»In einem solchen Augenblick, Herr Edwards, hat aller Erdenunterschied ein Ende«, flüsterte Elisabeth. »Überreden Sie John, näherzukommen, damit wir zusammen sterben können.«
»Unmöglich, – er wird sich nicht von der Stelle bewegen«, versetzte der Jüngling in den gleichen, grausig leisen Tönen. »Er betrachtet dies als den glücklichsten Augenblick seines Lebens. Siebzig Winter sind über ihn hingegangen, und in der letzten Zeit hat er schnell abgenommen; auch erhielt er bei der Verfolgung des Unglückstieres auf dem See eine Verletzung. Ach, Miss Temple! das war in der Tat eine unglückliche Jagd; sie hat; wie ich fürchte, auch diese entsetzliche Szene herbeigeführt.«
Auf Elisabeths Antlitz strahlte ein Himmelslächeln, während sie sprach:
»Warum erwähnen Sie jetzt diese Kleinigkeit? In solchen Augenblicken ist das Herz tot für alle irdischen Gefühle.«
»Wenn etwas dem Menschen mit einem solchen Tod versöhnen kann«, rief der Jüngling, »so ist es der Gedanke, ihn in solcher Gemeinschaft zu erleiden!«
»Reden Sie nicht so, Edwards, reden Sie nicht so«, unterbrach ihn Miss Temple. »Ich kenne meinen Unwert, und Sie selbst tun sich unrecht. Wir müssen sterben, ja, – ja, – wir müssen sterben, – es ist der Wille Gottes und deshalb unsere Pflicht, uns ihm wie gehorsame Kinder zu unterwerfen.«
»Sterben!« rief der Jüngling verzweifelt. »Nein – nein – es muß noch Hoffnung da sein, – Sie wenigstens sollen, – dürfen nicht sterben.«
»Wie wäre es zu ändern?« fragte Elisabeth, indem sie mit einer himmlischen Ruhe auf das Feuer zeigte. »Sehen Sie! Die Flamme überschreitet die Grenzlinie des feuchten Grundes; sie kommt langsam, aber sicher näher. Ah! dort! Der Baum! Der Baum lodert bereits auf!«
Sie hatte nur zu wahr gesprochen. Die sengende Hitze war endlich Herr geworden über die widerstrebende Quelle, und das Feuer stahl sich langsam auf dem halbtrockenen Moose fort, während eine abgestorbene Fichte bei der Berührung mit einer Flammenzunge, die sich nur einen Moment um den Stamm des Baumes schlängelte, unter dem Einfluß des Windes hoch aufloderte. All dies war das Werk eines Augenblicks. Die Flammen tanzten an dem vertrockneten Stamm entlang wie rasch sich folgende Blitze, und unmittelbar darauf wütete eine lebende Feuersäule auf der Terrasse. Sie schoß von Baum zu Baum, und die Szene näherte sich ihrem Ende. Der Stamm, auf welchem Mohegan saß, brannte bereits an seinem äußersten Ende, und der Indianer schien ganz von Feuer umgeben. Er bewegte sich nicht. Sein schutzloser Körper mochte wohl schwer leiden, aber die Seelenstärke des Mannes überwand allen Schmerz. Man konnte sogar mitten in diesem Graus seine Stimme noch hören.
Elisabeth wandte das Auge von dem schrecklichen Anblick ab und sah nach dem Tal hinunter. Die Hitze erzeugte wütende Wirbelwinde, und in dem nämlichen Augenblick fegten sie die über dem Tal hängende Rauchwolke weg, um das friedliche Dorf zu ihren Füßen sichtbar zu machen.
»Mein Vater! – Mein Vater!« schrie Elisabeth. »Ach, – warum konnte mir dies nicht erspart werden! – Doch ich ergebe mich.«
Die Entfernung war nicht so weit, um nicht die Gestalt des Richters Temple unterscheiden zu lassen, der auf einem seiner Güter stand, augenscheinlich nichts von der Gefahr seines Kindes ahnte und den brennenden Berg betrachtete. Dieser Anblick war noch schmerzlicher als die so nahe Gefahr, und Elisabeth wandte sich wieder nach dem Berg um.
»Meine ungezügelte Hitze ist an all diesem schuld«, rief Edwards verzweifelt. »Hätte ich nur die Hälfte Ihrer himmlischen Ergebung besessen, Miss Temple, so wäre vielleicht noch alles gut gegangen.«
»Nichts mehr davon, – nichts mehr davon!« versetzte sie. »Wozu soll es nützen? Wir müssen sterben, Edwards, wir müssen sterben, – und so wollen wir es denn als Christen tun. Doch – nein – Sie können vielleicht noch entkommen. Ihre Kleidung ist Ihnen nicht so hinderlich wie mir die meinige. Fliehen Sie! Verlassen Sie mich, – doch halt! Sie werden meinen Vater sehen, meinen armen kinderlosen Vater! Sagen Sie ihm dann, Edwards, – sagen Sie ihm alles, was seinen Kummer beschwichtigen kann. Erzählen Sie ihm, daß ich glücklich und gefaßt starb, daß ich zu meiner lieben Mutter gegangen bin, daß die Stunden des Erdenlebens nichts sind, wenn sie in die Waagschale der Ewigkeit fallen. Sagen Sie ihm, daß wir uns wiedersehen werden. Und sagen Sie ihm«, fuhr sie fort, indem sie ihre Stimme, die sich mit ihren Gefühlen gesteigert hatte, dämpfte, als sei sie sich ihrer irdischen Schwäche bewußt, »wie innig, wie unaussprechlich innig meine Liebe zu ihm gewesen sei, – zu innig vielleicht, um nicht meiner Liebe zu Gott Eintrag zu tun!«
Der Jüngling horchte auf die rührenden Laute, jedoch ohne sich von der Stelle zu bewegen. Endlich fand er selbst die Sprache wieder und entgegnete: »Sie wollen mir gebieten, Sie zu verlassen, – Sie am Rand des Grabes zu verlassen? Ach, Miss Temple! wie wenig haben Sie mich gekannt!«
Er sank jetzt vor ihr auf die Knie nieder und umfaßte ihr fliegendes Gewand mit seinen Armen, als wolle er es gegen die Gier der Flammen schützen.
»Ich wurde voll Verzweiflung in die Wälder getrieben, aber Ihre Gesellschaft hat den Löwen in mir gezähmt. Wenn ich meine Zeit in einer entwürdigenden Stellung verbrachte, so war es der Zauber Ihrer Person, der mich dazu veranlaßte. Wenn ich meines Namens und meiner Familie vergaß, so trat Ihre Gestalt an die Stelle der Erinnerung; wenn ich den Rückblick auf erlittenes Unrecht aus meiner Seele bannte, so waren Sie es, die mich Vergebung lehrte. Nein – nein – teuerste Elisabeth, ich kann mit Ihnen sterben, aber nimmermehr Sie verlassen!«
Elisabeth antwortete nicht und stand regungslos. Es war klar, daß ihre Gedanken nicht mehr auf der Erde weilten. Die Erinnerung an ihren Vater und der Schmerz des Scheidens waren durch ein heiliges Gefühl gemildert, das sie über die Erdendinge erhob, und die Schwäche ihres Geschlechtes schwand hin vor dem Blick in die nahe Ewigkeit. Noch einmal wurde sie jedoch Weib, als sie diese Worte hörte. Sie kämpfte gegen ihre Gefühle und lächelte; denn sie glaubte jetzt den letzten Rest zeitlicher Fesseln abgestreift zu haben, als plötzlich die Welt mit all ihren Reizen aufs neue in den durchbohrenden Tönen einer menschlichen Stimme zu ihrem Herzen drang.
»Mädchen, wo bist du, Mädchen? Erfreue das Herz eines alten Mannes, wenn du noch den Lebenden angehörst!«
»Horch!« sagte Elisabeth; »das ist Lederstrumpf! Er sucht mich!«
»Es ist Natty!« jauchzte Edwards. »Wir können vielleicht noch gerettet werden!«
Eine weite, im Kreise umher aufblitzende Flamme überstrahlte für einen Augenblick sogar das Feuer der Wälder, und ein lauter Knall folgte.
»Das ist die Büchse! Das ist das Pulver!« rief dieselbe Stimme, augenscheinlich in größerer Nähe. »Ach, es ist die Büchse, und das kostbare Kind ist verloren!«
Im nächsten Augenblick tauchte Natty aus den Dämpfen der Quelle auf und wurde auf der Terrasse sichtbar: er hatte keine Mütze, das Haar seines Hauptes war versengt,