Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes Lindemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hannes Lindemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783667104083
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aus dem Norden vorrückt, die Christianisierung sich hingegen auf die Umgebung der Missionsstationen konzentriert.

      Mit der starken Guineaströmung gelangte ich schnell nach Osten und passierte in der Nacht Takoradi, dessen Lichter weit aufs Meer hinausschimmerten. Takoradi ist einer der größten Häfen Westafrikas, in dem vor allem Bauxit, Holzstämme und Kakao verschifft werden.

      Berühmte Festungen zogen an mir vorüber: das Fort San Sebastian in der Shama Bay, das berühmte Schloß Elmina, mit dessen Bau die Portugiesen bereits im Jahre 1482 begonnen hatten, das cremefarbene Cape Coast Castle und das Fort Nassau. Endlich kam Accra. Im trüben Harmattan, dem trockenen Saharawind, glich es einer Geisterstadt.

      Pressekonferenz bei Nkrumah

      Vor Accra auf der Reede zu liegen ist ein Erlebnis! Das Kommen und Gehen der Brandungsboote zu den Dampfern erinnert an die Züge von Treiberameisen, die man in Westafrika so häufig beobachten kann. In singendem Rhythmus bewegen die Fanti-Leute gleichförmig ihre Pagays mit den dreifingrigen Paddelblättern, die so aussehen, als wären sie ein ausgeplätteter Dreizack Neptuns.

      Accra, Eingeborenenviertel: ein stinkiges Nest von tropischem dolce far niente, von Schmutz und Unkultur. Der „westafrikanische Geruch“ – Rauch und Palmöl – vermischt sich mit dem Gestank der überall herumliegenden Abfälle.

      Accra, Zentrum: Hochhäuser beschatten Baracken, auf überfüllten Gehwegen sieht man viele Soldaten und Polizisten – an jeder zweiten Uniform blinkte eine Ordensschnalle aus dem Weltkrieg –, es leuchten farbenprächtige Togen neben phantasielosen europäischen Kleidern. Auf den Straßen wimmelt es von Fahrzeugen; man könnte meinen, in Südafrika zu sein.

      Ich mußte auf der Einwanderungsbehörde meinen Paß präsentieren; ein freundlicher Ghanese lud mich ein, Plan zu nehmen, sein Chef habe gerade eine Besprechung. Die Zeit wurde mir nicht lang, denn die Polizisten wußten Interessantes über ihr Land und über den Aufschwung Ghanas zu berichten.

      Plötzlich hustete es hinter der Tür so ungeniert laut, daß sich die Polizisten betreten ansahen. Einer von ihnen meinte recht bildhaft: „Nilpferde benehmen sich nur unter Wasser so“, ein anderer fügte hinzu: „Elefanten nicht einmal, wenn sie im Urwald allein sind.“

      Ich war ziemlich erstaunt, als ich den lauten Chef schließlich kennenlernte: Er war Engländer. Geld wollte er von mir haben. Als ich ihm zu erklären suchte, daß ich bei einem früheren Besuch in Ghana mit einem Boot nichts zu bezahlen brauchte, unterbrach er mich brüsk und stellte mich ohne weitere Erklärungen vor die Wahl: zahlen oder Gefängnis oder abfahren!

      Es war das einzige Mal während meiner vielen Aufenthalte in afrikanischen Häfen, daß ich diesen barschen Ton zu hören bekam. Es gab mir zu denken, daß er von einem Europäer stammte und nicht von einem Afrikaner.

      Accra, Regierungsviertel: weitsichtig angelegte moderne Regierungsgebäude inmitten von Palmen, Blumen und Parks, die jedem Lande Ehre machen würden. Der Informationsminister hatte mich zur Pressekonferenz des Premierministers eingeladen. Kwame Nkrumah war gerade aus Indien zurückgekommen und gab seinen ersten offiziellen Bericht.

      Die Zeitungen hatten ihn in so überschwenglichen Worten willkommen geheißen, als sei seine Rückkehr nicht nur wunderbar, sondern ein reines Wunder. Doch lesen Sie mit mir in den „Evening News“, einer Zeitung aus Accra:

      ER IST ZURÜCKGEKEHRT! Kwame, der Held des positiven Handelns, Kwame, der Verteidiger von Freiheit und Gerechtigkeit… Kwame, der Former des afrikanischen Charakters, Kwame, der Gründer Ghanas, Kwame, der Lehrer und das Vorbild der afrikanischen Jugend, Kwame, die Verkörperung der Menschlichkeit, Brüderlichkeit und Lauterkeit, dessen Herzschlag der Herzschlag der schwerschaffenden Arbeiter und Bauern und Genossenschaften ist, Kwame, den die Geschichte ungewollt und unmerklich zu einem Leuchtturm im Bild des neuerwachenden Afrikas gemacht hat – ja, Kwame, der Organisator, ist von seinem historischen Besuch in Indien zurückgekehrt …

      Diese Redeweise ist so recht nach dem Geschmack des englisch sprechenden Westafrikas. Sicher war der Verfasser dieser Zeilen stolz auf seine Wortkunst. Immer wieder ist man erstaunt, wie schwülstig diese Leute alle reden und schreiben können! Was uns wie eine Parodie anmutet, ist ihnen heiliger Ernst.

      Auf der Pressekonferenz saß links von mir der Korrespondent der „Prawda“, rechts der englische Berater des afrikanischen Informationsministers. Nkrumah sieht so jung und elastisch aus, daß man ihm seine 50 Jahre kaum glaubt. Er lacht viel und gern, jede Frage wird bereitwillig und optimistisch beantwortet. Man hört es ihm an, daß er sein Englisch in Afrika und nicht in Oxford gelernt hat. Als einmal im Verlaufe der Konferenz zufällig eine Gesprächspause eintrat, stellte er beinahe enttäuscht fest: „Sie sind nicht sehr hot (hitzig) heute, meine Herren – ist der Harmattan daran schuld?“

      Schließlich forderte er die Presse auf, die Afrikaner in ihrem Marsch auf dem Wege zu einem freien Afrika zu unterstützen, denn „der Kolonialismus ist bankrott“.

      „Afrika den Afrikanern“

      Auch auf dieser Konferenz offenbarte sich Nkrumahs Haltung: wer Ghana das wirtschaftlich günstigste Angebot macht, wird bevorzugt. Stipendien werden aus allen Ecken und Winkeln der Welt angenommen. Touré und Nkrumah sind dennoch Afrikaner und keine Anhänger westlicher und östlicher Politik, sie sind Nationalisten par excellence, aber auch fanatische Verfechter des Panafrikanismus.

      Wenige Wochen nach der Geburt der Republik Guinea war Sekou Touré nach Accra geflogen, um mit Nkrumah über einen gemeinschaftlichen Weg für die Zukunft zu reden. Beide suchen nach einer Möglichkeit, einen neuen „afrikanischen Charakter“ zu entwickeln, einen „afrikanischen Lebensstil“ zu prägen, ja, vielleicht sogar eine rein afrikanische Religion zu schaffen, die organisch aus dem Animismus ihrer Vorväter gewachsen ist.

      Als ich mich in Conakry beim Chef der Surete meldete, um ihm meinen Paß vorzulegen, drückte er mir ein Blatt der Regierung in die Hand, in dem das gemeinsame Kommuniqué der beiden Regierungschefs veröffentlicht war:

      „Angeregt durch das Beispiel der dreizehn amerikanischen Kolonien, die nach Erlangung der Unabhängigkeit eine Konförderation schufen, aus der später die Vereinigten Staaten von Amerika wurden, haben Ghana und Guinea, obwohl sie durch die Elfenbeinküste voneinander getrennt sind, beschlossen, sich zu einer Union zusammenzuschließen.“ – Heute hört man nicht mehr viel von dieser Union.

      Um Touré brüderlich zu helfen, gab ihm Nkrumah einen Kredit von über zehn Millionen Pfunde mit auf den Heimweg. Tatsächlich, Ghana verteilt Kredite, es hat keine Staatsschulden, und das Durchschnittseinkommen pro Kopf und Woche ist höher als in Spanien, Jugoslawien oder Bulgarien.

      Ghana ist reich und von allen westafrikanischen Staaten dank britischer Unterstützung in seiner wirtschaftlichen Entwicklung am fortgeschrittensten. Dennoch sind sich besonders seine jungen Führer darüber klar, daß man europäischer Hilfe auch weiterhin dringend bedarf. Im Lande weilen jetzt nicht weniger Weiße als zu britischen Zeiten; aus allen Ländern hat man Fachkräfte verpflichtet, und noch immer gibt es dort genügend Briten die der jungen Republik helfend und beratend zur Seite stehen.

      Die Wirtschaft Ghanas, das so groß wie Großbritannien ohne Nordirland ist, stützt sich immer wesentlicher auf den Fleiß der „Kakaobauern“. Ein Plantagenarbeiter war es, der ein paar Kakaobohnen aus São Tomé nach der Goldküste brachte und kurz vor der Jahrhundertwende seine Landsleute die nicht einfache Kunst des Gärens und Trodmens der Bohnen lehrte. Heute stammt ein großer Teil der Kakao-Weltproduktion aus Ghana. Aber auch Gold, Diamanten, Mangan und Bauxit könnten das Land noch reicher werden lassen. Um die Zukunft Ghanas braucht man keine Sorgen zu haben.

      An einem Freitag, dem angeblichen Unglückstag der Segler, fuhr ich aus Accra ab. Das Unglück ließ auch nicht lange auf sich warten …

      Doch der Reihe nach. Anfangs nahm ich Kurs auf die Dampfer, die auf Reede lagen und in der hohen Dünung von Brandungsbooten umtanzt wurden. Dann stieß ich auf eine ganze Flottille von Fanti-Einbäumen, die gemeinsam auf Fischfang ausgezogen waren; mir schien, die