Emma erbt. Armand Amapolas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Armand Amapolas
Издательство: Bookwire
Серия: Emma auf Teneriffa
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9788494342998
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bis die Wolkendecke schließlich wieder aufriss. Auch das Meer hat dabei ständig seine Farbe verändert, von Hellgrau über Dunkelgrau zu Blau, Grün und Türkis. Toll!«

      »Vielleicht sollten Sie das Apartment Ihrer Großmutter doch behalten. Ich glaube, Sie sind dabei, sich in die Insel zu verlieben.«

      War sie das?

      Vielleicht, dachte Emma, erwiderte aber: »Keine Sorge! Dann hätten Sie ja Benzin und Zeit zum Fenster rausgeworfen.«

      »Das glaube ich nicht. Außerdem: Vielleicht verkaufen Sie ja die Wohnung Ihrer Oma und kaufen sich was anderes. Dann hätte ich gleich ein doppeltes Geschäft gemacht. Außerdem bereitet es mir – trotz allem – Freude, mit Ihnen durch die Gegend zu fahren. Darf ich sagen oder finden Sie das auch anzüglich: ich finde Ihre Gesellschaft erfrischend?«

      Von der Costa del Silencio fuhren sie nach Los Cristianos weiter, um, wie Hollerbeck sagte, »die Schrecknis zu sehen«. Statt dort eines der überall angepriesenen Full English Breakfasts zu genießen, aßen sie später in einem Restaurant an einer kleinen Bucht der Costa Adeje zu Mittag. Emma bestand darauf, »meinen Fahrer« einzuladen. Auf dem Weg nach Los Gigantes erschien ihnen dann wie eine Fata Morgana ein erdroter Hotelkomplex, der Emma an die Adobe-Bauten prähistorischer Indianer im Südwesten der USA erinnerte. Nur, dass die Indianer wohl keine Teiche mit Koi-Karpfen an Michelin-besternten Restaurants angelegt hatten. Und Golf spielten die Hopis auch nicht. »Siebenundzwanzig Loch«, erklärte ihr Hollerbeck: »Das Nonplusultra zur Zeit. Und falls Golf Sie langweilt, weil Sie ja noch jung genug sind, um Sex zu haben, bleibt Ihnen, neben dem Sex, allezeit eine schöne Aussicht auf die Berge und auf La Gomera und die Auswahl zwischen sieben Restaurants.«

      Emma musste lächeln. La Gomera. Sie erinnerte sich an eine Wanderung, die sie mit ihren Großeltern gemacht hatte, damals, in ihrem persönlichen annus horribilis 15. Die einzige Wanderung, zu der sie sich damals hatte überreden lassen. Erstaunlicherweise hatte sie Gefallen daran gefunden. Sie erinnerte sich an eine menschenleere, total rentnerfreie Landschaft und, mittendrin, an einen gemauerten Dreschpatz. Da hatten sie gepicknickt, Opa Heinrich, Oma Ilse und sie, ganz allein, unter ihnen der Ozean. Und am Horizont war Gomera zu sehen gewesen, die Nachbarinsel, verschleiert. Märchenhaft, total märchenhaft war ihr das vorgekommen, damals. Sie erzählte Hollerbeck davon.

      »Ich glaube, ich weiß, wo das gewesen sein könnte. Im Teno-Gebirge. Da kommen wir durch, wenn wir nicht über die Autobahn wieder zurückfahren, sondern über Santiago de Teide. Dann hätten wir wirklich eine Inselrundfahrt gemacht.«

      »Wäre das ein großer Umweg?«

      »Für Sie ist mir kein Weg zu weit, das sollten Sie inzwischen wissen.«

      Emma verdrehte die Augen. Aber so wie Hollerbeck grinste, als er das sagte, so Walter-Matthau-mäßig, konnte sie ihm auch diesen Baggerspruch nicht wirklich übel nehmen. Mal schauen, dachte sie sich, wie weit Hollerbecks Geduld auszureizen sein würde:

      »Auch kein Wanderweg? Wir sind damals vielleicht eine Stunde oder so gelaufen. Würde Sie das überfordern?«

      Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, blieb Jochen Hollerbeck ihr eine sofortige Antwort schuldig.

      »Heißt das, Sie wollen wandern gehen? Heute? Jetzt? Mit mir?« fragte er, alarmiert klingend – nachdem er zuvor gefühlte drei Minuten schweigend den Verkehr vor ihnen fixiert hatte: »Ich fürchte, dafür sind wir nicht ausgerüstet.«

      »Ausgerüstet? Ich kann mich nicht erinnern, damals mit 15 ›ausgerüstet‹ gewesen zu sein. Jedenfalls hatten wir keine Pickel und Seile dabei.«

      »Na, die brauchen wir hier auch nicht. Aber vernünftiges Schuhwerk schon und Jacken. Im Teno-Gebirge kann sich das Wetter rasch ändern und plötzlich sind wir von Wolken umgeben.«

      »Wirklich? Das wäre doch ein tolles Abenteuer. Bitte!« Emma zog ein Kleinmädchengesicht samt Schmollmund und schmachtete Hollerbeck an: »Jooo!«

      Wie sich herausstellte, hatte »Jooo« einen Rucksack und Wasserflaschen und einen Anorak und feste Schuhe im Kofferraum. Er parkte den Mercedes an einer Abbiegung im Nirgendwo, neben einem leerstehenden Haus. Von dort aus liefen sie auf alten Ziegenpfaden los. Palmen wuchsen hier nicht, dafür Kaktusfeigen. Jo hielt sie davon ab, eine zu pflücken: »Vorsicht, die sind voller kleiner fieser Stacheln.«

      Ja, genau, Emma wusste es wieder. Mit 15 hatte sie genau die gleiche Warnung gehört, von Opa Heinrich, und sie ignoriert. An den Schmerz an Fingern und Zunge konnte sie sich mit einem Mal wieder höchst lebendig erinnern. Diesmal verhielt sie sich klüger.

      Kein Mensch kam ihnen entgegen, während sie immer höher anstiegen. Emma voran, Hollerbeck, gelegentlich keuchend, hinterdrein. Unten im Tal und an den Hängen gegenüber, in weiter Ferne, konnten sie einsam gelegene Bauernhöfe, ach was, Steinhütten erkennen. Aber wer auch immer dort lebte, so scheinbar entrückt von der Welt der Supermärkte und 27-Loch-Golfplätze, und die terrassenförmig angelegten steinigen Äcker bestellte, hielt sich versteckt. Mehrfach bot Hollerbeck ihr an, in einem zunehmend flehentlichen Ton, wieder umzukehren. Jetzt habe sie doch wohl einen guten Eindruck von der Landschaft bekommen! Da ändere sich nichts mehr, und sie hätten ja noch eine lange Fahrt vor sich… Doch Emma kam sich vor, als hätte sie eine Witterung aufgenommen:

      »Ach Jo, es kann nicht mehr weit sein. Da war eine alte Steinhütte und ein gemauerter Platz, ich seh‘s wieder vor mir, mit einem großartigen Blick auf das Meer und auf Gomera. Vielleicht ist das Gelände ja zu kaufen, und Sie bauen ein Resort hierhin, für Aussteiger, die bereit sind, viel Geld dafür zu bezahlen, von allem ganz weit weg zu sein. Mit Golfplatzanbindung natürlich und mit Sterne-Restaurant. Und Hubschrauberlandeplatz.«

      Hollerbeck war nicht mehr nach Humor zumute. »Solche ehemaligen Dreschplätze gibt‘s hier mehrere. Es kann sein«, japste er, »dass Sie mit Ihren Großeltern ganz woanders rumgelaufen sind.«

      »Kann sein. Glaub ich aber nicht. Das kommt mir alles sehr bekannt vor hier«, schwindelte sie. Emma hatte, gestand sie sich ein, einfach Spaß daran gefunden, Hollerbecks Geduld und Kondition auszureizen. Hatte sie eine bislang verborgene sadistische Ader? Außerdem war die Landschaft wirklich großartig, die Luft sowieso. Und das Laufen tat ihr gut. Der Kopfschmerz war verflogen.

      Da war es! Sie hatten einen letzten, steilen Anstieg hinter sich gebracht, waren um eine abstrus gen Himmel zeigende Felsnase gebogen, da tat sich plötzlich ein weiter Blick auf, über das tief unter ihnen schimmernde und von hier aus unhörbare Meer auf das unten herum leicht verschleierte La Gomera. Eine Fähre zog eine Schaumspur hinter sich her. Ein paar Segel blähten sich im Wind, klein wie Konfetti, von ihrem Logenplatz hier oben aus gesehen. Emma blieb stehen und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus.

      »War es hier? Ist das der Platz, an den Sie sich erinnern?« In Hollerbeck, der zuletzt sehr still geworden war, schien Leben zurückzukehren. Und Hoffnung: »Dann kehren wir jetzt um, ja? Bitte!«

      »Gleich. Auf ein paar Minuten kommt es jetzt ja wohl auch nicht mehr an. Oder können Sie nicht mehr?« Emma setzte ein Krankenschwestergesicht auf und musterte Hollerbeck besorgt. Als hätte er soeben offenbart, inkontinent zu sein.

      »Keine Sorge, ich bin fit. Ich dachte eher an Sie. Es könnte kalt werden auf dem Rückweg, und wir sind doch am Ziel.«

      »Nicht ganz. Aber fast. Sehen Sie die Hütte da unten? Den Steinhaufen? Ich glaube, da haben wir damals gepicknickt. Da müssen wir noch hin, dann ist es gut – aber Sie können gern auch hier warten und ich gehe die paar Meter allein.«

      »Kommt überhaupt nicht in Frage. Aber was glauben Sie, da unten zu finden, was Sie hier nicht haben? Die Aussicht wird von dort nicht besser sein als von hier aus.«

      »Mag sein, aber ich muss da einfach hin; jetzt, wo wir schon so weit gekommen sind. Das verstehen Sie doch, oder?«

      Nein, Hollerbeck verstand es offensichtlich nicht, aber er folgte ihr kopfschüttelnd. Der kurze Abstieg war nicht unbeschwerlich. Ziegen waren hier seit langem nicht mehr hergegangen, Wanderer offenbar auch nicht. Hollerbeck unternahm noch mehrere Versuche, Emma zur Umkehr zu bewegen. Doch es war zwecklos.

      »Hier