Karins neuer Vater. Alrun von Berneck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alrun von Berneck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711507537
Скачать книгу
stattfand. Sie fürchtete nicht nur, daß sich die alte Dame anstecken würde, sondern mehr noch, daß sie Elsbeth Vorwürfe machte, weil sie mit der kranken Karin nicht in der eigenen Wohnung geblieben war.

      Als dann endlich die Gefahr vorbei war, hielt Margot den Zeitpunkt für gekommen, sich einmal mit Elsbeths Mutter zu unterhalten. Aber das sollte nicht in ihrem Hause geschehen, denn bei dieser Aussprache konnte sie Elsbeth nicht gebrauchen. Besser war es, sie fuhr einfach zu Frau Jakobsen nach Uhlenhorst. Um ihr Vorhaben zu verschleiern, sagte sie zu ihrer Freundin:

      „Jetzt, wo es Karin besser geht, ist es deine Pflicht, dich zu erholen, damit du wieder zu Kräften kommst! Ich muß heute nachmittag in der Stadt Besorgungen machen, dir aber verordne ich ein paar Stunden unbedingte Ruhe! Du sollst weder lesen noch handarbeiten, sondern du wirst dich einfach mit dem Faulenzer in den Garten legen!“

      „Also eine ärztliche Anordnung!“ fügte sich Elsbeth mit süßsaurem Lächeln. „Da kann man wohl nichts machen. Ich verzichte also auf jeden Protest!“

      „Und was soll ich dir aus der Stadt mitbringen?“

      „Ich wüßte wirklich nichts! Ich halbe hier ja alles. Dank deiner schwesterlichen Fürsorge!“ fügte sie leise und voller Dankbarkeit hinzu.

      „Gut, dann erwarte mich bis zum Spätnachmittag zurück! Du kannst ruhig solange draußen liegenbleiben, das Mädchen wird zwischendurch nach Karin sehen. Wenn sie es für nötig hält, wird sie dich schon rufen!“

      Da war es wieder, das verantwortungsvolle Handeln der Freundin, die ihr jede Initiative abnahm und sogar für sie zu denken schien. Elsbeth fühlte sich unendlich wohl dabei und lächelte mit geschlossenen Augen vor sich hin. Margot sah es mit stiller Genugtuung, und einer großen Sorge ledig stieg sie in ihren Wagen und fuhr zur Stadt.

      Das Haus der Familie Jakobsen in Uhlenhorst war eine vornehme Villa und in einem Stil gebaut, der um die Jahrhundertwende üblich war. Es wirkte hier alles so unendlich gediegen und solide, wie man es heute, in unserer schnellebigen Zeit, kaum noch kennt. Als die Ärztin an der Haustür klingelte, erschien ein Mädchen in weißer Servierschürze und mit einem Häubchen auf dem Kopf. Es fragte, wen es der gnädigen Frau melden dürfe.

      Wer sich hier nicht auskannte und etwa geglaubt hätte, in der Hausfrau nun einem Überbleibsel aus dem vorigen Jahrhundert zu begegnen, der würde sich sehr geirrt halben. Die alte Dame nämlich, die sogleich an die Tür kam, um ihren Gast zu begrüßen, war alles andere als eine vertrocknete und in ihrer Vornehmheit verknöcherte Hanseatin. Lebhaft schritt sie auf die Ärztin zu und streckte ihr die Hand hin.

      „Das ist fein, Margot, daß du mich auch einmal besuchst! Wie geht es denn den beiden Patienten, die du dir so leichtsinnigerweise ins Haus geholt hast?“

      „Den Umständen nach recht gut, Frau Jakobsen“, erwiderte Margot freundlich. „Karin hat die Krisis überstanden, und Elsbeth ist doch überhaupt nicht richtig krank gewesen. Sie war nur überarbeitet durch die vielen Nachtwachen.“

      „Und was macht Karin jetzt? Soll sie sich nicht irgendwo noch ein paar Wochen erholen?“

      „Der Gedanke wäre nicht schlecht, Frau Jakobsen! Es würde der Kleinen sehr gut tun, wenn sie noch ein paar Wochen im Schwarzwald zubringen könnte. Ihre Lungen sind natürlich noch angegriffen, und die Luft dort unten wäre die beste Medizin für sie.“

      „Was meinst du, Margot, wenn ich mit der Kleinen ein paar Wochen verreisen würde? Was wird Elsbeth wohl dazu sagen?“

      „Sie wird selbstverständlich zustimmen!“

      „Na, na, da bin ich gar nicht so sicher!“

      „Wenn ich ihr sage, daß es für Karin gut ist, wird sie sich schon dazu entschließen“, meinte die Ärztin mit einem gewinnenden Lächeln.

      „Ja, wenn du es ihr sagen würdest! Es ist überhaupt ein Glück, daß Elsbeth dich zur Freundin hat“, sagte die Dame aus ehrlicher Überzeugung. „Ich würde mir sonst noch viel mehr Sorgen machen!“

      „Sie machen sich Sorgen, Frau Jakobsen? Glauben Sie, daß das nötig sei?“

      Margot schaute die Greisin forschend an. Sie war ja hierher gekommen, weil auch sie sich Elsbeths wegen Sorgen machte, und es konnte ihr nur recht sein, wenn Frau Jakobsen jetzt davon zu sprechen anhub. Nur wollte Margot nicht selbst den Anstoß geben, denn wenn die alte Dame erst merkte, daß die Ärztin die gleichen Befürchtungen hatte, würde sie wenig Hoffnung auf eine Besse rung haben.

      Hier konnte sie nur forsch und mutig ans Werk gehen, als ob es sich um die größte Selbstverständlichkeit handelte. Sie würde auch der alten Dame die Initiative aus der Hand nehmen müssen, es kam lediglich darauf an, sich ihrer Zustimmung und ihres moralischen Rückhalts zu versichern. Und selbstverständlich mußte sie zunächst einmal herausbekommen, wie die Befürchtungen der alten Dame überhaupt aussahen.

      „Du fragst, ob es nötig sei, daß ich mir Elsbeths wegen Sorgen mache? Ja, Margot, weil ich mein Kind nur zu gut kenne, weiß ich, daß es nötig ist! Aber leider läßt sich Elsbeth von mir nicht helfen. Sie glaubt immer, ich wolle ihr in ihr Leben hineinreden. Und das will ich doch gar nicht!“

      „Sie ist also Ihren Ermahnungen nicht zugänglich, Frau Jakobsen?“

      „Leider nicht! Wir haben uns sogar schon oft gestritten. Und ich habe den Verdacht, daß sie mich heute bewußt meidet. Das ist schmerzlich für eine Mutter!“

      „Ich verstehe!“ sagte Margot voller Mitgefühl. „Gibt es denn Dinge, in denen Ihre und Elsbeths Meinung so sehr auseinander gehen?“

      „O ja! Das ist es ja, was zwischen uns steht! Elsbeth glaubt, mit ihrem Leben selber fertig werden zu können, und ich weiß, daß sie es nicht kann. Sie bemüht sich zwar sehr darum, ja, sie belügt sich vielleicht sogar, aber im Grunde wird sie nur immer unglücklicher, je länger sie versucht, mit ihren Lebensverhältnissen ins reine zu kommen.“

      „Und was wäre nach Ihrer Meinung der richtige Weg?“ forschte Margot, weil sie fühlte, daß sich Frau Jakobsen mit ihr aussprechen wollte.

      „Das zu sagen, ist ja so unendlich schwer, Margot! Wenn Elsbeth so geartet wäre wie du, hätte ich keine Sorgen. Denn du wirst ohne Sentimentalitäten mit dem Leben fertig und packst es mit beiden Händen an. Aber Elsbeth ist eben ganz anders geartet. Vielleicht liegt es aber auch nur an ihrer Erziehung. Ich fürchte fast, daß ich mir etwas vorzuwerfen habe, weil ich ihr in ihrer Jugend alles Häßliche und Schwere ferngehalten habe.“

      „Dadurch hat Elsbeth aber eine sehr glückliche Kindheit gehabt“, warf Margot ein. „Und das hat ihr gewiß viel gegeben, auch für ihre Erinnerung!“

      „Mag sein! Aber es hat sie für das Leben untüchtig gemacht! Wir hätten nicht alles von ihr nehmen dürfen. Würde sie gezwungen gewesen sein, von frühester Jugend an selbst mit den Dingen fertig zu werden, stünde sie heute dem Leben als fertiger und selbstsicherer Mensch gegenüber. Heute weiß ich, daß man seine Kinder nicht vor allem bewahren darf, um sie nicht lebensuntüchtig zu machen. Aber was nutzt mir diese Weisheit jetzt? Heute ist es für meine Einsicht zu spät!“

      „Aber nein, Frau Jakobsen!“ widersprach Margot. „Solange wir einen Menschen, der uns lieb und teuer ist, richtig einzuschätzen vermögen, solange können wir ihm auch helfen.“

      „Das mag stimmen, Margot!“ sagte die alte Dame, die sich den Einwand der jungen Ärztin einen Augenblick lang hatte durch den Kopf gehen lassen. „Aber leider hat das nur begrenzte Bedeutung, ich lebe ja schließlich nicht ewig.“

      „Ich bin ja auch noch da, Frau Jakobsen!“ sagte Margot mit einem kleinen Lächeln. „Ich werde Elsbeth schon nicht im Stich lassen!“

      „Daß weiß ich, Margot! Aber ob das genug sein wird? Bitte, verstehe mich recht! Als Freundin kann man sehr viel helfen, aber solche Hilfe darf auf die Dauer keine einseitige Angelegenheit bleiben! Glaube einer alten Frau, die das Leben kennengelernt hat, es ist nicht gut, wenn in einer Freundschaft der eine Teil immer nur der Nehmende und der andere stets der Gebende ist!“