Operation Rhino. Lauren St John. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lauren St John
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783772543456
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was sie vom tadellos gepflegten Vorgarten ihrer Großmutter trennte.

      «Ben, nein …!»

      Es war zu spät. Er war rechts abgebogen.

      Martine musste sich im Bruchteil einer Sekunde entscheiden: das Rennen abzubrechen und wochenlang den Abwasch zu machen oder sich den Zorn ihrer Großmutter einzuhandeln. Sie entschloss sich, es darauf ankommen zu lassen.

      Mit einem leichten Druck ihres linken Beins sorgte sie dafür, dass die Giraffe dem Basotho-Pony hinterherstürzte. Mit ein paar wenigen Sprüngen hatte Jemmy Shiloh überholt.

      Martine grinste Ben über die Schulter an. Als sie wieder nach vorn sah, war die gelbe Steineibe so nah, dass sie schon die Furchen in ihrer Rinde sehen konnte. Der Sieg war ihr nicht mehr zu nehmen.

      Sie blickte in die Richtung des Hauses und hätte beinahe einen Herzanfall erlitten. War das Tendai da im Schatten des Mangobaums? Was, wenn er es ihrer Großmutter sagte? Die nächsten zehn Jahre würde sie Jemmy nicht mehr reiten dürfen. Aber als sie noch einmal hinsah, war niemand da.

      Shiloh hingegen war keineswegs in der Stimmung, den Kampf aufzugeben. Obwohl die Stute vor Schweiß glänzte, genoss sie jede Sekunde. Die Ohren flach am Kopf, flitzte sie weiter, bis ihre bebenden roten Nüstern gleichauf mit Jemmys silbernen waren. Das Pony und die Giraffe passten sich Schritt für Schritt einander an. Der Stamm der Steineibe rauschte vorbei.

      «Fotofinish», sagte Ben grinsend, als sein Pony schnaubend zum Stehen kam. Er bückte sich nach unten, um den Sattelgurt zu lockern. «Zu knapp, um es zu entscheiden. Obwohl ich ziemlich sicher bin, dass ich mit Shiloh um Haaresbreite gewonnen habe.»

      «Das hättest du wohl gerne», gab Martine zurück. «Jemmy war mindestens eine Nasenlänge voraus.»

      Sie lachten und neckten sich gegenseitig, während sie am Wasserloch vorbei in Richtung Gartentor ritten. Normalerweise machte Ben nicht viele Worte, doch jetzt schäumte er geradezu über.

      «Hast du gesehen, wie Shiloh abgezischt ist? War sie nicht ganz toll? Ich meine, ich habe sie jetzt gerade mal ein paar Tage, aber ich bin sicher, es gibt kein besseres Pony in ganz Südafrika. Sie ist so bemüht und zugänglich und, natürlich, schnell wie der Blitz …»

      Martine lächelte über Bens Begeisterung. Genauso waren ihre Gefühle Jemmy gegenüber, daher konnte sie ihn vollkommen verstehen. Mit jedem Tag liebte sie die weiße Giraffe mehr.

      Ben unterbrach sich mitten im Satz. «Martine, sieh mal! Frische Nashornspuren, höchstens ein oder zwei Stunden alt. Wir müssen sie knapp verpasst haben.»

      Die beiden Weißen Nashörner waren Neuankömmlinge auf Sawubona, nachdem sie aus einem Reservat an der Grenze zu Mosambik geborgen worden waren, wo rettungslos gewildert wurde. Martine war an dem Tag bei Ben zu Besuch gewesen und hatte sie erst einmal gesehen – aus der Ferne und halb von Bäumen verborgen. Da war etwas an ihrer prähistorischen Gestalt, das es einem schwer machte zu glauben, dass sie echt waren.

      Martine war sich nicht so sicher, was sie von Nashörnern halten sollte. Sie war mit Leib und Seele dafür, alle Wildtiere zu retten und zu beschützen, aber Nashörner waren nicht gerade knuddelig. Schwarze Nashörner waren für ihre Misslaunigkeit bekannt, und Weiße Nashörner waren nicht nur kurzsichtig, sondern auch noch tollpatschig. Beide Arten sahen aus, als trügen sie Rüstungen, und Martine hatte insgeheim das Empfinden, dass sich die Persönlichkeit dieser Tiere sehr gut darunter verbergen konnte. Giraffen hingegen waren einfach nur wunderbar.

      Als sie das Tor erreichten, ließ sich Jemmy nieder, damit Martine abspringen konnte. Wenn nicht, hätte sie eine Leiter gebraucht. Sie öffnete das Tor und nahm den Sack Karotten, Äpfel und Zwiebeln, den sie vorher dort abgelegt hatte. Während Shiloh zwei Äpfel und ein paar Polo-Pfefferminzbonbons aus Bens Hosentasche futterte, zerkaute Jemmy nacheinander fünf Karotten und vier Zwiebeln. Der Saft lief ihm über das Kinn, und aus lauter Begeisterung hatte er die Augen geschlossen.

      Martine atmete zufrieden auf. «Und wieder ein Tag im Paradies!»

      Sie bemerkten Tendai nicht, bis er direkt vor ihnen stand. Seine mächtigen Arme hatte er vor der Brust verschränkt, und sein dunkles Gesicht glich einer Gewitterwolke, die Narbe in seinem Gesicht einem zuckenden Blitz.

      Noch bevor er anfing zu sprechen, wusste Martine, was er sagen wollte. Sie unterdrückte ein Stöhnen. Von wegen Abwasch! Sie und Ben würden Sawubonas schrecklichste häusliche Pflichten aufgebrummt bekommen! Die nächsten zehn Jahre. Mindestens.

      Das war das Problem, wenn man im Paradies lebte: Ärger war nie weit davon entfernt.

      • 2 •

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      «Tendai, wir haben doch nur Spaß gehabt. Ich verspreche, wir tun es nie wieder. Nur, bitte, sag meiner Großmutter nichts davon. Bitte bitte bitte!», bettelte Martine zum soundsovielten Mal.

      «Wovon nichts?», fragte ihre Großmutter, die gerade in einer geblümten Schürze mit Warzenschweinen darauf aus der Küche trat. Der Duft von Armen Rittern und karamellisierten Bananen, vermischt mit gebratenen Champignons und Tomaten, umwehte sie.

      «Gibt es etwas Interessantes aus dem Wildreservat heute Morgen? Wie kommen Jemmy und Shiloh miteinander aus? Glaubt ihr, sie werden Freunde? Kommt rein und erzählt mir alles beim Frühstück. Ich will nicht, dass das Essen kalt wird. Bis später, Tendai. Vergiss nicht, beim Tierarzt vorbeizufahren und eine Salbe für die Impala mit den wunden Augen mitzubringen.»

      Mit einem Blick, der bedeuten sollte ‹Darüber sprechen wir noch›, sprang Tendai in seinen Land Rover. Er ließ den Motor übermäßig aufheulen und schoss die Auffahrt hinab.

      Martine und Ben seufzten erleichtert auf. Sie zogen nur schnell ihre Stiefel aus und wuschen sich die Hände im Küchenspülbecken, dann spurteten sie ins Esszimmer. Die bodentiefen Fenster zum Garten standen offen. Das Sonnenlicht ergoss sich über die weiße Tischdecke wie flüssiger Honig.

      Warrior und Shelby, die beiden Katzen, umrundeten den Tisch in der Hoffnung auf einen Leckerbissen. Hinter ihrem strengen Äußeren hatte Gwyn Thomas insgeheim ein weiches Herz. Es dauerte nicht lang, und die Katzen hatten sie so weit, dass sie ihnen eine Untertasse mit dicker Sahne hinstellte. Martine lachte über ihren glückseligen Ausdruck.

      Anstatt sich weiter Gedanken zu machen, was Tendai ihrer Großmutter verraten würde und was nicht, konzentrierte sie sich lieber darauf, was wohl köstlicher war: der erste Gang, der aus frischen Eiern mit goldgelbem Eigelb, gebraten mit Champignons und Tomaten, bestand, oder die Nachspeise aus Armen Rittern mit karamellisierten Bananen und einem Klecks Sahne. Paw Paw (Papaya)-Saft rundete das Mahl ab. Nachdem sie erst am Tag davor, nach dem Festschmaus zu ihrem Geburtstag, geschworen hatte, nie wieder etwas zu essen, war Martine erstaunt, wie mühelos das Neujahrsfrühstück in ihren Magen passte.

      Entschlossen, ihre Großmutter bei Laune zu halten, sorgte sie für einen heiteren Gesprächsfluss. Zwischen zwei Bissen beschrieb sie den Sonnenaufgang über dem Steilhang und die Nashornspuren, die Ben neben dem Wasserloch entdeckt hatte.

      «Schön zu hören, dass die Nashörner am Leben sind und dass es ihnen gut geht», sagte Gwyn Thomas. «Jeder Besucher, der telefonisch ein Ticket für die Safari ‹Stars and Stripes› heute Abend bestellt hat, schien versessen darauf, die Großen Fünf zu sehen. Unsere neuen Nashörner stehen offenbar ganz oben auf der Liste. Ich habe mein Bestes gegeben, um zu erklären, dass es Hunderte von afrikanischen Tieren gibt, die genauso besonders und exotisch sind wie Elefanten, Löwen, Leoparden, Büffel und Nashörner – zum Beispiel eine weiße Giraffe. Aber vergeblich.»

      «Vielleicht solltest du ihnen den tatsächlichen Grund nennen, warum ausgerechnet diese Tiere die Großen Fünf genannt werden», schlug Martine vor.

      «Weil sie bei Jägern als die gerissensten und gefährlichsten Tiere gelten, die sie jagen können? Ja, ich war kurz davor, das zu sagen, aber dann habe ich mich daran erinnert, dass vermutlich alle, die ein