Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes Lindemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hannes Lindemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783667104083
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sie hatte aber dies: den Willen zu helfen und die Fähigkeit durchzuhalten. Und das ist viel mehr wert als Segelkenntnisse. Ob Nacht oder Sturm, sie hielt später ihre Ruderwache und bestätigte das alte Wort, nach dem Mann und Frau das beste Segelteam sind.

      Vigo liegt an einer tief ins Land geschnittenen Bucht, die von mehreren vorgelagerten Inseln gegen atlantische Weststürme und groben Seegang gesthützt ist. Ein ideales Segelrevier für Anfänger oder auch genau die richtige Atmosphäre für Flitterwöchner. Zudem ist die Bucht vom Hauch des Abenteueuerlichen umwittert, von Überfall, Mord und Totschlag. Sie birgt einen Schatz und keinen legendären, sondern einen mit einem historischen Stammbaum: die Engländer versenkten 1702 hier die Silberflotte, die bis heute noch immer auf dem Meeresgrund ruht.

      Welcher Seglerlehrling kann schon vorweisen, er sei in einer Bucht gesegelt, deren Boden aus Silber besteht? Die Niña konnte es. So versuchte ich, ihr das Segeln schmackhaft zu machen.

      Eines stellte sie allerdings betrübt fest: eine Bank ist kein Ehebett und ein Boot kein schwimmendes Hotel …

      Miesmuscheln hüten Silberschatz

      Als wir in der Bucht umherkreuzten, wurden wir in der Enge von San Simon auf eine Gruppe von Frauen aufmerksam, die auf einem quadratischen Holzfloß einer geheimnisvollen Beschäftigung nachgingen. Da unsere Neugier geweckt war, legten wir kurz entschlossen bei ihnen an. Die Frauen sahen in ihren abgetragenen, schmutzigen Kleidern wie arme Bäuerinnen aus; sie waren jeglichen Alters, und sie schauten kaum von ihrer Arbeit auf, als wir auf ihr Floß kletterten. Als wir sie ansprachen, begannen sie schließlich verlegen zu lächeln.

      Ja, es waren Bäuerinnen, Miesmuschelbäuerinnen sozusagen, sie sortierten ganze Berge dieser frischgeernteten Schalentiere. Ob sie wohl wußten, daß ihre Miesmuscheln, die sie an vielen im Wasser pendelnden Tauen züchteten, direkt über dem Silberschatz schwebten?

      Die blauen Mies- oder Pfahlmuscheln finden wir auch bei uns im Norden. An Dalben, Pfählen, Felsen und Brückenfundamenten sitzen sie, und wenn ein Schiff zu lange: im Hafen liegen bleibt, kleben sie sich mit ihren Byssusfäden an die Giftfarbe des Dampfers und nehmen gar keine Rücksicht auf die Reputation der Patentfarbe und deren Herstellerfirma.

      Sie haben Ähnlichkeit mit Austern. Wie schnell sie sich vermehren, bewiesen sie uns in den Niederlanden. Dort hatten während des letzten Krieges die abziehenden deutschen Truppen die Insel Walcheren unter Wasser gesetzt, indem sie die Deiche zerstörten. Und wer eroberte die Insel? Die Alliierten? Das Wasser? Ja, auch die und das! Aber festgesetzt und niedergelassen haben sich dort die Miesmuscheln.

      Das fanden die Holländer heraus, als sie nach einem Jahr die Deiche wiederherstellten und das Wasser auspumpten. Überall klebten die Muscheln, an Häusern, an Wegweisern, an zurückgebliebenen Autos und zerstörten Tanks. Selbst auf die Bäume waren sie geklettert! Doch nie über die Wasserlinie hinausgedrungen.

      Muscheln über Muscheln! Bis zu 30.000 Stück pro Quadratmeter!

      Sie sind Kleinerzeuger einer klebrigen Masse, die an ihrem Fuß entlanglßuft und im Wasser sofort zu Fäden gerinnt. Mittels dieser Fäden hängen sie sich an irgendeinen Gegenstand – beispielsweise an die Taue der Miesmuschelbäuerinnen. Wollen sie „Höhensonne“ genießen, spinnen junge Muscheln ihre Fäden nach oben und seilen sich mit einem Klimmzug daran empor – eine peinlich langwierige Methode, aber Muscheln haben’s halt mit der Ruh’. Nahezu die Hälfte des Tages sind sie damit beschäftigt, sich frisches Wasser zuzuwedeln, damit ihre Kiemenbögen aus dem sie durchströmenden Wasser planktonischen Kleinkram herausfiltern können.

      Viel werden sie da nicht schaffen? O doch: in einer einzigen Stunde fächeln sie sich mehrere Liter durch ihren Filterapparat! Und jeder Kubikliter Wasser enthält Tausende von pflanzlichen und tierischen Zellen.

      Nicht in allen Teilen der Welt verzehrt man die Miesmuscheln mit solchem Genuß wie in England oder Barcelona oder auch auf unserem Boot. Das mag daran liegen, daß der Genuß von Muscheln, die in giftigen Abwasserbereichen leben, zum Tode führen kann.

      Viele Feinde haben diese Tiere nicht. Ein Gegner ist die Möwe, die schwache Schalen zerbeißen kann, sich bei härteren jedoch eines Tricks bedient: sie steigt in die Luft, äugt, ob unter ihr felsiger Boden liegt und läßt die arme Miesmuschel fallen, die dann mit einem Knall zerplatzt, der für die Möwen der Umgebung zum Startschuß für den üblichen Streit wird.

      Weil die Miesmuschel sich so eisenfest mit ihren Fäden an alles klammert, was von frischem Wasser umspült wird, glaubte sie, der Fuß sei wichtiger als der Kopf, und darum hat sie heute fast keinen Kopf mehr und keine Augen, ganz im Gegensatz zu ihren Vorfahren, die all diese Dinge noch besaßen und frei im Wasser umherschwammen.

      Der Aufseher auf dem Muschelfloß schenkte Niña zu ihrer großen Freude einen halben Sack voller Muscheln. Offensichtlich dachte er beim Anblick ihrer schlanken Figur, sie werde bei mir nicht satt. Die folgenden Tage verzehrten wir dann mit großem Genuß in Rotwein und Zwiebeln gekochte Miesmuscheln.

      Schließlich nahmen wir von Vigo Abschied; sein großzügig angelegter Yachtclub, der architektonisch den Aufbauten eines Dampfers gleicht, lag bald hinter uns; vor uns erhoben sich aus dem Dunst des Atlantischen Ozeans die Felseninseln Cies.

      Der Vogel mit dem Rucksack

      Niña, die inzwischen ihren Segelunterricht mit Erfolg absolviert hatte, steuerte das Boot in eine abgelegene Bucht der bis vor kurzem unbewohnten Nordinsel Cies.

      Wir strebten durch Sand und dürres Gesträuch dem Süden der Insel zu, als ich plötzlich auf dunkle Wasservögel aufmerksam wurde, die kopfüber ins himmelblaue Meer tauchten. Alle Augenblicke kamen sie mit einem Fisch im Schnabel wieder an die Oberfläche und verschlangen ihn vor unseren Augen. „Komische Enten sind das“, meinte Niña.

      Aber es waren Kormorane; sie tragen eine Art Rucksack in ihrem Schnabel: zwischen den Kiefern des unteren Schnabels ist die Kehlhaut elastisch und dient als Futterkrippe.

      Im Gegensatz zu vielen anderen Tauchvögeln werden Kormorane im Wasser „naß“: ihr Gefieder ist wasserdurchlässig, sie müssen es sich nach jedem Fischzug mit den Flügeln trockenwedeln. Im Wasser haben sie einen so großen Tiefgang, daß man glauben könnte, ihre Füße seien aus Blei. Bei den Fischern sind diese Tiere nicht beliebt; sie werden als Konkurrenten betrachtet, die gierig ebenso viele Fische verzehren wie des Fisdlers Familie.

      In Japan, China und vielen anderen Ländern „kaufen“ sich die Fischer ihre Konkurrenz auf: junge fleißige Kormorane – Kormorane sind immer fleißig – werden von ihnen dazu dressiert, von einem Boot aus auf Fische Jagd zu machen. Die Vögel tragen während ihrer Arbeit einen Hanfgarnring um den Hals, der sie daran hindert, größere Fische zu verschlucken. Jeder Fischer hat sechs bis zwölf Kormorane in seinem Boot, mit denen er jagt, denn die Arbeit erschöpft die Vögel rasch.

      Nur ein einziger Vogel wird jeweils ins Wasser gelassen; er schluckt so viele Fische, wie sein Rucksack aufnehmen kann und kommt dann taumelnd zum Boot zurück, wo er von seinem Gebieter einen Klaps auf den Hals bekommt, damit er seinen Fang herauswürgt. Zur Belohnung erhält er großzügig kleinere, minderwertige Fische, die nicht verkauft werden können. Da die Kormorane gewandte Schwimmtaucher sind und gut eine Minute unter Wasser2 bleiben können, fangen sie in wenigen Stunden eine ansehnliche Zahl von Fischen.

      Die Inseln wurden uns zum wahren Ferienparadies. Wir kraxelten in den Bergen herum, pflückten Brombeeren, badeten an einsamen Strandplätzen und suchten nach seltenen Muscheln. Doch da wir als moderne Menschen einen Fahrplan besaßen, kam bald die Stunde der Abfahrt.

      Durch gefährliche Kanäle segelten wir nach dem Fischernest Bayona, das als erste Stadt der Alten Welt die Nachricht von der Entdeckung Amerikas erhielt. Dort hatte die Karavelle „La Linta“ unter dem Kapitän Martin Alonso Zuflucht vor einem schlimmen Sturm gesucht, nachdem sie schon einige Wochen zuvor vom Schiff des Kolumbus, der „La Niña“, in Höhe der Azoren durch einen Sturm getrennt worden war. Man macht nicht viel Aufsehens von diesem merkwürdigen Ereignis, nur eine kleine Inschrift erinnert