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APPETIZER
Band 2
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MYSTERY
Impressum
Alle Rechte vorbehalten.
Copyright © dieser Ausgabe 2021 by KOVD Verlag, Herne
Nachdruck und weitere Verwendung
nur mit schriftlicher Genehmigung.
ISBN: 978-3-98522-037-3
Für Uta
Dies ist nicht die Geschichte einer Familienauslöschung. Obwohl Mutmaßungen darüber vorkommen werden, das schon. Sie kann aber nicht haupt- oder ursächlicher Bestandteil sein, weil nämlich unklar ist, ob überhaupt eine Auslöschung, eine Tragödie, ein Massaker, stattgefunden hat. Als ich ein Kind war, verwechselte ich die Wörter Moussaka und Massaker miteinander; ein drollig-morbider Fehler, der später auch meiner Tochter unterlief. Wenn Wörter derart wenig fest verankert und wankelhaft sein können, wie sollte man da Erzählungen Glauben schenken, die mündlich und in der Absicht übler Nachrede erfolgen?
Ein falsches Wort kann genügen, den Sinn zu entstellen, einen schlechten Scherz zur Lüge, die Lüge durch Wiederholung zur Wahrheit werden zu lassen. »Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist«, sagen die einen. »Kein Rauch ohne Feuer« die anderen. Rauch also.
Im Zimmer meines Vaters riecht es nach Zigarette, was mir nicht unangenehm ist, obwohl ich selbst nie geraucht habe. Die Tabaknote ist eine der angenehmeren Aromen im Hospiz, sie überlagert wie ein sorgloser Hauch die Gerüche des Sterbens.
»Hast du geraucht?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass er dazu körperlich nicht mehr in der Lage sein kann. Vorbei die Zeiten eines nikotinbitteren Schnauzbarts. Blasse Erinnerung.
»Nein«, antwortet mein Vater mühsam, »der Türke raucht manchmal heimlich eine. Am Fenster.«
Er sagt Türke ohne den Einschlag von Abneigung oder den Ton alter Ressentiments. Er sagt Türke, weil er den Namen des jungen Mannes vergessen hat.
»Stört dich das? Soll ich die Leitung darüber informieren?«, frage ich in der Hoffnung, dass er ablehnt.
Mir kommt es unklug vor, jemanden zu verpetzen, der in seine Pflege involviert ist. Überhaupt versuche ich zu vermeiden, reingezogen zu werden und für ihn irgendetwas regeln zu müssen. Oder auch nur das Gefühl zu haben, ich müsste.
Ich muss nämlich nichts. Ich schulde ihm so wenig wie die anderen.
»Lass mal, hab ich dem doch erlaubt«, sagt er.
Verschwörerisch.
Kumpelhaft.
Ob meine älteren Brüder diese Seite an ihm von früher kennen? Ich jedenfalls nicht. Dafür war ich zu jung, als er ging. Trotzdem bin ich die Letzte, die noch kommt. Meine Geschwister sind »damit durch«, wie sie sagen. Mána war zwei oder dreimal da, vermutlich aus Pflichtgefühl. Oder um nicht wegen Hartherzigkeit im Angesicht des Todes später einmal den Zugang zum Himmelreich verweigert zu bekommen.
Sicher ist sicher.
Warum sollte sie am Bett sitzen und die Hand desjenigen halten, der sie vor 22 Jahren ohne ein Wort der Erklärung verlassen und nie wieder von sich hören lassen hat? Stattdessen halte ich sie – die Hand. Sie wirkt alterslos, beinahe frisch, gar nicht wie die eines klapprigen Todgeweihten. Sie suggeriert pralle Lebendigkeit und als ob alles gut werden könnte, ist aber lediglich Ergebnis der Infusionen, die pausenlos in ihm versickern. Ich wünschte, wenigstens meine Hand wäre warm. Ist sie aber nicht. Zwei kalte Hände liegen ineinander.
»Tust du mir einen Gefallen, Agápi mou? Du bist die Einzige, die ich bitten kann.« Weil wir nicht im mindesten miteinander vertraut sind, missfällt es mir, auf diese Weise von ihm angesprochen zu werden. Er bemerkt es nicht.
»Erfüllst du deinem Vater einen letzten Wunsch?«
Obwohl es mir widerstrebt,