Das Glück. Artur Brausewetter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Artur Brausewetter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711487648
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in Elisabeths Antlitz sich leise zu teilen begannen, „diese Krankheiten sind tückisch, und“ — setzte er mit einem prüfenden Blicke auf das bleiche Kindergesichtchen hinzu, „zu viel Wehrkraft hat der kleine Mann noch nicht aufzubieten.“

      Vorsicht! Er hätte sie Elisabeth nicht zu raten brauchen. Sie hatte keine Zeit zum Essen und Schlafen ... keinen Gedanken, der nicht ihrem Lieblinge galt. Sie liess aus ihrem Abend- und Morgengebet alles fort, um was sie sonst zu bitten pflegte, nur um ihrem Gotte das Einzige um so nachdrücklicher, um so flehender in das Erbarmerherz hineinbeten zu können: ihr Kind, ihr süssestes Glück. Sie schalt sich undankbar, warf sich vor, dass ihre Freude über des Kindes frühere Gesundheit und seinen Frohsinn nicht gross, nicht rein genug gewesen; ... ach, was würde sie jetzt geben für ein kurzes Lächeln von diesen ernst geschlossenen, kleinen Lippen!

      Da wandte sich das Kind in seinem Bette um, und als hätte es den Wunsch der Mutter gehört, verzog es den zarten Mund zu einem matten Lächeln, das sein blasses Antlitz wundersam erhellte.

      Elisabeth aber sank in ihre Kniee nieder und weinte ... haltlos und unaufhörlich, so dass ihr ganzer, durch die vielen Nachtwachen erregter Körper flog. Aber sie war nie in ihrem Leben so selig gewesen als unter diesen Tränen. —

      Und Hermann?

      Er hatte sein neues Werk, an dem er mit schonungsloser Hingebung bis zu dem letzten Federstrich gearbeitet, beendet und an den Professor G ... in sauberster Abschrift zur Kritik abgesandt. Er fühlte sich, wenn auch die Anstrengungen eines bis auf seine Sekunden ausgekauften Jahres an seinem Körper merkbar wurden, in seinem Gemüt und Geist gehoben und erfrischt ... er ahnte, er wusste es, dass sein Fleiss diesmal nicht vergeblich gewesen, dass er einen Grund gelegt, auf dem er zuversichtlich weiter bauen durfte.

      Schon sah er sich dem heiss ersehnten Ziele näher, schon umspielte der Odem des neuen Glückes seine fiebernde Stirn ... da erkrankte sein Kind.

      Und es schien, als ob dieser plötzliche, ungeahnte Vorfall eine Veränderung in seinem Verhalten hervorriefe.

      Die ersten Anzeichen der Krankheit, die wachsende Sorge seiner Frau, der Ernst des Arztes bei all seiner ruhigen Zuversicht ... das alles machte ihn nachdenklich. Er vermisste nicht nur das lieb gewordene Spielzeug ... er fing an ernstlich darüber zu reflektieren, wie gebrechlich es war, wie zart sein Organismus. Es wurde ihm klar, dass er nicht nur die heitere Erholung seiner Mussestunden, dass Elisabeth ihren grössten Schatz verlieren könnte, dass ein solcher Verlust ihr Herz brechen müsste.

      Dunkle Empfindungen, seltsame Ahnungen durchzuckten sein Herz ... er suchte sie abzuschütteln wie einen lästigen Traum ... sie kamen wieder und wieder ... immer drohender, immer quälender. Er schlich — rücksichtsvoll, wie Elisabeth ihn niemals dem Kinde gegenüber gesehen — auf den Zehen an das kleine Krankenbettchen ... er sah mit ängstlich prüfender Miene in das veränderte Gesichtchen ... er rief seine Frau niemals von ihrem Platze ab ... er erlaubte ihr die Nacht unausgekleidet am Lager des Kindes Wache zu halten, er begann einen edlen Wetteifer, sie hierin abzulösen.

      Eine seltsame Veränderung ... und doch nur eine scheinbare! Sie währte gerade drei Tage ... die ersten drei Tage, als die Krankheit nicht ohne Bedenken war. Sowie der Arzt das erste Wort gesprochen, das diese zerstreute, — war sie geschwunden ... Ja, sie schlug in ihr Gegenteil um.

      Das Kind war nicht ernstlich krank, war es vielleicht nie gewesen ... er aber bedurfte der Erholung, er sehnte sich nach einigen sorgenfreien, fröhlichen Stunden ... wahrlich, er hatte sie verdient. Aufatmen wollte er von der langen, mühevollen Arbeit, der dumpfigen Zimmerhaft, die wenigen schönen Tage, die der Spätsommer so spärlich gönnte, geniessen!

      Und Elisabeth hatte nie Zeit für ihn ... Elisabeth dachte nur noch an das Kind, lebte nur noch für dieses ... Elisabeth ging nicht mit ihm spazieren, wollte nicht einen der lange vernachlässigten Besuche in der Nachbarschaft machen ... Elisabeth scherzte nicht wie früher die Schatten von seiner Stirn, las nicht des Abends mit ihm, wie er es so gern hatte.

      An aller Ungemütlichkeit, allem damit verbundenen Unfrieden des Hauses hatte nur das überängstlich verhätschelte Kind, ... nur der kleine, aber viel zu gewaltige Tyrann schuld. Er machte ihn krank und sie. Ihm selber aber fehlte so gut wie gar nichts ... ja ein quängelnder, durch allzu grosse Liebe verhätschelter Tyrann — das war und blieb er. — —

      Ach, Hermann sah es nicht, wie langsam, ja wie wenig das Kind sich erholte, er glaubte den heissen Tränen nicht, die Elisabeth weinte, als sie nach einigen Stunden quälenden Morgenschlafes an einem regnerischen Tage des Septembers erwachte und ihren Liebling weniger ... auffallend weniger wohl fand als in der letzten Zeit.

      9.

      In trübes Sinnen verloren sass sie an seinem Bette. Nach schwerer Mühewaltung war es ihr gelungen, ihn soeben in einen lindernden Schlaf gebracht zu haben, als ungestüm und laut die Tür der Kinderstube aufgerissen wurde, und Hermann hineintrat.

      Freude und Glück glänzten auf seinen hellen Zügen.

      Vergeblich winkte sie ihm flehend mit der erhobenen Hand zu ... er dachte nicht an das kranke Kind ... ganz andere, viel wichtigere Gedanken wirbelten durch seinen Kopf.

      „Denke dir an,“ rief er seiner Frau in lautem Eifer zu, „der Professor G ... ist in unserer nächsten Nähe, in D ... Er schreibt mir eben, dass er mich heute Abend beim Präsidenten zu treffen hofft, wo er mir angenehme Mitteilungen zu machen habe.“

      „Und hier,“ fügte er triumphierend hinzu, auf einen zweiten Brief weisend, der in seiner linken Hand zitterte, „eine Einladung vom Präsidenten für heute zum Abendessen für uns beide.“

      Elisabeth entgegnete kein Wort. Sie hatte nicht Zeit dazu. Der Kleine, von dem lauten Lärm aus seinem ohnehin unruhigen Schlummer jäh emporgeschreckt, schrie mit ängstlicher Stimme.

      Es war nicht das Schreien eines ungeduldigen Kindes ... wie ein jammerndes Wimmern klang es in das Ohr der verzagten Mutter.

      Ärgerlich und in seinem freudevollen Stolze durch dies gleichgültige Verhalten seiner Gattin tief gekränkt, verliess Hermann das Zimmer ... geräuschvoll wie er gekommen ...

      Kurze Zeit darauf trat Elisabeth, die das noch immer leise wimmernde Kind für wenige Augenblicke bei dem Mädchen gelassen, zu ihm.

      „Glaube mir, Hermann,“ sagte sie zu ihm mit einer Stimme, durch die, so verschleiert sie war, eine innige Zärtlichkeit hindurchklang, „ich freue mich herzlich mit dir ... ich gönne dir dein Glück von ganzer Seele, denn du hast es mühsam genug errungen ... aber begleiten kann ich dich heule Abend nicht.“

      „Natürlich,“ gab er in heftiger Bitterkeit zur Antwort. „Du kannst nicht — der kleine Tyrann gestattet es nicht.“

      „Das Kind ist kränker, als du es wahr haben willst,“ gab sie sehr ruhig zur Antwort, aber eine dicke Träne lief die abgehärmte Wange herunter, und die bleichen Lippen bebten aufeinander. Er sah es nicht.

      „Du weisst, wie viel mir heute an deinem Mitkommen gelegen ist,“ erwiderte er erregt; „diese Einladung vom Präsidenten ist eine grosse Zuvorkommenheit.“

      „Wenn du seiner Frau sagst, dass mein Kind krank ist, ... ernstlich krank ... so wird sie mein Ausbleiben entschuldigen.“

      „Das weiss ich nicht — nur so viel weiss ich, dass mir an einer engeren Verbindung mit diesem Hause viel gelegen ist. Der Präsident will mir wohl ... er hat es mir schon oft gezeigt. Und er ist nicht nur der einflussreichste Mann unserer Provinz ... er hat auch zur Universität in B ... die wichtigsten Beziehungen. — Deine Absage aber auf diese erste Einladung schneidet jeder weiteren den Weg ab.“

      Die Adern auf seiner hohen, weissen Stirn sprangen dunkel hervor und schwollen merkbar an. Er war in zorniger Erregung.

      „Endlich,“ fügte er mit stickender Stimme hinzu, „öffnet sich mir die Bahn zum Glück, die ich so lange schmerzlich und vergeblich gesucht, und — wie ich mir’s hätte vorher sagen können — dieser kleine Tyrann sperrt sie mir!“

      Elisabeth kämpfte in innerster