Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes Lindemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hannes Lindemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783667104083
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      Im benachbarten Rufisque wurde ich zu einem Pirogenrennen eingeladen, das die umliegenden Dörfer unter sich austragen. Pirogen sind Einbäume mit Plankenaufsatz. Auch an ihnen erkennt man, daß Afrika sich in jeder Beziehung modernisiert hat: selbst in den entlegensten Fischerdörfern werden die größeren Boote von Außenbordmotoren, die jedoch meist eingebaut sind, angetrieben.

      Einbäume sind in allen Gebieten Afrikas verschieden; manchmal werden sie, wie in Dakar oder Gambia, erst als Pirogen seetüchtig. Es gibt jedoch auch außerordentlich seetüchtige Einbäume, wie die der Fanti aus Ghana, während in den recht gebrechlichen und primitiven Fahrzeugen der Insel Fernando Pbo jeder Ausflug aufs Meer eine artistische Leistung darstellt.

      Ihr Hobby ist das Meer

      Überall auf der Welt trifft man Menschen, die vom Meer träumen, von fernen Ländern und entlegenen Inseln. Ihre Begeisterung schlägt so hohe Wellen, daß sie nicht selten mit Reisevorbereitungen beginnen, bis sie dann aber bald merken, wieviel mehr zu einer Seefahrt gehört als nur guter Wille. Meist scheitert das Unternehmen schon an der leeren Reisekasse. Oder an der mangelnden Ausdauer, die leere Kasse aufzufüllen. Für die meisten Einhandsegler – ich machte dabei keine Ausnahme – ist die schwierigste Phase der ganzen Fahrt tatsächlich die Zeit, in der sie mühselig das nötige Reisegeld zusammensparen müssen.

      Auch in Dakar traf ich mehrere junge Menschen, die größere Ozeanfahrten planten. Zu ihnen gehörte das Ehepaar Claude und Claudine Goché, das sein Projekt mit einer so erfreulichen Ernsthaftigkeit und Genauigkeit betrieb, daß man an den Erfolg schon im voraus glauben durfte.

      Claude war Elektriker bei der französischen Armee, seine Frau Claudine, eine Mulattin, Lehrerin für die jüngsten Senegalesen. Beide trieben seit frühester Jugend Wassersport; Claude hatte sich als mehrfacher Jugendfaltbootmeister Lorbeeren geholt. Jetzt bauten sich die beiden nach Feierabend eine neun Meter lange Hochseeketsch3 vom Typ „Grenam“ – eine gewiß nicht leichte Arbeit in den Tropen. Alle zum Bootsbau nötigen Dinge ließen sie sich aus Frankreich kommen; Kiel und Spanten waren bereits fertig. Ein Funkamateurexamen hatten die beiden auch schon abgelegt. Ihre erste Fahrt sollte sie in die Karibische See führen, nach Martinique, der Heimat Claudines. Später wollten sie um die Welt.

      Ganz anders bereitete sich ein zweites Ehepaar auf eine Seefahrt vor, die von Dakar zurück nach Frankreich führen sollte. Immer der Küste entlang! – so stellte sich der Mann die Reise vor! Er hatte sich ein Boot bauen lassen, aus dessen Entwurf man ersehen konnte, daß er vom Meer nichts verstand. Das Ding war ein Monstrum, eine hölzerne Karikatur, mit der sich ein richtiger Seemann nicht einmal betrunken in einen Hafen wagen würde. Seebücher gab es in der Bordbibliothek nicht.

      Leider sind Leute dieses Schlages nicht selten. Immer wieder liest man von jungen Menschen, die aus dem Inland kamen und das Meer ohne die geringste Kenntnis befahren oder sogar überqueren wollten. Man kann sie nicht genug davor warnen. Das Meer läßt nicht mit sich spaßen. Es läßt nicht einmal mit sich handeln …

      Flußstaat Gambia

      Eines Morgens verließ ich bei frischen Winden Dakar und konnte schon in der gleichen Nacht vor Bathurst im Gambiafluß vor Anker gehen. Das damals noch britische Gambia ragt wie ein Wurm – 350 km lang – in den Senegal hinein; seine bunte Geschichte kann in Westafrika höchstens durch die Geschichte der Insel Gorée übertroffen werden.

      Gambia ist ein Drittel so groß wie Belgien. Wie der Senegal führt es vorwiegend Erdnüsse aus, die einstmals von den portugiesischen Sklavenhändlern aus Südamerika mitgebracht wurden.

      Die Erdnuß ist keine Nuß im botanischen Sinne, sondern eine Hülsenfrucht, die statt in der Luft unter der Erde reift. Wieviel Nährwert sie besitzt, kann man sich vorstellen, wenn man weiß, daß ein Pfund Erdnüsse genau dreimal so viel Kalorien hat wie ein Pfund Rindfleisch!

      Außer Alkohol und Briefmarken, die jedes Sammlerauge entzücken, war in Bathurst wirklich nichts Interessantes zu entdecken. Lepröse, Blinde und noch viele andere Kranke bevölkerten die öden Straßen. Bathurst ist ein vergessenes Dorf, in dem nur die Träume florieren können, und Gambia ist ein vergessenes Land, das wenig Interesse daran hat, selbständig zu werden.

      Anschluß an Senegal? No, Sir! An Sierra Leone? No, Sir! Unabhängigkeit? No, Sir!

      Was dann? Status quo.

      Wie eigenartig sich der Fortschritt eines Landes manchmal manifestieren kann, bewies mir ein Polizist in Bathurst, in dessen Büro ich mich anmelden mußte. Als er meine Papiere sah, fragte er mich verschämt, ob ich ihm nicht ein Stärkungsmittel verschreiben könne. Er sei nervös, abgespannt und brauche irgendeine Medizin. Ich riet ihm, einen Arzt aufzusuchen, gab ihm aber dennoch ein Hefepräparat, das nicht schaden konnte. Früher fragte man in Afrika nach Regenschirmen und Glasperlen, heute nach Medikamenten und Stärkungsmittel.

      In Afrika, das ein Fünftel der Landoberfläche unserer Welt einnimmt, sprechen 230 Millionen Menschen etwa 700 verschiedene Hauptsprachen! Eines der guten Dinge, die der Kolonialismus mit sich brachte, waren daher die europäischen Sprachen, die heute von allen Gebildeten und Halbintellektuellen gesprochen werden und zu Regierungssprachen erhoben wurden, weil man sich sonst gar nicht verständigen könnte. Wenn der schwarze Kontinent einmal ein großes panafrikanisches Reich geworden sein sollte und Kolonialismus nur noch ein historischer Begriff, wird man dort immer noch Englisch und Französisch sprechen.

      Ich nahm Kurs auf eine 160 Seemeilen entfernte Boje, die die Einfahrt in den Gêba-Fluß und damit nach Portugiesisch-Guinea markierte. Wenn die LIBERIA diese Boje, eine Stecknadel im weiten Ozean, nicht fand, würde sie ein ähnliches Schicksal wie die „Nike“ erleiden. Von der Küste sah man nichts, denn ihr sind Sandbänke oder Felsen vorgelagert. Aber an Bord befanden sich Funkpeiler, Sextant, mehrere Kompasse, Radio und alle notwendigen Karten und Bücher. Die Navigation, wenn man sie erst einmal versteht, geht leichter vonstatten als der Laie vermutet. Verstehen muß man sie allerdings!

      Vom Orkan gepeitscht

      In der zweiten Nacht näherte ich mich der Einfahrt. Kein einziger Leuchtturm brannte. Einige Male versuchte ich, meine Sorge, ich könnte auf eine Untiefe laufen, durch Loten zu verscheuchen: das Senkblei sauste noch immer acht bis elf Meter in die Tiefe. Erst unmittelbar vor dem Leuchtturm erkannte ich die flache Küste und – den brennenden Leuchtturm selbst. Es herrschte hellste Vollmondnacht, und hinter dem Turm ging der Mond auf, so daß das schwache Feuer nicht zu erkennen war!

      Noch in der Nacht meldete ich mich bei einem Lotsen, der Bissau von meiner bevorstehenden Ankunft benachrichtigte. Kaum war ich wieder an Bord, als im Südosten eine schwarze, drohende Wolkenwand heraufzog, aus der es gewaltig blitzte und donnerte. Die ersten Windstöße fegten über den Fluß. In aller Eile verstaute ich mein Schlauchboot. Dann begann es zu stürmen, wie ich es auf allen meinen Fahrten noch nie erlebt hatte und nie wieder erlebte.

      Auf vier Meter Wassertiefe hatte ich 30 Meter Kette gegeben, aber selbst das erwies sich als zu wenig! Die Kette zitterte und vibrierte. Sintflutartige Wassermassen stoben beinahe waagerecht durch die Luft. Die Wasseroberfläche war zu weißem Geifer geworden. Als ich mich schließlich zur Ankerwinsch vorgekämpft hatte, peitschte der Regen meinen Körper wie mit einer neunschwänzigen Katze. Ich gab nochmals 30 Meter Kette. Aber was bedeuten schon dreißig Meter Ankertrosse in einem Tornado? Ich flog im Bugkorb hin und her, riß mir Knie und Hände blutig und konnte froh sein, daß ich schließlich doch noch die schützende Kajüte erreichte und erschöpft auf die Schlafbank fallen durfte.

      Draußen donnerte und blitzte es wie aus einer kosmischen Hexenküche; die Ankertrosse stöhnte, die LIBERIA schlug wie ein Stück Eisen in tiefe, kurze Wellentäler. Der Orkan tobte, als wolle er alles daran setzen, mich zu vernichten. Eine Stunde lang, zwei Stunden – erst kurz vor dem Morgengrauen verschwand der Teufelsspuk.

      Sonnenschein, klare Luft und schöne Segelbrise am Morgen! Ebensogut hätte die Sonne jetzt ein gestrandetes Boot bestrahlen können! Ein kleines Flugzeug flog einige Male über der LIBERIA auf und ab, eine Hand winkte,