„Wow“, denkt sie nur.
Sie widmet sich gerade in Gedanken, der weiteren Abendplanung mit Mr. Sunshine, als zwei Hände sie fest von hinten um die Hüfte packen. Ein Arm gleitet um sie herum und zieht sie fest heran. Sie schaut auf die sie umfassenden Handgelenke und als der Lichtkegel des Scheinwerfers die Uhr trifft, weiß sie, dass sie mit Lio tanzt.
„Vicky, weißt du noch? Unser Rhodos-Lied“, ruft er ihr direkt ins Ohr.
Sie löst sich lachend aus seiner Umarmung und dreht sich zu ihm um. Auch ohne den genauen Wortlaut zu kennen, weiß sie, was ihr Exfreund ihr sagen will.
Sie küsst ihn sanft auf die Wange und bestätigt direkt in sein Ohr: „Diesen Urlaub werde ich nie vergessen, Lio. Nie. Wir hatten echt ‘ne gute Zeit.“
Überrascht schaut sie ihren Jetzt-Kumpel mit großen Augen an, als sie, mitten im Satz, gefühlvoll von ihm weggezogen wird. Der reizvolle Unbekannte ist dabei, sie zu entführen. Sie grinst breit, winkt und sieht Lio beleidigt dreinschauen. Sie zwinkert ihm aus der Menge zu und er erwidert ihr Lächeln.
Die Clique hat seit Jahren die Verabredung: gemeinsam kommen, gemeinsam gehen. Und unter gewissen Umständen wird sich eben bei der Truppe abgemeldet. Rührend, wie sich immer alle, trotz exzessiver Party und viel Alkohol, umeinander kümmern. Familie eben. Vicky liebt sie alle sehr, und was wäre sie ohne diese Bande von Chaoten? Sie ermahnt sich, auf keinen Fall zu vergessen, die Vereinbarung einzuhalten, sich bei ihnen abzumelden. Das könnte leicht passieren vor lauter Gier auf ihren Begleiter.
Die Finger des Unbekannten umschließen ihre Hand und er führt sie mühelos und sicher durch die bewegte, bunte Masse. Donnerstags ist hier eigentlich gar nicht so viel los, aber heute muss ganz Berlin auf den Beinen sein und etwas zu feiern haben. So voll ist es hier selten. Schon bei ihrer Ankunft stand unten am Eingang eine lange Schlange und man konnte sehen, dass selbst im Restaurant unter dem Club um diese Uhrzeit noch alles belegt war. Zum Glück hatte Thorsten, ihr Organisator, die Sitzgruppe in der Nähe der Bar für sie reserviert. Das ist heute absolut Gold wert. Ohne die Reservierung hätten die Türsteher sie mit Sicherheit abgewiesen.
Der Typ, dessen Namen sie nicht kennt, lässt sie nicht los und führt sie durch die Glastür in Richtung Ausgang. Der Vorraum vor dem Aufzug wurde edel verziert. Die Decke ist bedeckt von einem lila-rosa-roten Blumenteppich. Zwischendrin lugen goldene und dunkelgrüne Palmenblätter hervor. Auf zweien davon scheinen kleine goldene Äffchen zu schwingen. Diese Lampen kann man wohl getrost als extravagant beschreiben. Die Decken sind höher als normal und so kommen die Details richtig gut zur Geltung. Der Interior Designer hatte sicher seine helle Freude beim Gestalten. So oft war sie schon im RoofTOP, aber so genau hat sie nie hingesehen.
Die Decke ist ihr nun aber auch nur aufgefallen, weil sie in den goldenen Spiegelaufzugtüren verlegen nach Ablenkung gesucht hat. Ihr ist sein Blick nicht entgangen. Er betrachtet sie im Spiegel. Unverhohlen. Hungrig. Sein Blick streift interessiert von ihren dunklen Boots über ihre Beine in der schwarzen Netzstrumpfhose bis hoch zum Jeansmini. Seine Augen bleiben kurz am freien Bauchnabel hängen und wandern dann über das geknotete Shirt zu den wohlgeformten Brüsten. Verlegen zieht Vicky ihr Handy aus der Gesäßtasche ihres Jeansrockes und ist sich sicher, dass er mit ihr nach unten und wegfahren will.
„Warte, ich muss meinen Leuten Bescheid…“
Weiter kommt sie nicht. Er schaut ihr tief in die Augen, hebt ihr Kinn und drückt sie in einer fließenden Bewegung mit seinem Körper an die Wand hinter ihr. Seine Lippen fühlen sich weich und geschmeidig an ihrem Hals an. Vicky zieht ihn näher an sich heran. Wer so mit seinem Mund umgehen kann, kann auch mehr, und sie hat jetzt schon solche Lust auf ihn. Seine Art, mit ihr zu flirten, und sein Tanz haben für Vorfreude gesorgt. Dieser Mann kann mit seinem Becken umgehen. Sie ist sich sicher, dass er viele Talente besitzt – und ein weiteres davon wird er ihr heute präsentieren müssen. Er grinst und küsst ihren Hals erneut.
„Es gibt keine Zufälle, Kleine. Ich sollte dich heute hier treffen.“
Vicky schmiegt sich an ihn und ein zufriedenes Lächeln umspielt ihre Lippen. Das hier kann nur gut werden. Er greift in seine Hosentasche und zieht ein kleines Lederband mitsamt Schlüssel hervor.
Sie schaut ihn erwartungsvoll an. „Wofür ist der?“
„Heute Nacht mache ich deine Träume wahr.“
Sie lacht und streicht über seine Brust. Soviel Engagement gab‘s lange nicht. Er muss hier aber eigentlich gar keine großen Sprüche machen. Sie will ihn doch längst. Das muss nun wirklich nicht sein.
Er küsst sie erneut, schließt zeitgleich die Tür direkt hinter ihr auf und genießt ihre Überraschung.
„Nicht dein Ernst“, quietscht sie breit grinsend.
Niemals hätte sie ausgerechnet hier mehr vermutet. Wie oft stand sie hier schon und hat auf den Aufzug gewartet? Ihr ist nie aufgefallen, dass da ein Durchgang ist. Von Appartements ganz zu schweigen. Aber die Wand war auch über der Tür tapeziert worden und der Türspalt bei dem schummrigen Licht wirklich unmöglich zu sehen gewesen.
Die ganze Location besteht aus dunkel tapezierten Wänden, edlem Holz, viel Glas, Blumen, ausgefallenen Designerstücken, hier und da goldenem Dekor und vielen Spiegelflächen. Das Lichtkonzept ist wohl durchdacht und wirklich genau auf das lüsterne, moderne Partyvolk zugeschnitten worden. Die Isolierung muss verdammt gut sein, denn vom oberen Teil schwappt nur ein wenig Bass nach unten und stört die anderen Gäste hier überhaupt nicht. Das Restaurant hat einen edlen Lounge-Charakter, mit kleinen und großen Abteilen, und lädt zum anregenden Kennenlernen ein.
Vicky tritt vor ihm auf den Gang ins Freie. Staunend schaut sie sich um. Ganz schön hoch hier oben. Zu ihrer Rechten liegt ihr die Stadt zu Füßen und zur Linken kann sie die Restaurantgäste beobachten. Fasziniert schaut sie hinein.
„Das Glas ist verspiegelt. Wir sind für uns“, erklärt er ihr zwinkernd.
Er küsst sie kurz, nimmt grinsend ihre Hand und führt sie weiter. „Ich habe für uns eindecken lassen.“
Die Vorfreude zeichnet sich groß auf seinem Gesicht ab. Sie folgen dem Balkon ein Stück weiter und der Mund bleibt Vicky offen stehen.
Die Worte kommen ihr langsam und abgehackt über die glänzend geschminkten, vollen Lippen: „No. Fucking. Way.“
Sie traut ihren Augen kaum. Inmitten der großen Fläche steht ein riesiges, rundes Outdoormöbel, dessen Himmel von innen mit Lichterketten geschmückt wurde. Das Teil sieht gemütlich aus. Drinnen liegen zig Kissen in verschiedenen Größen und ein paar zusammengelegte Decken. Die Liege wird umrahmt von mehreren kleinen und großen Laternen mit verschiedengroßen brennenden Kerzen. In unmittelbarer Nähe lodert eine kleine Feuerstelle. Das Holz knistert laut. Auf einem kleinen Beistelltisch auf der anderen Seite des Loungemöbels steht ein Kübel voller Eiswürfel und mehreren Flaschen mit Mixgetränken.
„Wohnst du hier?“, fragt Vicky ungläubig.
Ihr Begleiter zuckt nur die Schultern und lächelt schief. „Ja…“
Sie dreht sich zu ihm um und strahlt ihn an. „Das ist also deine Masche? Fremden Frauen das Bier aus der Hand schlagen, einen Kuss stehlen und dann den Vollblutromantiker geben?“, fragt sie scherzhaft.
Er lacht charmant und streicht sich mit einer Hand über den Hinterkopf den Nacken herunter. „Erwischt. Was soll ich sagen, anders kann man Frauen heute kaum noch für sich gewinnen.“ Er schaut ihr tief in die grünen Augen und pausiert kurz.
„Und… du willst mich für dich gewinnen?“, haucht sie leise und beißt sich auf die Unterlippe.
Er streicht ihr eine dunkelbraune Haarsträhne aus dem Gesicht und führt sie hinter ihr Ohr auf derselben Seite. Währenddessen legt er den Kopf seitlich und betrachtet sie eindringlich. Ihr Atem stockt. Das ist ihr noch nie passiert.