Das Geheimnis des Medaillons. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718483
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trat zum Fenster, spähte hinaus. »Es ist nichts zu sehen. Komm her, überzeug dich selber, wenn du mir nicht glaubst. Er müßte doch noch dort unten liegen.«

      Undine erwiderte sein Lächeln nicht. »Nicht hier – nicht jetzt«, stammelte sie, damals ist es geschehen, als ich aus dem ›Deichkrug‹ kam. Ich wollte nach Hause, und er …« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Ich habe ihn erschlagen. Ich konnte nicht anders. Ich mußte mich doch wehren.« Ihre Verkrampfung löste sich in einem Strom wilder Tränen.

      »Armes Kind«, sagte Frank Ostwald erschüttert, »was mußt du durchgemacht haben.« Er strich ihr über das Haar. »Wein dich aus, weine nur, das wird dir guttun.«

      Sie sah ihn an mit einem Blick voller Vertrauen. Plötzlich zog er seine Hand so rasch zurück, als ob er sich verbrannt hätte. Undine war nicht einmal schön in diesem Augenblick, das schwarze Haar zerzaust, die Augen vom Weinen gerötet, und doch hatte ihn ihr Anblick zutiefst berührt. Er erhob sich, bohrte die Hände in die Taschen des Mantels, den er sich übergeworfen hatte, als er zu ihr lief. Er sah sie nicht an, als er sagte: »Jakobus Schwenzen ist nicht tot. Ich habe ihn noch gestern an der Fähre gesehen.«

      Sie richtete sich auf. »Ist das wahr?« fragte sie. »Ist das wirklich wahr? Oder …« Sie schluckte, sprach den Satz nicht zu Ende.

      »Ich lüge dich nicht an«, erklärte er mit fester Stimme. »Jakobus Schwerzen lebt. Daß du den Kerl vorhin gesehen hast, glaub’ ich dir gern. Aber er war es leibhaftig. Nicht etwa sein Gespenst.« Er zögerte einen Augenblick, fragte dann: »Kannst du schweigen, Undine?«– Sie nickte heftig.

      »Dann sag’ ich dir etwas – aber bitte sprich nicht darüber, meine Eltern hören nicht gern davon.« Er senkte seine Stimme. »Jakobus Schwenzen kommt oft hierher, die Harmshofbauern lassen ihn holen.«

      »Aber wozu?« fragte Undine mit angstvollen Augen.

      »Er bespricht ihre Krankheiten – oder wie man das nennt. Ich kenne mich in diesen Dingen nicht aus. Jedenfalls versucht er, sie zu kurieren auf seine Art.«

      »Und darum kommt er so geheimnisvoll? Um Mitternacht?«

      »Das fragst du mich? Du solltest dich doch eigentlich in diesen Bräuchen besser auskennen als ich.«

      Er hatte einen Scherz machen wollen, aber ihr Gesicht wurde sofort glutrot. Sie holte tief Atem, fragte, die Hände vor der Brust gegeneinandergepreßt: »Du – glaubst es also auch?«

      »Was?«

      »Daß ich eine Hexe bin.«

      »Aber, Undine, was für ein Quatsch. Es gibt keine Hexen. Wer dich so reden hört, könnte meinen, du hieltest dich selbst für eine.«

      »Ich weiß es nicht«, sagte sie schwer.

      »Sie haben dich halb verrückt gemacht auf der Insel, du mußt alles vergessen«, sagte er begütigend. Und um der Situation, die für ihn immer unerträglicher wurde, zu entfliehen, fügte er hinzu: »Weißt du was? Ich gehe jetzt in die Küche hinunter und koche einen Tee. Zieh dir einen Mantel über und komm mir nach. Einschlafen können wir jetzt doch nicht so bald.«

      In der Küche war es warm und gemütlich. Der Wasserkessel summte schon auf dem Feuer, als Undine herunterkam. Sie hatte sich die Zeit genommen, ein Kleid anzuziehen und ihr schwarzes Haar sorgsam zu flechten. Sie lächelte scheu, als sie seinen bewundernden Blick auf sich fühlte.

      »Schön bist du«, sagte er, »das muß dir sogar der Neid lassen. Hast du dir nicht schon einmal überlegt, ob die Leute auf der Insel nicht nur deshalb so böse zu dir sind, weil du eine Fremde bist?«

      Sie wurde sofort wieder ernst. »Du verstehst das nicht«, sagte sie.

      »Nun, vielleicht versuchst du es mir zu erklären. Warum hältst du dich selber für eine Hexe? Denn so ist es doch, nicht wahr?«

      »Nein«, sagte sie, »es ist nur – manchmal bin ich mir selber unheimlich.«

      »Na, so was«, sagte er verblüfft, aber das Lachen verging ihm unter dem qualvollen Blick ihrer großen Augen. »Erzähl mir, Undine«, bat er, »ich möchte dir so gerne helfen. Aber wie kann ich das, wenn ich nichts von dir weiß?«

      »Du wirst mich wieder auslachen.«

      »Bestimmt nicht.«

      Er tat den Tee in eine angewärmte Kanne, Undine stellte Tassen und die Büchse mit Kandiszucker auf den Tisch. Sie wartete ab, bis das Wasser kochte, und goß dann den Tee auf.

      »Es ist so«, erklärte sie mühsam und blieb neben ihm stehen, »manchmal geht in Erfüllung, was ich mir gewünscht habe.«

      »Da ist doch nichts dabei«, sagte er, »das geht jedem so.«

      Es fiel ihr schwer, weiterzusprechen. »Besonders dann, wenn ich jemand etwas Böses gewünscht habe …«, sagte sie.

      Er sah sie erstaunt an. »Tust du denn so etwas?«

      »Ja.« Sie schwieg, und als auch er nichts sagte, fügte sie mit gepreßter Stimme hinzu: »Siehst du, nun magst du mich auch nicht mehr. Ich bin schlecht.«

      Er nahm ihr die Teekanne aus der Hand, goß die Tassen voll. »Setz dich, Undine«, sagte er ruhig. »Verrate mir, was wünschst du denn Böses?«

      »Jetzt nicht mehr, aber als ich noch in die Schule ging. Wenn einer von den anderen mich besonders schlimm geärgert hatte, dann habe ich ihm was angewünscht. Daß er auf seine Aufgaben vergessen haben sollte oder so etwas, daß der Lehrer ihn verhauen sollte.«

      »Und diese Wünsche sind eingetroffen?«

      »Oft.«

      Frank Ostwald hatte drei Stück Kandis in seine Tasse getan, rührte nachdenklich um. »Bitte, sei ganz ehrlich. Du sagtest, du würdest den Leuten jetzt nichts Böses mehr wünschen. Ist das wirklich wahr?«

      Sie nickte. »Ja. Ich tu’s nicht mehr, weil ich weiß – es ist gefährlich.«

      »Und wie war das mit Ole Peters? Erinnerst du dich, daß du geschrien hast: ›Das wirst du bereuen‹, oder so etwas?«

      »Ja, aber ich habe ihm nichts Böses gewünscht. Ich wollte ihn nur erschrecken, weil er …«

      »Ich verstehe.« Frank Ostwald biß sich auf die Oberlippe. »Weißt du, was mit Ole Peters geschehen ist?« fragte er vorsichtig.

      »Nein«, sagte sie, »was ist mit ihm?«

      »Er ist verunglückt.«

      »Nein!« Sie hielt sich die Hand vor den Mund.

      Er sah, daß ihr Entsetzen ehrlich war, und wünschte, er hätte nicht davon angefangen. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück. »Es geschah in der Nacht, als du die Auseinandersetzung mit Jakobus Schwenzen hattest. Ole ist mit dem Motorrad gestürzt. Er ist tot.«

      Sie sagte nichts. Und Frank ließ ihr Zeit, sich zu fassen.

      Endlich hob sie den Kopf und sah ihn aus brennenden Augen an. »Das habe ich nicht gewollt«, flüsterte sie, »du mußt es mir glauben – das nicht.«

      Er nahm ihre Hand. Sie war sehr kalt und zitterte zwischen seinen großen braunen Händen. »Ob du es gewünscht hast oder nicht, spielt keine Rolle. Daß Ole Peters verunglückt ist, kann nicht mit deinen Gedanken zusammenhängen. Er war allein schuld daran. Er war ein Angeber und ein Rowdy, das weißt du doch. Einem von dieser Sorte passiert eben leicht so etwas.«

      »Die arme Frau Peters«, sagte Undine erschüttert, »er war ihr einziger Sohn.«

      »Natürlich ist es traurig. Aber bitte tu mir den Gefallen und gib dir nicht die Schuld.«

      »Du hast doch auch einen Verdacht gehabt, Frank. Sonst hättest du mich nicht gefragt – nicht so gefragt.«

      Er zuckte die Schultern, gab ihre Hand frei. »Ich weiß selber nicht, was da über mich gekommen ist.« Er lachte gequält. »Niemand von uns ist ohne Schuld und ohne Bosheit. Sonst wären wir ja Engel.«