Der Jüngling, mutmaßend, daß dies der Abschied sein sollte, nahm das holde Geschöpf in seine Arme und preßte es an die Brust – Danusia aber schmiegte sich nicht an ihn, umschlang nicht mit ihren Händchen seinen Hals, nein, rasch riß sie von ihren blonden Haaren, unter dem Rautenkranze hervor den weißen Schleier und umhüllte damit fast das ganze Haupt Zbyszkos, indem sie gleichzeitig mit der ganzen Kraft ihrer kindlichen Stimme schluchzend rief: »Mein ist er, mein ist er!«
»Dein ist er!« bestätigten die Ritter in lautem Tone. »Zum Kastellan!« Und von allen Seiten erklang aus der Menge der Ruf: »Zum Kastellan! Zum Kastellan!« Der Beichtvater richtete die Augen gen Himmel, der Ratschreiber wich zur Seite, der Hauptmann und die Hellebardiere senkten die Waffen, sie alle, alle begriffen, um was es sich handelte.
Es existierte eine alte Sitte, mächtig wie das Gesetz, bekannt und verbreitet in Podhale und bei den Krakauern, daß, wenn auf einen zum Tode Verurteilten ein unschuldiges Mädchen ihren Schleier warf, zum Zeichen, daß sie ihn zu ihrem Gatten erkiese, dieser freigegeben werden mußte. Den Gebrauch kannten die Ritter, es kannten ihn die Bauern, es kannten ihn die Polen unter den Städtern – und es wußten auch von ihm die Deutschen, die seit längerer Zeit in den polnischen Burgen und Städten wohnten. Der alte Macko, den die Rührung zu übermannen drohte, die Ritter, die ohne weiteres die Bogenschützen zurückstießen, umringten Zbyszko und Danusia, die bewegte, frohe Menge rief unaufhörlich: »Zum Kastellan, zum Kastellan!« Der Menschenschwarm wälzte sich plötzlich vorwärts gleich einer riesigen Meereswelle. Der Scharfrichter und seine Gehilfen stiegen bald darauf von dem Gerüste herab. Dies steigerte noch die Erregung. Bei allen stand es fest, daß in der Stadt ein drohender Aufruhr ausbrechen werde, wenn Jasko aus Teczyn sich jetzt dem altherkömmlichen, geheiligten Gebrauche widersetzen würde. Gleich einem Lavastrome stürzte sich das Volk auf das Blutgerüst. In einem Nu war alles Tuch abgerissen und in Fetzen umhergestreut. Bretter und Balken vermochten den starken Armen, den Beilschlägen nicht zu widerstehen. Das Gerüst schwankte, krachte, stürzte zusammen, so daß alsbald keine Spur mehr davon auf dem Markte zu sehen war.
Und Zbyszko, noch immer Danusia in den Armen haltend, kehrte zu dem Schlosse zurück – dieses Mal jedoch in der That wie ein siegreicher Triumphator. Denn ihm zur Seite schritten, strahlend vor Freude, die ersten Ritter des Königreiches, vor ihm und hinter ihm hunderte von Frauen, Männern und Kindern, rufend, singend, die Hände gegen Danusia ausstreckend, die Tapferkeit, die Schönheit preisend. An den Fenstern klatschten die reichen Bürgersfrauen mit ihren weißen Händen laut Beifall, in aller Augen glänzten Freudenthränen. Ein wahrer Regen von Rosen-und Lilienkränzen, ein wahrer Regen von Bändern, ja, sogar von vergoldeten Gürteln und netzartigen Hauben fiel zu den Füßen der seligen jungen Menschenkinder nieder. Zbyszko, strahlend wie die Sonne, das Herz überquellend von Dank, hob jeden Augenblick seine weiß gekleidete Herrin empor, zuweilen küßte er leidenschaftlich deren Hände. Und jedesmal bei diesem Anblick wurde die Menge derart gerührt, daß sich gar viele Liebende in die Arme fielen und sich gegenseitig beteuerten, sie würden sich auch befreien, so eines von ihnen zum Tode verurteilt wäre. Wie zwei geliebte Kinder wurden Zbyszko und Danusia von den Rittern, von den Bürgern, überhaupt von der ganzen Menge geleitet. Der alte Macko, der stets von zwei Rittern gestützt ward, kam fast von Sinnen vor Freude und wunderte sich nur darüber, daß ihm das Rettungsmittel für seinen Bruderssohn nicht in den Sinn gekommen war. Powala aus Taczew erzählte inmitten des allgemeinen Lärmes mit seiner mächtigen Stimme den Rittern, wieso man auf dieses Mittel gekommen sei, oder, richtiger gesagt, daß man sich bei der Beratung der Fürstin mit Stanislaw aus Skarbimierz und anderen Kundigen des geschriebenen und des üblichen Rechtes, der alten Sitte erinnert habe. Die Ritter staunten über die Einfachheit des Mittels und versicherten sich gegenseitig, daß gewiß deshalb keiner von ihnen an diesen Gebrauch gedacht habe, weil er in der von vielen Deutschen bewohnten Stadt lange nicht ausgeübt worden war.
Alles hing jedoch von dem Kastellan ab. Die Ritter und das Volk zogen daher weiter zum Schlosse, in welchem in der Abwesenheit des Königs der Krakauer Herr wohnte. Der Gerichtsschreiber, der Priester Stanislaw aus Skarbimierz, Zawisza Farurej, Zindram aus Maszkowice und Powala aus Taczew begaben sich zu ihm, um ihm über den Vorgang zu berichten, um ihn an seinen Ausspruch zu erinnern, er würde ohne weiteres den Verurteilten freisprechen, wenn er diese Handlungsweise durch ein Gesetz oder durch das übliche Recht begründen könne. Jetzt dürfe er Zbyszko begnadigen, erklärten die Bittstellenden, die altherkömmliche Sitte müsse berücksichtigt werden. Der Herr von Taczew antwortete darauf, diese Sitte sei zwar weit mehr für das gemeine Volk oder für die Räuber aus Podhale als für Edelleute geeignet, allein er hege zu viel Achtung vor dem Gesetze, als daß er die Macht der uralten Gebräuche nicht anerkennen sollte. Rasch bedeckte er hierauf mit der Rechten den silberweißen Bart, um das zufriedene Lächeln zu verbergen, das seine Lippen umspielte, und begab sich mit der Fürstin Anna Danuta auf die untere Terrasse. Einige Priester und Ritter folgten ihnen.
Als Zbyszko den Kastellan erblickte, hob er Danusia empor. Der Krakauer Herr legte seine runzlige Hand auf deren goldblondes Köpfchen, ließ sie eine Weile darauf