Voll Spannung lauschten die Hörer diesen Worten, viele aber, die nicht genau wußten, um was es sich handelte, wem Witold helfen, gegen wen der Krieg geführt werden solle, fingen zu fragen an: »Sagt uns erst, gegen wen der Krieg geführt werden soll.«
»Gegen Timur den Lahmen!« antwortete Macko.
Jetzt trat einen Augenblick Schweigen ein. Wohl hatten die Ritter aus dem Westen schon die Namen der Goldenen, der Blauen und der Assowischen Horden vernommen, aber was wußten sie von den tatarischen Angelegenheiten, von den Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Horden? Dagegen gab es kaum einen Menschen in Europa, der nichts von dem schrecklichen Timur dem Lahmen oder Tamerlan gehört hatte, dessen Namen mit nicht geringerem Schrecken genannt wurde wie seiner Zeit der Name Attilas. War doch Tamerlan der »Herr der Welt« und der »Herr der Zeiten« – ein Herrscher über siebenundzwanzig unterjochte Reiche, der Herrscher über das Moskauische Rußland, der Herrscher von Sibirien, der Herrscher von China und Indien, der über Ispahan, über Haleb und über Damaskus regierte, dessen mächtige Hand über die Arabische Wüste bis nach Aegypten reichte und über den Bosporus bis an das Griechische Kaiserreich – war doch Tamerlan – der Zerstörer des Menschengeschlechtes – der Erbauer ungeheurer Pyramiden aus Menschenschädeln – ein Sieger in allen Schlachten, der niemals besiegte »Herr über Seele und Körper«.
Als sich Tochtamysz, der von ihm auf den Thron der Goldenen und der Blauen Horde erhoben und als »Sohn« anerkannt worden war, seiner Macht bewußt, sich unabhängig zu machen gesucht hatte, wurde er durch eine einzige Handbewegung des schrecklichen »Vaters« vom Throne gestürzt, und hatte sich, um Hilfe flehend, zu dem litauischen Statthalter geflüchtet. Witold beabsichtigte auch, ihm wieder zu dem Throne zu verhelfen; um dies zu ermöglichen, war es indessen vor allem nötig, sich mit dem weltbeherrschenden Lahmen zu messen.
Das war auch der Grund, weshalb sich alle so sehr für den geplanten Kriegszug interessierten, und nach kurzem Schweigen sagte einer der ältesten Ritter, Kazko aus Jaglow: »Ei, wir werden nicht mit dem ersten besten zu thun bekommen.«
»Und doch kommt bei uns nicht viel heraus,« bemerkte in weisem Tone Mikolaj aus Dlugolas, »denn ist es für uns nicht gleichgiltig, ob am Ende der Welt ein Tochtamisz oder irgend ein Kutluk über die Söhne des Belial herrschen wird?«
»Tochtamisz würde sicherlich Christ werden,« antwortete Macko.
»Das ist noch fraglich. Kann man denn den Hundsseelen trauen, die nicht an Christus glauben?«
»Um des Namens Christi willen lohnt es sich indessen schon zu sterben,« sagte Powala.
»Und der Ritterehre wegen,« fügte ein anderer Ritter hinzu; »ich kenne gar manche unter uns, die mitziehen werden. Herr Zbytko aus Mielsztyn hat eine junge und vielgeliebte Frau, und ist doch schon zu Witold gegangen.«
»Daran ist gar nichts Wunderbares,« bemerkte nun Jasko Naszam. »Denn wenn einer auch die größte Sünde auf dem Gewissen hat, so ist doch der Ablaß sicher vor einem solchen Kriege und somit die Rettung jedes Sünders.«
»Geschweige des Ruhmes in der Ewigkeit,« ergriff Powala aus Taczew wieder das Wort. »Mir soll es recht sein, wenn der Kriegszug ausgeführt wird, denn, in der That, es ist nicht der erste beste, gegen den wir ziehen werden. Timur besiegte die ganze Welt und herrscht über siebenundzwanzig Königreiche. Welch ein Lob wäre es für unser Volk, wenn wir seine Macht vernichten würden.«
»Das will ich meinen!« rief einer der Ritter. »Wenn er auch hundert Königreiche besäße, wir fürchteten ihn nicht. Mögen dies andere thun! Ihr könnt mir glauben, wenn wir nur zehntausend Bogenschützen zusammenbringen, können wir es mit der ganzen Welt aufnehmen.«
»Welches Volk soll denn den Lahmen besiegen, wenn nicht das unsrige!«
So sprachen die Ritter untereinander, und Zbyszko war jetzt ganz verwundert darüber, daß ihn niemals zuvor die Lust angewandelt hatte, mit Witold in die wilden Steppen zu ziehen. Als er in Wilna gewesen war, da hatte er sich darnach gesehnt, Krakau mit seinem königlichen Hofe zu sehen und an den ritterlichen Spielen teilzunehmen, jetzt aber dünkte es ihn, er könne dabei wenig Ruhm gewinnen. Ihm drohte außerdem ein strenger Urteilsspruch, bei Witold hätte er dagegen vielleicht einen ruhmreichen Tod gefunden.
Da mit einemmale ließ der vor Alter mit dem Kopfe zitternde, hundertjährige Kazko aus Jaklow, der jedoch nicht mehr immer Herr seiner Sinne war, sich also vernehmen: »Was überlegt Ihr lange? Ihr seid wirklich thöricht. Hat denn keiner von Euch gehört, daß die Königin ein Wunder erlebte, daß das Bild Christi zu ihr gesprochen hat? Und wenn selbst der Erlöser sich zu solchen Vertraulichkeiten herbeiläßt, weshalb sollte ihr der heilige Geist, die dritte Person der Dreieinigkeit, nicht gewogen sein? Der heilige Geist aber hat ihr die Gabe verliehen, in die Zukunft zu sehen und alles gerade so im voraus zu bestimmen, als ob es vor ihr stattfände. Und die Königin hat sich also vernehmen lassen …«
Hier hielt der Hochbetagte plötzlich inne, griff sich an die Stirn und fuhr dann fort: »Ja, ja, ich vergaß, was sie sagte, aber ich werde mich dessen bald wieder erinnern …«
Mit sichtlicher Anstrengung begann er zu überlegen, die andern aber warteten andächtig, denn es war allgemein die Ansicht verbreitet, daß die Königin die Zukunft voraussehen könne.
»Ja, ja,« bemerkte er endlich, »jetzt habe ich es! Die Königin erklärte, daß wenn alle Ritter samt und sonders mit dem Fürsten Witold gegen den Lahmen auszögen, die heidnische Macht zerstört würde. Man könne aber nicht alle Ritter entbehren wegen der Verderbtheit der christlichen Fürsten. Es sei nötig, die Grenzen zu schützen vor den Böhmen, vor den Ungarn und vor den Kreuzrittern, denn man dürfe niemand trauen. So aber nur ein Teil der Polen mit Witold auszieht, wird ihn Tamerlan oder einer von dessen Heerführern besiegen, da der Lahme über eine ungeheure Heeresmacht verfügt.«
»Jetzt herrscht aber doch Frieden an den Grenzen,« bemerkte einer der Ritter, »und der Orden selbst will dem Witold Heeresfolge leisten. Die Kreuzritter müssen dies ja thun, denn erstens wäre es eine Schmach für sie, wenn sie anders handelten, und zweitens liegt ihnen auch daran, dem heiligen Vater zu beweisen, daß sie zum Kampfe gegen die Heiden bereit sind. Wie allgemein behauptet wird, soll ja Kuno von Lichtenstein nicht nur der Taufe wegen, sondern auch um dieser Beratungen willen, hier weilen.«
»Da ist er!« rief plötzlich Macko aus.
»Fürwahr er ist’s!« stimmte Powala, sich umschauend, bei, »fürwahr er ist’s. Er weilte nur kurz bei dem Abte in Tyniec.«
»Es hat ihm wohl keine Ruhe dort gelassen,« bemerkte Macko finster.
Mittlerweile kam Kuno von Lichtenstein an den Sprechenden vorüber. Er erkannte jedoch weder Macko noch Zbyszko, da er sie zuvor bloß im Helme gesehen hatte, der selbst beim offenen Visiere nur einen kleinen Teil des Gesichtes freiließ. Im Vorbeigehen nickte der Kreuzritter dem Powala aus Taczew zu, um dann, von seinen Pagen gefolgt, die Treppen des Domes mit langsamen, majestätischen Schritten zu ersteigen.
Den Beginn der Messe verkündigend, ertönten nun laut die Glocken, deren Klang eine Schar von Dohlen und Tauben emporscheuchte, die in den Türmen nisteten. Macko und Zbyszko traten gemeinsam mit den andern in die Kirche, beide nicht wenig beunruhigt durch die rasche Wiederkehr Lichtensteins.
Doch während der ältere Edelmann seine Erregung nur schwer bemeistern konnte, wurde die Aufmerksamkeit des jüngeren bald vollständig durch den königlichen Hof in Anspruch genommen. Nie im Leben hatte er etwas Glänzenderes als diese Kirche und diese Versammlung