In Amerika sind die Banken ab einer bestimmten Größe verpflichtet, Mitglieder des Fed-Systems zu sein; sie müssen bestimmten Regeln folgen, wenn sie das Privileg behalten wollen, durch Kreditvergabe Geld zu schöpfen. Die Fed legt de facto die Zinsen für das gesamte Bankensystem fest, indem sie den Zinssatz steuert, zu dem die Banken sich gegenseitig Übernachtkredite aus Bundesmitteln geben können, und den Zinssatz für Übernachtkredite, die Banken direkt bei der Fed aufnehmen. Außerdem kann die Fed Schuldverschreibungen der Regierung ankaufen und damit Geld aus dem Nichts (sogenanntes Fiat-Geld) zur freien Verfügung schaffen. Auf diese Weise vergrößert sie direkt die Geldmenge des Landes und beeinflußt damit die Zinsen für Anleihen.
Um die Fed gab es häufig Kontroversen. Sie handelt ohne große Ankündigungen, und ihre Statements sind so formuliert, daß sie selbst für ausgebildete Ökonomen nebulös bleiben; viele Kritiker haben mit Blick auf ihre Geheimniskrämerei und ihre Macht Reformen gefordert oder ihre Ablösung durch andere Institutionen zur Bankenregulierung. Die Kritiker betonen, daß die Fed nicht wirklich demokratisch ist (der Vorsitzende wird vom amerikanischen Präsidenten ernannt, die anderen Mitglieder des Boards werden durch private Banken ausgewählt, die Anteile an der Fed besitzen; damit ist sie eine merkwürdige halb staatliche, halb private Mischinstitution).
Andere Zentralbanken erfüllen in ihren heimischen Volkswirtschaften ähnliche Aufgaben, aber mit einigen Unterschieden: Die Bank of England beispielsweise wurde 1946 verstaatlicht und befindet sich heute ganz im Besitz des Staates, die Zentralbank von Rußland wurde 1990 gegründet und ist per Gesetz verpflichtet, die Hälfte ihrer Gewinne in den Staatshaushalt zu leiten (die Fed führt ihren gesamten Gewinn abzüglich ihrer Unkosten ab). Trotzdem sehen viele die Fed und andere Zentralbanken (die Europäische Zentralbank, die Bank of Canada, die Chinesische Volksbank, die Reserve Bank of India) als Clubs von Bankern, die nationale Volkswirtschaften hauptsächlich zu ihrem eigenen Vorteil lenken. Besonders oft wird Mißtrauen der Fed gegenüber geäußert, weil sie unter den Zentralbanken die wohl am meisten geheimniskrämerische und mächtigste ist. Man denke nur daran, daß die Fed theoretisch in der Lage ist, vor einer Wahl eine euphorische Finanzblase entstehen zu lassen oder einen Crash an der Wall Street, was natürlich erhebliche Auswirkungen auf den Wahlausgang hat. Es ist nachvollziehbar, warum Präsident James Garfield schrieb: »Wer immer die Geldmenge in einem Land kontrolliert, ist absoluter Herrscher über Produktion und Handel«, oder Thomas Jefferson sagen konnte: »Bankhäuser sind gefährlicher als stehende Heere«.
Neben der Fed spielt auch die US-Regierung selbst eine große Rolle bei der Lenkung der Wirtschaft. Die Bundesregierung erhebt Steuern, die unterschiedliche wirtschaftliche Tätigkeiten fördern oder bremsen (Steuern auf Zigaretten motivieren Raucher, mit dem Rauchen aufzuhören; Steuererleichterungen für Ölfirmen schrecken Produzenten alternativer Energien ab). Steuersenkungen für alle können die gesamte Wirtschaft ankurbeln, höhere Steuersätze hingegen werden die Kreditaufnahme und den Konsum bremsen. Außerdem regulieren die Regierungen das Finanzsystem, indem sie eigene Regeln für Banken, Versicherungen und Investmentfirmen aufstellen.
Unterdessen leihen auch die Regierungen Geld, wie Keynes empfahl, und geben es für Infrastrukturprojekte und die Schaffung von Arbeitsplätzen aus; in Abschwungphasen werden sie damit zu Kreditnehmern und Geldgebern der letzten Instanz. Ein gewichtiges Beispiel: Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die Militärausgaben in den Vereinigten Staaten einen erheblichen Teil der Volkswirtschaft getragen – die Waffenindustrie und verschiedene private Militärfirmen – und damit Hunderttausende von Arbeitsplätzen von Soldaten und zivilen Beschäftigten finanziert. Kritiker bezeichnen dieses System als militärisch-industriellen »Wohlfahrtsstaat für Unternehmen«.15
Das Auf und Ab eines Konjunkturzyklus spiegelt sich in höheren oder niedrigeren Inflationsraten. Inflation wird oft definiert als höhere Löhne und Preise, aber (wie die Ökonomen der Österreichischen Schule überzeugend dargelegt haben) Lohn- und Preisinflation ist nur das Symptom eines im Verhältnis zum Angebot an Gütern und Dienstleistungen übermäßigen Wachstums der Geldmenge, und dies wiederum ist üblicherweise das Ergebnis von zu viel Kreditaufnahme und zu hohen Ausgaben. Inflation bewirkt, daß jede Währungseinheit an Wert verliert. Ein Abschwung im Konjunkturzyklus kann schlimmstenfalls das Gegenteil von Inflation bewirken: Deflation. Deflation kommt in sinkenden Löhnen und Preisen zum Ausdruck, weil die Geldmenge im Verhältnis zu den gehandelten Waren und Dienstleistungen abnimmt (was bewirkt, daß jede Währungseinheit an Kaufkraft gewinnt), und das hat wiederum damit zu tun, daß weniger Kredit aufgenommen und weniger Geld ausgegeben wird und verbreitet Insolvenzen vorkommen.
Konjunkturzyklen und regulierte Geld- und Bankensysteme bilden den Rahmen, in dem Unternehmen, Investoren, Arbeitnehmer und Konsumenten agieren. Aber in den letzten Jahrzehnten ist innerhalb dieses Rahmens etwas Bemerkenswertes passiert. In den Vereinigten Staaten hat die Finanzindustrie bislang ungekannte Dimensionen angenommen und die gesamte Gesellschaft in eine Krise von ebenfalls ungekannten Dimensionen gestürzt. Wie und warum konnte das geschehen? Wie wir sehen werden, haben diese aktuellen Entwicklungen tiefreichende Wurzeln.
Verrücktes Geld
Investieren ist fast so alt wie das Geld selbst, und von den frühesten Zeiten an gab es immer zwei Motive für Investitionen: teilzuhaben an den Gewinnen eines produktiven Unternehmens und vom erwarteten Wertzuwachs von Anlagen zu profitieren. Die erste Art von Investitionen gilt allgemein als nützlich für die Gesellschaft, die zweite Art wird zumindest von manchen als eine Form von Glücksspiel gesehen, das letztlich zur sinnlosen Vernichtung von Reichtum führt. Es ist wichtig, daran zu denken, daß der Unterschied zwischen den beiden Arten nicht immer ganz eindeutig ist, weil zu Investitionen neben Gewinnerwartungen auch Risiken gehören.16
Hier einige Beispiele für die beiden Arten von Motiven. Wenn Sie Aktien von General Motors kaufen, erwerben Sie einen Anteil an der Firma; wenn die Firma gut wirtschaftet, bekommen Sie eine Dividende – in »normalen« Zeiten eine bescheidene, aber zuverlässige Verzinsung Ihrer Investition. Wenn Ihnen vor allem an Dividenden gelegen ist, werden Sie Ihre GM-Aktien wahrscheinlich über eine lange Zeit halten, und wenn die meisten anderen Besitzer von GM-Aktien die gleichen Motive haben, wird der Wert der Aktie ziemlich stabil bleiben – sofern keine groben Managementfehler passieren und kein allgemeiner Abschwung eintritt. Aber nehmen wir stattdessen einmal an, Sie hätten Aktien eines kleinen Startup-Unternehmens gekauft, das an einer neuen Technik zur Ölförderung arbeitet. Wenn die Technik funktioniert, könnte der Wert der Aktien in die Höhe schießen, lange bevor das Unternehmen Gewinne schreibt. Dann können Sie Ihre Aktien verscherbeln und einen dicken Reibach machen. Wenn Sie so eine Art Investor sind, werden Sie Ihre Aktien wahrscheinlich nur relativ kurz halten, und Sie werden sich solche Aktien aussuchen, die stark im Wert schwanken. Außerdem werden Sie dauernd auf der Suche nach Informationen sein – auch Gerüchten –, die bevorstehende Kursveränderungen bei bestimmten Aktien signalisieren.
Wenn sich viele Menschen auf spekulative Investitionen verlegen, wird das wahrscheinlich zu einer Abfolge von Hysterieanfällen oder von Blasen führen. Ein klassisches Beispiel ist der »Tulpenwahn« in Holland im 17. Jahrhundert, als sich aus dem Handel mit Tulpenzwiebeln eine Spekulationsblase entwickelte. Auf dem Höhepunkt der Hysterie Anfang Februar 1637 kosteten einzelne Tulpenzwiebeln mehr als das Zehnfache des Jahreseinkommens eines qualifizierten Handwerkers.17 Nur Tage später brachen die Preise für Tulpenzwiebeln ein, und die Spekulation damit endete praktisch. Näher an unserer Gegenwart, in den 1920er Jahren, wurde die Spekulation mit Aktien von Radiofirmen zur Blase du jour, und die Hysterie rund um Dotcom- und Internetfirmen liegt gerade erst gut ein Jahrzehnt zurück (1995–2000).
In Anbetracht der offensichtlichen Tatsache, daß Blasen meistens platzen, was zur Vernichtung von Reichtum in manchmal gewaltigem, katastrophalem Umfang führt, könnte man erwarten, daß Regierungen versuchen, die riskanteren Formen von Spekulation durch Regulierung zu beschränken. Bisher war das in Zeiten, die unmittelbar auf spektakuläre