»Das könnte damit zusammenhängen, dass ihm Macht angeboten wurde und nicht nur die Aussicht auf eine endlose Diskussion um seine Identität. Hättest du anders gehandelt?«
Da Nardonn lächelte schmal. »Hätte ich nicht. Du hast recht, er und ich sind vielleicht gar nicht so verschieden. Womöglich ließe sich sogar mit ihm verhandeln, wenn wir ihn und seine Leute erst mürbe gemacht haben. Jemand wie er an meiner Seite wäre in diesem Konflikt Gold wert. Da Ariga hätte seinen letzten und einzigen Trumpf verloren, und das zähe Ringen wäre endlich vorbei. Kein Blutvergießen mehr.«
»Er würde nicht darauf eingehen, selbst wenn das weitere Monate Krieg bedeutet. Er wird nicht riskieren, dass du ihn an die Ladhonen auslieferst.«
»Ich kann ihm ja mein Wort geben, ihn vor den Ladhonen zu schützen und ihm beim Untertauchen helfen. Falls er ihnen rein zufällig in die Arme läuft, ist es nicht meine Schuld.« Da Nardonn lächelte fein.
Sein Flaggschiffkommandant warf einen Blick auf die Zeitanzeige und schwenkte zurück. »Alle Einheiten Achtung. Abschließende Beschleunigungsphase und Sprungsynchronisation einleiten. Der Sprungzeitpunkt wird von der BOSTICH I vorgegeben. Navigation, übernehmen.«
»Sprung in zehn Millitontas.«
Selbstverständlich war ein Planet wie Murnark nicht ohne Bewachung, aber Jarak da Nardonn zählte auf den Vorteil der Überraschung. Das Weltraumfort war zudem zu schwach bewaffnet, um einem GAUMAROL-Raumer lange Widerstand leisten zu können; das Gleiche galt für die Wachflotte. Er hoffte, die Besatzungen würden das einsehen und sich heraushalten, da er nicht vorhatte, sie anzugreifen.
Er ließ sich daher nur von zwei Schweren Gefechtslakans begleiten; je sechs Schiffe der 300 Meter durchmessenden THARK-Klasse, drei Schiffe der YILLD-Klasse mit 600 Metern und ein DAGOR-Raumer von 1200 Metern, von dem aus der Lakan kommandiert wurde. Diese Lakans waren normalerweise die Kernelemente ihrer aus fünf weiteren Lakans mit geringerer Tonnage bestehenden Rhagarns.
Doch in diesem Fall brauchte da Nardonn nur wenige Schiffe, aber dabei viel Durchschlagskraft, um jeden Widerstand von vorneherein sinnlos zu machen. Wenn es nach seinem Plan ging, stießen sie nach Murnark vor, schnappten das Kurierschiff und sprangen wieder hinaus, bevor jemand Zeit zum Reagieren hatte. Daher hatte er darauf verzichtet, auch die leichteren Einheiten zum Einsatz zu bringen.
Ob es die richtige Entscheidung gewesen war, würde sich in Kürze zeigen.
»Sprung in drei Millitontas ... zwei ... eins ... jetzt.«
Von einem Moment zum anderen wechselte die Umgebung.
*
Die zeitliche Abstimmung war perfekt. Sie materialisierten so dicht am Planeten, wie es gerade vertretbar war. Das Kurierschiff hatte soeben auf die Feldtriebwerke umgeschaltet, um auf Sprunggeschwindigkeit zu beschleunigen. Noch ehe der Kommandant des 150 Meter durchmessenden Raumers der CARAN-Klasse reagieren und den Schirm aktivieren konnte, hatten die ersten Wirkungstreffer die Hülle wie Butter durchschlagen und die Triebwerkssektion getroffen.
Der Raumer geriet ins Taumeln und hinterließ einen glitzernden Streifen aus kristallisiertem Gas und Trümmern. Flackernd baute sich eben der Schutzschirm auf, als eine zweite Salve folgte, die nahezu den gesamten unteren Pol des Schiffs abrasierte. Eine Trümmerwolke breitete sich aus und verging im HÜ-Schirm, während das Schiff antriebslos mit der gleichen Geschwindigkeit weitertaumelte, die es zuletzt gehabt hatte – zu hoch, um auf den Planeten zurückzustürzen, aber zu gering, um in eine Transition zu gehen.
Während seine Schiffe in einer Zangenbewegung das Kurierschiff zwischen sich nahmen, ließ da Nardonn eine Funkverbindung aufbauen. Nachdem ihm Empfangsbereitschaft signalisiert worden war, sagte er: »Kurierschiff! Hier spricht Jarak da Nardonn. Wir haben kein Interesse, euch Schaden zuzufügen, und bedauern es, falls unser Beschuss bereits Leben gefordert haben sollte. Senkt euren Schirm und lasst euch von uns einholen, dann muss es keine weiteren Opfer geben.«
Ein Bild baute sich auf, blieb jedoch unscharf und instabil. Nur vage konnte man die hoch aufgerichtete Gestalt eines Arkoniden vor dem Hintergrund einer geschäftigen Zentrale erkennen. Auch die Tonübertragung ließ zu wünschen übrig, immer wieder gab es Verzerrungen in der Stimme. Offensichtlich hatte auch die Funkanlage des Schiffs etwas abbekommen.
»Kurierschiff EDLIN an Jarak da Nardonn. Wir betrachten den Angriff auf uns als Akt der Piraterie. Kein Arkonide würde sich Piraten ergeben! Lieber gehen wir aus freien Stücken in den Tod, als unser Schiff zu übergeben.«
»Kommandant! Dies ist keine Piraterie, sondern ein Gefecht im Kampf um eine glorreiche Zukunft für das arkonidische Volk! Ich sichere euch ehrenvolle Gefangenschaft unter dem Kriegsrecht und ...«
»Wenn ihr uns nicht den Weg freigebt, kannst du dir dein Kriegsrecht sonst wohin stecken, Verräter! Ich habe gesagt, was zu sagen war – lasst eure Finger von meinem Schiff, oder wir jagen es in die Luft!«
Der namenlose Kommandant unterbrach die Verbindung.
Da Nardonn brauchte nur Augenblicke für die Entscheidung. »Exakt dosiertes Feuer zum Aufbrechen des Schirms mit nur einem Schlag und unmittelbar anschließend Paralysebeschuss. Sie dürfen keine Zeit zum Reagieren haben.«
»Verstanden.« Da Minterol gab die Befehle.
Synchronisiert entluden mehrere Schiffe ihre schwächsten Überlichtwaffen auf dem Schirm des Kurierschiffs, der umgehend aufflackerte und verschwand. Im sofortigen Anschluss lösten die Positroniken die Lähmwaffen aus, damit die Besatzung keinen Versuch der Selbstzerstörung mehr unternehmen konnte.
Plötzlich dunkelte das Panoramaholo ab. Als die Filter wieder weggeschaltet wurden, trieb auf dem Kurs des Kurierschiffs nur noch eine langsam expandierende Wolke durch das All.
Kommandant da Minterol ließ sich in seinem Sitz nach hinten sinken. »Sie müssen die Selbstzerstörung schon vor dem Angriff aktiviert haben. Sie wollten wirklich lieber in den Tod gehen, als uns die Pläne zu überlassen.« In seinen Worten schwang widerwillige Bewunderung mit.
Da Nardonn ballte die Hand zur Faust und schluckte einen Fluch herunter. Der Einsatz war fehlgeschlagen, und jeden Augenblick mochten Schiffe auftauchen, die von dem Kurierschiff oder vom Planeten her zu Hilfe gerufen worden waren.
»Rückzug!«, befahl er mit vor unterdrücktem Zorn belegter Stimme. »Aber lasst Spionsonden zurück!«
5.
Pas de Chat
»Fünf Tage«, murmelte Vadkuin da Chao und rang die Hände, während er auf die verglühenden Trümmer auf der Holowand starrte. »Lyos leben oft nicht sehr lange, aber fünf Tage war verdammt kurz.«
»Leben?« Die Kommandantin sah irritiert zu dem Hochingenieur, dessen graues Haar in einer struppigen Igelfrisur von seinem Kopf abstand. Wie alle Murnarkoniden war er von gedrungener, stämmiger Statur; gerade mal anderthalb Meter groß und dabei so breit gebaut wie ein normal großer Ringer – eine Anpassung an die herrschenden Schwerkraftverhältnisse. »Lyos leben nicht. Sie sind Roboter.«
Zu fünft standen sie in einer für gewöhnlich unbenutzten unterirdischen Steuerungszentrale der Talur-Werft. Die Hauptwerft Murnarks war nach dem mythischen Admiral Talur benannt, der vor Jahrtausenden den Zentrumskrieg entschieden und den Arkoniden die Unabhängigkeit von ihren akonischen Stammvätern gesichert hatte.
Während der Name sich in der Bezeichnung für Thantur-Lok durch Lautverschiebungen verändert hatte – der ursprüngliche Name des Kugelsternhaufens hatte »Talur-Lok« gelautet, Talurs Ziel –, hatte man auf Murnark auf die ursprüngliche Sprechweise zurückgegriffen. In Mava da Valgathans Augen war es nur ein weiterer Hinweis darauf, dass man dort einerseits auf Traditionen pochte und andererseits bewusst bemüht war, sich abzusetzen.
Die Kontrollstation, an der sie sich aufhielten,