Wirbel im Internat. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия: Internat
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711719558
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mit der Tweedjacke, der ist es!“

      Uschi konnte nichts als einen verschwommenen roten Fleck erkennen. Sie raffte sich nun doch dazu auf, in ihr Zimmer zu laufen und sich ihre Brille zu holen.

      Yvonne hatte sich auf die Brüstung geschwungen: „Eine tolle Type“, stellte sie fest. „Wie der seinen Regenmantel über dem Arm trägt, einfach lässig.“

      Helga war nicht so leicht zu beeindrucken. „Sieht nicht schlecht aus“, gab sie zu, „aber woher wollt ihr überhaupt wissen, daß er ein Lehrer ist?“

      „Das kannst du dir doch an deinen fünf Fingern abzählen!“ erklärte Babsy. „Er ist zu jung, um Vater einer Schülerin zu sein, und außerdem ist er auch ganz allein gekommen …“

      „Vielleicht will er eine kleine Tochter für eines der nächsten Jahre anmelden!“

      „Ausgerechnet heute?“ fragte Ellen. „Nein, das ist nicht sehr wahrscheinlich. Dr. Hansemann ist im vorigen Jahr ausgeschieden, und ich wette, Tweedy ist unser neuer Lehrer für Deutsch und Englisch.“

      Ihr war selber nicht bewußt, daß sie in diesem Augenblick für den jungen Mann in der sportlichen Tweedjacke den Spitznamen gefunden hatte, der sofort in den Wortschatz ihrer Kameradinnen überging.

      „Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte Yvonne, „ein schnafter Lehrer, das wäre endlich mal ein Lichtblick in unserem trüben Dasein!“

      Die anderen lachten.

      Tweedy stand einen Augenblick unschlüssig unten im Hof und versuchte, sich in dem Gewimmel von Eltern, Schülerinnen und Erzieherinnen zu orientieren. Sein blondes, langes Haar, das sich glatt um seinen markanten Hinterkopf schmiegte, schimmerte in der Sonne wie ein goldener Helm.

      „Süß!“ hauchte Uschi, die nun endlich ihre Brille aufhatte und den sensationellen Neuling des Schloßinternats erkennen konnte.

      Helga wollte ihr gutmütig ihren Fensterplatz überlassen. „Komm, rutsch vor, dann kannst du besser sehen!“

      Aber Uschi wehrte ab. „Nein, nein, ich halte mich lieber im Hintergrund!“

      „Kamel“, sagte Helga, denn sie begriff, daß Uschi Angst hatte, der junge interessante Lehrer könnte einen Blick zu ihnen heraufwerfen und sie mit ihrer Brille entdecken.

      Unten tat sich etwas Neues. Fräulein Gertrud Pförtner, Turn- und Handarbeitslehrerin des Internats, die Tochter des Direktors, trat auf den Neuling zu und begrüßte ihn mit Handschlag.

      „Seht! Seht!“ rief Yvonne. „Trudchen kennt ihn!“

      „Das ist doch klar, wenn ihr Vater ihn engagiert hat“, sagte Ellen nüchtern.

      Trudchen war eine anziehende junge Frau, die geradezu blendend hübsch hätte aussehen können, wenn sie nicht auf jegliches Make-up verzichtet und ihre schlanke, sportliche Figur nicht unter allzu weiten und allzu langen Kleidern verborgen hätte.

      Jetzt sprach sie lächelnd auf Tweedy ein. Was die beiden sagten, konnten die Mädchen oben nicht verstehen. Dann sah sie zu, wie er seinen Gepäckraum aufschloß.

      „Sieht aus, als wenn es ihr in allen Fingern juckte, ihm einen Koffer abzunehmen!“ rief Yvonne. „Tu’s nicht, Trudchen! Vergiß nicht, daß du eine Dame bist!“

      Drei weitere Schülerinnen der zwölften Klasse, Margot, Hannelore und Ilse, polterten vom Treppenhaus her mit ihrem Gepäck in das Wohnzimmer. „Wir haben einen neuen Lehrer!“ riefen sie gleichzeitig und durcheinander. „Doktor Herbert Jung heißt er!“ – „Unterrichtet Deutsch und Englisch!“ – „Trudchen begrüßt ihn gerade!“

      „Was ihr nicht sagt!“ gab Babsy zurück. „Glaubt ihr, wir wären blind? Wir beobachten Tweedys ersten Auftritt schon seit fünf Minuten von unseren Logenplätzen aus.“ Babsys Eltern waren berühmte Opernsänger. Ihre Mutter war in Mailand, ihr Vater in München engagiert, und so lag ihr der Vergleich mit den Gegebenheiten des Theaters sehr nahe.

      „Jedenfalls ist er Klasse“, stellte Yvonne fest, „und ich bin wild entschlossen, ihn mir anzubändigen.“

      „Ausgerechnet du? Also da möchte ich doch ohne falsche Bescheidenheit zu bedenken geben, daß ich größere Chancen habe”, erklärte Hannelore. Sie war schon neunzehn Jahre alt, eine sehr elegante Erscheinung mit kastanienrot getöntem Haar und einigen Erfahrungen.

      „Ich warne euch! Macht euch auf meine Konkurrenz gefaßt!“ sagte Margot. „Euretwegen trete ich nicht zurück!“

      „Das ist doch die Höhe!“ rief Yvonne. „Ich denke, du bist glücklich verlobt!“

      „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht doch was Besseres findet!“ sagte Margot achselzuckend.

      „Wenn eine von uns eine echte Chance hat, dann bin ich es“, behauptete die strohblonde, sommersprossige Ilse.

      Yvonne und Margot lachten Hohn.

      „Bevor du dir so was einredest, solltest du doch mal in den Spiegel sehen“, rief Margot.

      „Doktor Jung ist Lehrer, das bedeutet, er ist ein intelligenter Mensch. Er sieht also bestimmt nicht zuerst auf die äußeren, sondern auf die inneren Vorzüge. Und ihr müßt zugeben, in dieser Hinsicht bin ich euch allen weit voraus!“ widersprach Ilse, ohne sich einschüchtern zu lassen. „An meine Schulleistungen kann keine von euch nur tippen.“

      „Na wenn schon“, sagte Ellen, „aber man weiß doch nicht …“

      Helga drehte sich zu den anderen um, die alle versuchten, aus einer möglichst günstigen Position heraus einen Blick auf den Lehrer zu werfen. „Kinder, mir scheint, ihr seid komplett verrückt! Bildet ihr euch denn wahrhaftig ein, daß Tweedy mit einer von euch einen Flirt anfangen würde? So bekloppt ist er bestimmt nicht, das würde ihn ja seine Stellung kosten! Ganz abgesehen davon finde ich, daß ihr doch ein bißchen zu alt sein solltet für so eine blödsinnige Schwärmerei!“

      „Das ist keine Schwärmerei, das ist Liebe auf den ersten Blick!“ schrie Yvonne.

      Kicki, die Jüngste der Klasse, ein pummeliges Chinesenmädchen, kam gemächlich herein und blieb verdutzt stehen, als sie die anderen alle an den Fenstern hängen sah. „Was ist denn los? Was gibt es da zu sehen?“

      „Komm rasch!“ rief Ellen. „Letzte Gelegenheit! In der nächsten Sekunde ist er aus unserem Blickfeld!“ Sie winkte Kicki heran.

      Aber ehe die kleine Chinesin dieser Aufforderung noch folgen konnte, brauste Fräulein von Zirpitz, die Erzieherin der zwölften Klasse, in das Wohnzimmer. „Meine Damen, meine Damen!“ rief sie und klatschte laut in die Hände. „Was muß ich da sehen? Unerhört! Eine Schande für die ganze Schule. Ich sehe mich gezwungen, dieses unqualifizierte Betragen dem Herrn Direktor zu melden!“

      Die Mädchen verließen eilig ihre Fensterplätze und bestürmten Fräulein von Zirpitz, genannt die Zirpe, mit Entschuldigungen und Bitten um Gnade, ohne jedoch das geringste damit zu erreichen.

      „Nein, nein, nein!“ wehrte sie ab. „Halten Sie mich, bitte, nicht länger auf. Machen Sie sich lieber sofort daran, Ihre Sachen auszupacken und die Betten zu überziehen. In einer halben Stunde werde ich die Zimmer inspizieren.“ Sie rauschte davon.

      „So eine alte Zimtzicke“, sagte Kicki, das Chinesenmädchen, ohne eine Spur von asiatischer Höflichkeit. „Ich war doch gar nicht am Fenster.“

      „Tu dir bloß nichts darauf zugute!“ Helga klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter. „Daß du nicht dabei warst, verdankst du nur deiner Trägheit, nicht deinem Anstand. Also ist es nur gerecht, wenn du mit uns zusammen leidest.“

      Kicki dachte einen Augenblick nach, dann sagte sie gutmütig: „Auch wieder wahr!“

      Aber dann blieb keine Zeit mehr zum Schwatzen. Alle sahen zu, daß sie in ihre Zimmer kamen. Sie begannen in rasender Eile, sich einzurichten.

      Der Alltag des Internatslebens