurovereinheitlichungen zum Trotz, mit wirklich echt unterschiedlichen Gesetzgebungen zu tun. Das einfachste und prominenteste Beispiel ist eine Muskete, die mit Knallern einen Softball verschießt. In Deutschland ist es verboten, ein Projektil mithilfe heißer Gase durch ein Rohr zu feuern1 (die allseits beliebte Kartoffelkanone), während dies in Österreich erlaubt ist.
Was jetzt genau verboten oder erlaubt ist, das ist selten wirklich klar. Meistens kommt das „illegale Larp-Zeug“ auch nicht in Konflikt mit „richtigen echten“ Gesetzen, sondern mit Verwaltungsvorschriften, Platzordnungen, Auflagen des Ordnungsamtes, IHK-Vorgaben, Arbeitsrecht, Auflagen der Versicherungen und so weiter.
Das hat schon mal einen ganz anderen Stellenwert, denn wenn gegen die Auflagen der Versicherung oder des Ordnungsamtes verstoßen wird, dann geht eine Larperin eben nicht in den Knast für das, was sie getan hat, sondern muss eher eine Ordnungsstrafe zahlen oder verliert den Versicherungsschutz in der betreffenden Angelegenheit.
Natürlich sind sich die entsprechenden Behörden ebenfalls sehr bewusst, wie der ganze Dschungel der Anweisungen aussieht und angewendet wird, und letztendlich sitzen da normale Menschen, die ihre subjektiven Ansichten und Meinungen zu dem Thema haben. Die meisten der „offiziellen Verwaltungsmenschen“ wollen eigentlich nur Gutes und sorgen sich bei der Einhaltung ihrer Regeln darum, Menschen und/oder Umwelt zu schützen. Und wenn eine Larp-Orga sicherstellen kann, dass die Maxime der Regeln beachtet wird, dann ist der exakte Wortlaut vielleicht nicht mehr so wichtig.
So breit gefächert wie die Regeln, mit denen eine Orga in Konflikt kommen kann, sind auch die Bewältigungsmechanismen. Von einer „Vogel-Strauß-Taktik“ und der (falschen) Überzeugung, man könne nicht für etwas belangt werden, von dem man nichts weiß, bis zum reflexartigen Verbot aller Aktionen, die auch nur ansatzweise in Konflikt mit irgendwelchen Regeln kommen könnten, wurde sicher alles schon einmal angewendet. Dabei ist besonders auffällig, dass beide erwähnten Extrempositionen aus Angst geboren werden. Auf der einen Seite die Angst, den Con nicht wie geplant durchführen zu können (und essenzielle Spielinhalte zu verlieren), falls man den Regeln Beachtung schenkt, und auf der anderen Seite die Angst vor persönlichen Konsequenzen, wenn man etwas „Illegales“ tut. Letztere Angst dürfte sehr einfach nachzuvollziehen sein, aber auf die Angst, Spielinhalt zu verlieren, möchte ich noch einmal genauer eingehen.
Eine Orga investiert viel Zeit und Engagement in einen Con und hat eine gewisse Idealvorstellung hinsichtlich der Szenenentwicklung – wie in einem guten Film. Durch diese Erwartungshaltung wird die Angst vor dem Verlust eben jener Idealvorstellung wesentlich konkreter, als die die weitestgehend abstrakte „Gesetzeslage“. Diese lässt sich halt für gewöhnlich wesentlich einfacher verleugnen, denn wenn nichts passiert, dann ist es ja egal beziehungsweise „Wo kein Richter, da kein Henker“ hat schon viele überzeugt. Zu dem Zeitpunkt, an dem man sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat, verändert sich die abstrakte „Gesetzeslage“ in ein konkretes Bedrohungsszenario, mit dem man sich eigentlich weiter auseinander setzen müsste, und wenn zwischen dem konkreten Verlust einer idealisierten Szene und dem abstrakten Risiko einer Gefahr entschieden werden muss, ist für viele die Wahl sehr klar. Dies ist eben die erwähnte „Vogel-Strauß-Taktik“ par excellence, denn eine abstrakte „Risikolage“ ist oft wesentlich einfacher zu ignorieren als ein konkretes Problem.
Dabei hat jede Orga die konkrete Lösung dieser Situation schon lange vor sich gehabt. Denn schon im Vorfeld musste der Kompromiss mit der Realität, in Form von einfacher Logistik, eingegangen werden, was Anzahl von NSCs, Kostümierung, Budget et cetera angeht. Das heißt, ein Kompromiss zwischen Idealvorstellung und Realität wurde gefunden und die Idealvorstellung wurde entsprechend geändert. Regeln und Gesetze können genauso wie diese entsprechenden Einschränkungen der Logistik als Ressource angesehene werden, die als einfacher, ent-emotionalisierter Faktor in die Kalkulation eingehen kann.
Wenn wir Regeln und Gesetze als Ressource betrachten, können wir uns ein Kosten/Nutzen-Verhältnis anschauen. Dann müssen wir natürlich nicht nur betrachten, was es uns kosten würde, eine entsprechende Regel zu beachten, sondern ebenfalls vor Augen führen, was es kosten würde, dies eben nicht zu tun. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, zum einen in der entsprechenden Regel die zu erwartende Strafe nachlesen oder sich auf Erfahrungswerte berufen. Ersteres ist sicherlich ein Worst-Case-Szenario, aber auch schon mal ein guter Anhaltspunkt, denn zu wissen, dass bei Missachtung der Regel X maximal eine Geldstrafe von Y zu befürchten ist, ist meist schon harmloser als manche Horrorfantasien, zu denen der Geist einer jungen Orga fähig ist. Von einem existierenden Erfahrungsschatz zu profitieren, ist etwas schwieriger, aber meiner Meinung nach sehr zielführend. Denn hier kann man neben einigen wenigen Fallbeispielen auch weitreichende qualitative Aussagen treffen, wie zum Beispiel „Es hat noch nie eine Larp-Orga eine Gefängnisstrafe bekommen“ oder „Es gab noch nie eine so hohe finanzielle Strafe, dass eine Orga oder Einzelperson nur aufgrund dieser Strafe bankrott gegangen ist.“ Dabei beruht die Aussagekraft dieser Behauptungen darauf, dass die Larp-Szene im deutschsprachigen Raum derart gut vernetzt ist, dass eine solche Aussage mit hoher Sicherheit widerlegt worden wäre. Aufgrund der Statistik von Thilo Wagners Larp-Kalender2 kann man davon ausgehen, dass bisher um die 20.000 Cons im deutschsprachigen Raum stattgefunden haben, was man zu einer einfachen, aber gewichtigen Risikoanalyse benutzen kann. Wäre auf einer dieser vielen Veranstaltungen einer der oben angenommenen Fälle aufgetreten, dann hätten wir sicher davon gehört. Wenn bislang kein solcher Fall aufgetreten ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass er in unmittelbarer Zukunft (das heißt bei dem geplanten Con) auftreten wird.
Regeln haben meist einen Sinn, und nicht nur die offiziellen Stellen wollen mit der Einhaltung von Regeln Mensch und Natur beschützen, sondern auch die Vorschrift selbst hat exakt diesen Anspruch. Auch dies können wir mit Erfahrungswerten beantworten und fragen, bei wie vielen der 20.000 Cons Schäden für Mensch und Umwelt durch die Missachtung von Regeln aufgetreten sind. Die Antwort lautet: Nicht sehr viele.3
FAZIT
Ich kann und werde in diesem Artikel keine Lösung für „illegales Larp-Zeug“ anbieten, weil es einfach keine Patentlösung gibt. Dennoch (oder gerade deswegen) möchte ich für einen offenen und bewussten Umgang mit dem Thema plädieren. Mein Aufruf ist: Geht Risiken ein! Macht euch kundig, wie die „Rechtslage“ aussieht und dann handelt stets so, dass die Maxime dieser Vorschriften eingehalten wird und es eine gelungene Veranstaltung wird. Betrachtet Regeln als eine weitere Ressource in Logistikfragen, wie „Anzahl der Untotenkostüme“. Redet miteinander und mit den normalen Menschen in den Behörden, tauscht euch weiterhin aus, profitiert von den Erfahrungen der anderen und handelt nicht aus Angst heraus.
LITERATUR
Beschussgesetz (BeschG): Gesetz über die Prüfung und Zulassung von Feuerwaffen, Böllern, Geräten, bei denen zum Antrieb Munition verwendet wird, sowie von Munition und sonstigen Waffen. Online verfügbar auf www.gesetze-im-internet.de/beschg/index.html