Erster Theil.
An Lord Halford Esq.
Lieber Halford.
Als wir das letzte Mal beisammen waren, theilten Sie mir eine ausführliche und höchst interessante Erzählung der merkwürdigsten Umstände Ihres Lebens vor unserer Bekanntschaft mit und forderten mich dann zur Erwiederung des Vertrauens auf. Da ich damals nicht in der Laune zum Geschichten erzählen war, lehnte ich es unter dem Vorwande, daß ich nichts zu erzählen habe, und dergleichen unhaltbaren Ausflüchten ab, die Sie, ganz und gar unstichhaltig ansahen, denn obgleich Sie das Gespräch augenblicklich auf etwas Anderes lenkten, geschah es doch mit der Miene eines sich nicht beklagenden, aber tief gekränkten Mannes und Ihr Gesicht war von einer Wolke überschattet, die es bis zum Ende unseres Gesprächs verdunkelte und vielleicht sogar noch verdunkelt, denn Ihre Briefe haben sich seit jener Zeit durch eine gewisse würdevolle, halb melancholische Steifheit und Zurückhaltung ausgezeichnet, die höchst rührend sein würde, wenn mich mein Gewissen beschuldigte, sie verdient zu haben.
Schämen Sie sich nicht, alter Junge — bei Ihrem Alter noch dazu — und nachdem wir einander so lange und so vertraut gekannt und ich Ihnen bereits so viele Beweise von Offenherzigkeit und Vertrauen gegeben und Ihre vergleichsweise Verschlossenheit und Schweigsamkeit nie gerügt habe? — Da wird wahrscheinlich aber der Haase im Pfeffer liegen. Sie sind von Natur nicht mittheilsam und glaubten, daß Sie bei jenem denkwürdigen Anlasse — welchen Sie ohne Zweifel mit feierlichen Schwüren für den letzten dieser Art erklärt haben, große Dinge gethan und einen Beweis ohne Gleichen von freundschaftlichem Vertrauen gegeben hätten — und Sie meinten, daß die geringste Vergeltung, welche ich Ihnen für eine so ungeheure Gefälligkeit zu Theil werden lassen konnte, die sei, Ihrem Beispiele, ohne mich einen Augenblick zu bedenken, nachzufolgen.
Nun, nun! — ich habe die Feder weder in die Hand genommen, um Ihnen Vorwürfe zu machen, noch mich zu vertheidigen, noch um für vergangene Sünden um Entschuldigung zu bitten, sondern um wo möglich dafür zu entschädigen.
Es ist ein regnerischer, nasser Tag, die Familie macht Besuche, ich befinde mich allein in meiner Bibliothek und habe gewisse moderige, alte Briefe und Pariere durchgesehen und über alte Zeiten nachgesonnen, so daß ich mich selbst ganz in der gehörigen Geistesverfassung befinde, Sie mit einer Geschichte aus alter Zeit zu unterhalten — und nachdem ich meine halb gebratenen Füße vom Kamine weggezogen, meinen Stuhl an den Tisch herumgerollt und die obigen Zeilen an meinen brummigem alten Freund aufgesetzt, bin ich im Begriffe, ihm eine Skizze, — nein, nicht eine Skizze — einen vollständigen und treuen Bericht über gewisse Umstände, die sich auf das wichtigste Ereigniß meines Lebens — wenigstens vor meinem Bekanntwerden mit Jack Halford, zu geben — und wenn sie diesen gelesen haben, so beschuldigen Sie mich der Undankbarkeit und der unfreundlichen Zurückhaltung, wenn Sie können.
Ich weiß, daß Sie sich gern lange Geschichten erzählen lassen und eben so sehr, wie meine Großmutter, auf ausführlicher Darstellung der Umstände bestehen; ich will sie daher nicht schonen und die einzigen Grenzen sollen meine eigne Geduld und Muße sein.
Unter den Briefen und Papieren, von denen ich sprach, befindet sich ein gewisses altes, verblichenes Tagebuch von mir, dessen ich erwähne, um sie zu versichern, daß ich mich nicht auf mein Gedächtniß allein verlasse — so zähe es auch ist — damit Ihre Leichtgläubigkeit nicht zu sehr auf die Probe gestellt wird, wenn sie mir durch die einzelnen Umstände meiner Erzählung folgen.
Ich beginne also mit dem ersten Kapitel — denn es soll eine vielkapitelige Erzählung werden.
Erstes Kapitel.
Eine Entdeckung.
Sie müssen mit mir zum Herbste des Jahres 1827 zurückkehren
Mein Vater war, wie Sie wissen, ein wohlhabender Landwirth in der Grafschaft — und ich folgte ihm auf seinen ausdrücklichen Wunsch in demselben einfachen Geschäfte, wenn auch nicht sehr gern, denn der Ehrgeiz trieb mich zu etwas Höherem und die Eitelkeit versicherte mir, daß ich dadurch, daß ich seiner Stimme nicht gehorche, meine Talente vergrabe und mein Licht unter den Scheffel stelle.
Meine Mutter hatte ihr Bestes gethan, um mich zu überreden, daß ich großer Thaten fähig sei, aber mein Vater, der den Ehrgeiz für den sichersten Weg zum Ruin und Veränderung nur für ein anderes Wort für Untergang hielt, wollte auf keinen von allen meinen Plänen zur Verbesserung meiner Lage oder der meiner Mitmenschen hören. Er versicherte mit, daß alles dies nichts wie Unrath wäre, und ermahnte mich mit dem letzten Hauche noch, auf dem guten, alten Wege zu bleiben, seinen Schritten und denen seines Vaters vor ihm zu folgen und es meinen höchsten Ehrgeiz sein zu lassen, ehrlich durch die Welt hinzugehen, weder zur Rechten, noch zur Linken zu schauen und die väterlichen Aecker auf meine Kinder in wenigstens eben so blühendem Zustande, als wie er sie mir hinterließ, zu überliefern.
Nun! — ein ehrlicher, fleißiger Landwirth ist eines der nützlichsten Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, und wenn ich meine Talente auf den Anbau meines Gutes und die Beförderung des Ackerbaues im Allgemeinen verwende, so werde ich dadurch nicht nur denen — die unmittelbar mit mir in Verbindung stehen und von mir abhängen, sondern gewissermaßen auch der Menschheit im Allgemeinen nützen und daher nicht umsonst gelebt haben.
Mit dergleichen Gedanken bemühte ich mich, mich zu trösten, als ich an einem kalten, feuchten, bewölkten Abende gegen das Ende des Oktober vom Felde nach Hause ging.
Der Schimmer eines hellen, rothen Feuers durch das Fenster des Wohnzimmers trug jedoch mehr dazu bei, meine Laune zu erheitern und meine undankbaren Bedauernisse zu tadeln, als alle weisen Gedanken und guten Entschlüsse, zu denen ich meinen Kopf gezwungen hatte — denn Sie müssen bedenken, daß ich damals noch jung — erst vierundzwanzig Jahr alt war und noch nicht die halbe Herrschaft über meinen Geist erlangt hatte, welche ich jetzt besitze, so geringfügig diese auch sein mag.
Ich durfte jedoch in diesen Hafen des Glückes nicht eher einlaufen, als bis ich meine schmutzigen Stiefeln mit reinen Schuhen und meinen rauhen Surtout mit einem anständigen Rocke vertauscht und mich vor anständiger Gesellschaft präsentabel gemacht hatte, denn meine Mutter war bei aller ihrer Güte in gewissen Punkten ungemein eigen.
Als ich nach meinem Zimmer hinaufstieg kam mir auf der Treppe ein hübsches, neunzehnjähriges Mädchen, mit netter gerundeter Gestalt, rundem Gesicht, rothen, blühenden Wangen, glänzendem dichten Locken und kleinen, lustigen, braunen Augen entgegen.
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß dies meine Schwester Rosa war, ich weiß, daß sie noch eine hübsche Matrone und ohne Zweifel — in Ihren Augen — noch eben so liebenswürdig ist, wie an dem glücklichen Tage, wo Sie ihrer erst ansichtig wurden. Ich ahnte damals nicht, daß sie nach wenigen Jahren die Frau eines Mannes werden würde — der mir damals noch ganz unbekannt, aber bestimmt war, später zu einem engeren Freunde zu werden, als selbst sie, — zu einem vertrautem, als der unmanierliche, siebzehnjährige Bursche, der mich im Hausgange, als ich herabkam, beim Kragen faßte und bei nahe umgeworfen hätte und zum Lohne für seine Unverschämtheit einen schallenden Schlag über den Schädel er hielt, welcher indeß davon keinen ernstlichen Nachtheil erlitt, da er erstlich dicker, als gewöhnlich und zweitens durch einen reichlichen Wulst kurzer, röthlicher Locken geschützt wurde, die meine Mutter kastanienbraun nannte.
Als wir in das Zimmer traten, fanden wir die geehrte Dame auf ihrem Armstuhle am Kamin sitzend und strickend, wie sie gewöhnlich zu thun pflegte, wenn sie nichts zu thun hatte. Sie hatte den Heerd rein gefegt und ein hellloderndes Feuer zu unserm Empfange gemacht, die Magd so eben das Teebrett hereingebracht und Rosa langte die Zuckerschale und die Theebüchse aus dem Kasten in dem schwarzeichenen Buffet, das in der milden Dämmerung des Zimmers wie polirtes Ebenholz glänzte
»Nun, da sind sie Beide,«