»Wie bitte?«, fragte Milo.
»Kaufen oder verkaufen, kaufen oder verkaufen«, wiederholte der Torwächter ungeduldig. »Was denn nun? Ihr seid doch nicht ohne Grund hierhergekommen, oder?«
»Na ja, ich …«, fing Milo an.
»Kommt schon! Wenn ihr schon keinen Grund habt, dann wird es doch zumindest eine Erklärung geben oder wenigstens eine Entschuldigung«, unterbrach ihn der Torwächter.
Milo schüttelte den Kopf.
»Bedenklich, höchst bedenklich«, sagte der Torwächter und schüttelte ebenfalls den Kopf. »Ohne Grund kommt ihr hier nicht rein.« Er dachte einen Moment nach. »Wartet mal«, fuhr er dann fort, »kann sein, dass ich noch einen alten habe, den ihr benutzen könnt.«
Er holte einen ramponierten Koffer aus dem Torhäuschen und fing an, geschäftig in ihm herumzukramen. Dabei murmelte er vor sich hin: »Nein … nein … nein … der geht nicht … nein … h-m-m-m … ah, der ist genau richtig«, rief er schließlich triumphierend aus und hielt ein kleines Medaillon in die Luft, das an einer Kette baumelte. Er wischte den Staub ab, sodass man die auf einer Seite eingravierten Worte erkennen konnte: WARUM NICHT?
»Das ist ein guter Grund für so gut wie alles. Vielleicht schon ein bisschen abgenutzt, aber immer noch einigermaßen tauglich.« Und damit hängte er Milo das Medaillon um den Hals, schob die schwere Eisentür auf, machte eine tiefe Verbeugung und ließ sie passieren.
Was für ein Markt das wohl sein mag, fragte sich Milo, als sie durch das Tor fuhren. Doch bevor er noch länger darüber hätte nachdenken können, befanden sie sich bereits am Rand eines riesigen Platzes, auf dem in langen Reihen ein Stand neben dem anderen stand. Auf jedem von ihnen waren wahre Berge von Waren, und fast jeder war mit farbenfrohen Wimpeln geschmückt. Über ihnen verkündete ein großes Transparent:
Willkommen auf dem Wortmarkt
Gleichzeitig eilten von der gegenüberliegenden Seite des Platzes fünf sehr lange, dünne und hoheitsvoll in Samt und Seide gekleidete Herren mit Federhüten auf dem Kopf und Schnallenschuhen an den Füßen auf das Auto zu, hielten kurz inne, wischten sich fünfmal die Stirn, holten fünfmal tief Luft, entrollten fünf Pergamentrollen und begannen einer nach dem anderen zu sprechen.
»Seid gegrüßt!«
»Moin!«
»Willkommen!«
»Guten Tag!«
»Hallo!«
Milo nickte nur mit dem Kopf, und sie fuhren fort, von ihren Pergamentrollen abzulesen.
»Auf Befehl von Abis Zett dem Ungekürzten«,
»König von Wortopolis«,
»Herrscher der Buchstaben«,
»Regent über Phrasen, Sätze und Redensarten«,
»heißen wir euch herzlich willkommen in unserem Königreich«,
»unserem Land«,
»unserer Nation«,
»unserem Staat«,
»unserem Gemeinwesen«,
»unserer Monarchie«,
»unserem Imperium«,
»unserer Pfalz«,
»unserem Fürstentum.«
»Bedeuten diese Worte etwa alle dasselbe?«, stieß Milo hervor.
»Natürlich.«
»Na sicher.«
»Selbstverständlich.«
»Genau.«
»Und ob«, antworteten sie einer nach dem anderen.
»Nun ja«, sagte Milo, dem nicht ganz einleuchtete, warum jeder das Gleiche sagte, bloß ein bisschen anders, »würde es die Sache nicht vereinfachen, bloß einen Ausdruck zu gebrauchen? Das ist doch viel sinnvoller.«
»Unsinn.«
»Lächerlich.«
»Hirnverbrannt.«
»Absurd.«
»Quatsch«, riefen sie im Chor.
»Wir haben überhaupt kein Interesse daran, sinnvoll zu sein. Das ist nicht unser Job«, keifte der Erste.
»Nebenbei«, erklärte der Zweite, »ein Wort ist so gut wie das andere – warum sollte man sie dann nicht alle benutzen?«
»Zumal man sich auf diese Weise nicht entscheiden muss, welches das passende ist«, empfahl der Dritte.
»Außerdem«, seufzte der Vierte, »wenn eins schon passt, passen zehn noch zehnmal mehr.«
»Offensichtlich hast du keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast«, sagte der Fünfte von oben herab. Und dann stellten sie sich der Reihe nach vor:
»Gestatten, Baron Botho von Bindewort.«
»Seine Eminenz Erich von Eigen-Schaft.«
»Fürst Ferdinand von Fragesatz.«
»Graf Gunnar Genus-Verbi.«
»Ministerialdirigent Manfred Modus-Irrealis.«
Milo ließ die Vorstellung schweigend über sich ergehen. Als Tack anfing, leise zu knurren, erklärte Seine Eminenz:
»Wir sind die Berater des Königs, oder, wie es offiziell heißt, sein Kabinett.«
»Kabinett«, dozierte der Baron, »1. kleines Privatgemach oder Kammer, in welcher Wertsachen oder Kuriositäten aufbewahrt werden; 2. Konferenzzimmer für die Ministerrunde; 3. Gremium offiziell bestallter Berater des Regierungschefs eines Landes.«
»Ihr seht«, fuhr Seine Eminenz fort und dankte dem Baron mit einer leichten Verbeugung für dessen Ausführungen, »Wortopolis ist der Ort, von dem alle Wörter dieser Welt ausgehen, weil sie uns nie ausgehen. Wir bauen sie nämlich in unseren Obstgärten an.«
»Ich wusste gar nicht, dass Wörter an Bäumen wachsen«, sagte Milo kleinlaut.
»Ja wo denn sonst?«, rief der Fürst empört, während die ersten Marktbesucher anfingen, sich um sie zu scharen. Voller Neugier betrachteten sie den kleinen Jungen, der nicht zu wissen schien, dass Wörter an Bäumen wuchsen.
»Ich wusste nicht mal, dass sie überhaupt wachsen«, gab Milo noch kleinlauter zu. Ein paar der Umstehenden schüttelten erschüttert den Kopf.
»Nun denn«, hakte der Graf nach, »wächst an Bäumen vielleicht Geld?«
»Soviel ich weiß, nicht.«
»Dann muss dort ja wohl irgendetwas anderes wachsen. Warum also nicht Wörter?!«, rief der Ministerialdirigent triumphierend. Die Menge spendete seiner bestechenden Logik Beifall und ging wieder ihrer Wege.
»Um fortzufahren«, fuhr Seine Eminenz ungeduldig fort, »einmal pro Woche wird auf königliche Anordnung hier auf dem großen Platz der Wortmarkt abgehalten, und die Menschen kommen von überallher, um die Wörter zu kaufen, die sie brauchen, oder diejenigen anzubieten, mit denen sie nichts anfangen können.«
»Unsere