Moses Mendelssohn
Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn
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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0718-3
Inhaltsverzeichnis
Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele
Ueber die Frage: was heißt aufklären?
Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes
Betrachtungen über die Quellen und die Verbindungen der schönen Künste und Wissenschaften
Gedanken von dem Wesen der Ode
Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (Friedrich Heinrich Jacobi)
Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele
Leben und Charakter des Sokrates
Phädon, oder über die Unsterblichkeit der Seele
Anhang zur 2. Auflage des Phädon 1768
Anhang zur 3. Auflage des Phädon 1769
Vorrede
Folgende Gespräche des Sokrates mit seinen Freunden, über die Unsterblichkeit der Seele, sollten meinem Freunde Abbt gewiedmet werden. Er war es, der mich aufgemuntert hatte, diese vor einigen Jahren angefangene und weggelegte Arbeit wieder vorzunehmen. Als er noch zu Rinteln Professor war, gab er mir, in einem von seinen freundschaftlichen Briefen, seine Gedanken über Spaldings Bestimmung des Menschen zu erkennen. Aus unserm Briefwechsel über diese Materie sind die kleinen Aufsätze entstanden, die in dem neunzehnten Theil der Litteraturbriefe, unter dem Titel: Zweifel und Orakul die Bestimmung des Menschen betreffend, vorkommen. Ich hatte das Glück, über einige der wichtigsten Punkte meines Freundes Einstimmung zu erhalten, ob ich ihm gleich nicht in allem Genüge leisten konnte. Mit der Offenherzigkeit eines wahren Freundes, goß er die geheimsten Empfindungen seiner Seele, sein ganzes Herz in meinen Busen aus. Seine philosophischen Betrachtungen erhielten durch die sanften Empfindungen des guten Herzens einen eignen Schwung, wodurch sie die Liebe zur Wahrheit in der kältesten Brust würden entzündet haben, und seine Zweifel selbst unterließen niemals neue Aussichten zu entdecken, und die Wahrheit in ein helleres Licht zu setzen. Unserer Abrede gemäß, sollte ich folgende Gespräche ausarbeiten, und darinn die vornehmsten Lehrsätze, worinn wir übereinkamen, auseinandersetzen; und diese sollten in der Folge zur Grundlage unseres Briefwechsels dienen.
Allein es hat der Vorsehung gefallen, dieses aufblühende Genie vor der Zeit der Erde zu entziehen. Kurz und rühmlich war die Laufbahn, die er hienieden vollendet hat. Sein Werk vom Verdienst wird den Deutschen ein unvergeßliches Denkmaal seiner eigenen Verdienste bleiben: mit seinen Jahren verglichen, verdienet dieses Werk die Bewunderung der Nachkommenschaft. Was für Früchte konnte man nicht von einem Baume hoffen, dessen Blüthe so vortrefflich war. Er hatte noch andre Werke unter der Feder, die an Vollkommenheit, wie er an Erfahrenheit und Kräften des Geistes, zugenommen haben würden. Alle diese schönen Hoffnungen sind dahin! Deutschland verliert an ihm einen trefflichen Schriftsteller, die Menschlichkeit einen liebreichen Weisen, dessen Gefühl so edel, als sein Verstand aufgeheitert war; seine Freunde den zärtlichsten Freund, und ich einen Gefährten auf dem Wege zur Wahrheit, der mich vor Fehltritten warnete. –
Nach dem Beyspiel des Plato, habe ich den Sokrates in seinen letzten Stunden die Gründe für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele seinen Schülern vortragen lassen. Das Gespräch des griechischen Schriftstellers, das den Namen Phädon führet, hat eine Menge ungemeiner Schönheiten, die, zum Besten der Lehre von der Unsterblichkeit, genutzt zu werden verdieneten. Ich habe mir die Einkleidung, Anordnung, und Beredsamkeit desselben zu Nutze gemacht, und nur die metaphysischen Beweisthümer nach dem Geschmacke unserer Zeiten einzurichten gesucht. In dem ersten Gespräche konnte ich mich etwas näher an mein Muster halten. Verschiedene Beweisgründe desselben schienen nur einer geringen Veränderung des Zuschnitts, und andere einer Entwickelung aus ihren ersten Gründen zu bedürfen, um die Ueberzeugungskraft zu erlangen, die ein neuerer Leser in dem Gespräche des Plato vermisset. Die lange und heftige Deklamation wider den menschlichen Körper und seine Bedürfnisse,1 die Plato mehr in dem Geiste des Pythagoras, als seines Lehrers geschrieben zu haben scheinet, mußte, nach unsern bessern Begriffen von dem Werthe dieses göttlichen Geschöpfes, sehr gemildert werden; und dennoch wird sie den Ohren manches jetzigen Lesers fremde klingen. Ich gestehe es, daß ich blos der siegenden Beredsamkeit des Plato zu Gefallen, diese Stelle beybehalten habe.
In der Folge sahe ich mich genöthiget, den Plato völlig zu verlassen. Seine Beweise für die Immaterialität der Seele scheinen, uns wenigstens, so seichte und grillenhaft, daß sie kaum eine ernsthafte Widerlegung verdienen. Ob dieses von unserer bessern Einsicht in die Weltweisheit, oder von unserer schlechten Einsicht in die philosophische Sprache der Alten herrühret, vermag ich nicht zu entscheiden. Ich habe in dem zweyten Gespräche einen Beweis für die Immaterialität der Seele gewählet, den die Schüler des Plato gegeben, und einige neuere Weltweisen von ihnen angenommen. Er schien mir nicht nur