Tanz ums Licht. Walter Julius Bloem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Walter Julius Bloem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711461242
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des Wagens steigen. Hinter ihnen her zischte das schrille Keifen der Enttäuschten.

      Nach einer Weile hielt Dareen an, warf seiner unbekannten, verschüchterten Gefährtin die Lederjacke in den Schoss, suchte aus der Westentasche einen Geldschein hervor und gab ihn hinüber. Die Dirne hüllte sich wortlos in die warme Jacke. In ihrem Berufe verlernt man das Wundern.

      Ausserhalb der Stadt, auf der Heerstrasse, legte Dareen los. Er lehnte sich in den Sitz zurück, wohlig und müde. Seine Augen blickten gelassen der heranrasenden Welt entgegen, sein blosses Haar schlug im Wind.

      II

      Charlotte Dareen erhob sich auch am Sonntag so früh wie stets. Beim Frühstück meldete ihr die Zofe, Herr Dareen sei noch nicht daheim.

      Das war nichts Ungewöhnliches. Aber dass das Auto auch nicht bereitstand — das war noch nicht vorgekommen. Charlotte frühstückte allein und ohne Freude, fuhr dann mit der Untergrundbahn in den Tattersall. Sonst brachte Dareen seine Frau stets selber dorthin, wenn seine Zeit es erlaubte. Man hielt auf Ritterdienste.

      In der grossen, spärlich erhellten Reithalle trabten ein paar junge Mädchen, die Charlotte schon zuweilen hier gesehen hatte. Graf Csaky stand gelangweilt im Sand und rief von Zeit zu Zeit seine Anweisungen hinüber. Mit diesen Damen war wenig Ehre einzulegen, die Tiere wurden träge wie ihre Reiterinnen. Als er Charlotte Dareen sah, liess er seine Schülerinnen im Stich und ging auf die elegante Frau zu, die er höflich begrüsste — sie war eine gute Reiterin, das genügte in seinen Augen, um einen Menschen wertvoll zu machen.

      „Ist mein Mann schon hier?“

      Graf Csaky verneinte sporenklirrend, küsste der Frau die Hand. Charlotte grüsste kurz, liess ihn stehen und ging zu den Ställen hinüber. Kam dann ins Rund geritten, mied die Kavalkade der Schülerinnen und liess ihre englische Stute in lässigem Schritt die Halle durchmessen. Graf Heino gab acht und dirigerte seine Zöglinge so geschickt, dass sie die Dame nicht störten.

      Bald darauf fuhr Dareen vor. Sein Gesicht war von der Morgenluft rot und frisch, man sah ihm die durchwachte Nacht nicht an. Er war schon daheim gewesen. Im Dress stieg er zu Pferde.

      „Guten Morgen, Charlotte. Du verzeihst. Eine Zündkerze war verschmiert, ich kam nicht rechtzeitig, um dich abzuholen.“

      Sie nickte, und er setzte sich an ihre Seite. Der nervöse Fuchs tänzelte ungeduldig und wollte nicht schreiten. Nach einer Runde zog Dareen höflich den Hut, und sie grüssten sich mit einem flüchtigen Gruss. Dann ritt ein jeder für sich allein, wie und wohin es ihm beliebte. So machten sie es jeden Morgen von sieben bis acht.

      Charlotte setzte sich in Trab und ritt in gemessenen Gängen. So fremd seine Frau ihm war — es war ein Vergnügen, sie aus der Ferne zu beobachten: jede Bewegung abgemessen und beherrscht, von lässiger Anmut erfüllt. Er sah seine Frau überhaupt sehr gerne von weitem, dann begriff er, dass er sie geheiratet hatte.

      Die Übungszeit war nun vorbei. Graf Csaky entliess aufseufzend seine temperamentlosen Schülerinnen, und der Tattersall füllte sich allmählich mit eleganten, geschulten Reitern. Die frühe Stunde, in der viele ihre eigenen Tiere hier bewegten, galt ihnen als eine Art von Gottesdienst, den sie schweigsam und andächtig auf Redopp und Pesade zelebrierten.

      Graf Csaky holte sich die prachtvolle Yorkshirestute eines auf Reisen befindlichen Amerikaners heraus — ein hohes, langbeiniges Tier, das er jeden Morgen bewegte. Er ritt an die einzelnen Gäste des Tattersalls heran und wusste für jeden mit seiner leisen, singenden Jungenstimme einen besonderen Gruss. Der einstige Husarenoffizier, vom Krieg aufs Pflaster gesetzt, war eine unschätzbare Akquisition des Direktors. Leider schien er verlobt zu sein; man sah ihn zuweilen mit seiner geradezu ärmlich gekleideten Braut — auch einer entthronten Adligen.

      Verlobt ist noch nicht verheiratet, dachte der Direktor und prophezeite seinem Reitlehrer eine grosse Zukunft; denn dass da einmal ein Goldfisch anbeissen würde, war klar. Der Graf schien seine Verbindung auch nicht gerade tragisch zu nehmen; denn es wurden zuweilen duftende Briefchen im Tattersall für ihn abgegeben, die kaum von seiner Braut stammen konnten, dafür waren sie unter sich von zu verschiedener Art — wurden jedoch gleichwohl vom Grafen Heino nicht ungern in Empfang genommen.

      Dareen ritt für sich ins Freie, dort traf er sich an den Sonntagvormittagen zuweilen mit seiner Diva, wenn sie gnädig war. Er schonte den Fuchs nicht, darum mochte Graf Csaky den Regisseur nicht leiden: Pferdeschinder — Menschenschinder. Das scheue Tier flog leicht über die Hürden und Hecken, und Dareen empfand, dass von allen Freuden ihm allein die Geschwindigkeit eine flüchtige Ruhe gab. Hier erblickte er Lydia Keriël.

      Sie zog an der Seite des gräflichen Reitlehrers in einem schwebenden Galopp dahin, die Pferde hielten sich Kopf an Kopf, die acht Hufe wirbelten in seliger Wildheit über den stäubenden Sand. Und Dareen spürte, wie eine Blutwelle sich in seine Schläfen warf.

      Hinter einer Hürde, welche die Pferde mit gestreckten Leibern übersprangen, schlug die Diva trabend einen Haken und hielt ihren Schimmel an. Dareen ritt über den weiten Platz auf sie zu — sachte im Schritt, es konnte gar nicht langsam genug gehen. Sie sah ihn schon, hob von ferne grüssend die Hand.

      „Kleiner Graf: Dareen kommt. Reiten Sie heim!“

      So war es immer: Wenn Dareen kam, mussten die anderen gehen. Der schlanke Junge richtete sich im Sattel auf, beugte sich tief und schwärmerisch über die Hand der glühend bewunderten Frau und zog davon, ohne den sich nähernden Regisseur zu beachten.

      Als sie sich über den Hals der Pferde hinweg stumm die Hände reichten, war es ihnen, als gingen unsichtbare Schatten über den Himmel. Sie setzten sich nebeneinander. „Guten Morgen, Lydia“, sagte Dareen nachträglich.

      „Ausgeschlafen?“ fragte sie nach einer Weile.

      „Habe gar nicht geschlafen.“

      „Das merkt man. Wie kam das, bitte? Gebummelt?“

      Er lachte unwillig. „Nee, Liebste. Habe Ihren Film geschnitten, bis morgens um drei.“ Da kam über ihr Gesicht ein schnelles Leuchten: „Ah — schon? Na, und — sagen Sie: Wie sind die Bilder?“

      Dareen musste sie ein bisschen zappeln lassen. „Scheusslich.“

      Jäh sah er ihre Augen, den ganzen Ausdruck ihres Gesichts verändert, als sei durch Zauberkraft ein anderer Mensch an seine Seite gerückt. „Wie?! Hat dieser niederträchtige Buckel etwa wieder — —“

      „Lydia —“, unterbrach er sie bittend und voller Vorwürfe gegen sich selbst, denn er kannte ja ihre Reizbarkeit — warum musste er also immer wieder anfangen? „Michel ist Ihr hingerissener Bewunderer — und die Bilder sind Gedichte von Sonne und Licht.“

      „So —“, sagte sie vor sich hin. „So. Mehr nicht? Wie sind denn meine Bilder?“ Ihre Gerte zuckte in der Hand. Dareen strich sich über die Stirn. War heute wirklich Sonntag? — „Liebe — wenn ich nicht von der Notwendigkeit Ihres Schlummers allzusehr überzeugt gewesen wäre, so hätte ich Sie aus dem Bett getrommelt, um Ihnen Ihre — hören Sie: Ihre! — Bilder zu zeigen.“

      Eine kindliche Fröhlichkeit brach quellend aus Lydia Keriëls Gesicht, ihre Zähne blitzten. „Das war lieb, Dareen.“ Sie beugte sich zu ihm hinüber — und abermals fing ihn das dunkle Lodern ihrer Augen ein ...

      Im Schritt verliessen sie das Hürdenfeld, trabten gelassen in die Reitalleen hinüber. Beim Überqueren des Fussweges wurde die Schauspielerin von einigen Spaziergängern erkannt, bewundernde Blicke folgten ihr.

      „Sie müssen die Kandare loser hängen“, sagte Dareen.

      „Ich kann reiten“, gab sie ihm mit springend wiedergekehrter Schärfe zurück. „Wollen Sie mir vielleicht sagen, wie die Aussenaufnahmen geraten sind?“

      Vor Dareen wippte der Pferdekopf, der Beschlag des Zaumzeugs blinkte. „Ich bin abgespannt und finde heute nicht die richtigen Worte. Wenn ich nur sage: Die Bilder sind herrlich, alles ist gut und schön — so haben Sie keinen Nutzen davon, denn es ist immer allerlei auszusetzen.“