Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788726482874
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geantwortet: „So gut reden kann ich nicht, aber ich werde etwas Besseres tun — etwas tun!“

      Endlich den Feind sehen, sich endlich rächen und zur Geltung bringen, endlich genießen!

      „Das schreit zum Himmel, liebe Mutter, der König von Frankreich nimmt dir alle deine Besitzungen fort, und seine Truppen unterwerfen unser Land. Ich will kämpfen! Fragst du noch für wen? Für dich!“

      „Den Brief an das Gericht in Bordeaux hat meine gute Freundin Katharina sich ausgedacht; es soll mich aller meiner Besitzungen verlustig erklären. Ich werde hier gefangengehalten, behauptet sie — als ob sie selbst das nicht vorhätte mit mir! Nein, dies ist eine Zuflucht und kein Kerker, wenn ich auch die Stadt nicht verlassen kann und verzichten muß auf den Genuß aller meiner Güter. Das Opfer sei Gott gebracht! Ja! Geh und besiege seine Feinde! Für ihn kämpfe!“

      Hierbei faßte sie sein Gesicht in ihre beiden abgezehrten Hände. Es hatte Formen und Züge gleich den ihren; seine hohen schmalen Brauen, sanften Augen, klare Stirn, die dunkelblonden Haare, der feste kleine Mund, diese ganze magere Jugendlichkeit ahmte, von der anderen Seite des Lebens her, ihren Verfall nach. Aber er war gesund und wohlgeformt, seine Schultern und die Brust entwickelten sich, obwohl er nicht hoch zu wachsen schien. Seine Nase war zu lang, vorläufig senkte sich die Spitze nur wenig.

      „Ich lasse dich fröhlich ziehen“, erklärte Jeanne mit der tiefen, klangreichen Stimme, die sie bekam, wenn sie über sich selbst hinausging. Erst als er fort, ganz fort war, er laubte sie sich, heimlich zu weinen, in Tönen wie ein Kind.

      Nicht viele weinten öffentlich in der Stadt La Rochelle, als das Heer der Hugenotten aus dem Tor zog. Sie freuten sich, weil die Stunde Gottes und seines Sieges nahe war. Die meisten Männer hatten ihre Lieben in der Ferne, waren ihnen entrissen und hofften fest, sie zurückzuerobern. Das ist eine Erlösung, in einen solchen Krieg zu ziehen!

      Nun kam es aber, daß die von der Religion geschlagen wurden. Zwei schwere Niederlagen brachte das katholische Heer ihnen bei, und dies, obwohl sie an Zahl nicht schwächer waren; auf jeder Seite standen dreißigtausend. Die Protestanten bekamen Zuzug aus dem Norden wie aus dem Süden Frankreichs. Sie durften ferner hoffen auf die Prinzen von Orange und Nassau und auf den Herzog von Zweibrücken. Der Glaube kannte keine Grenzen von Land und Sprache, und wer für die Wahrheit ist, der ist mein Bruder und Freund. Trotzdem wurden sie zweimal schwer besiegt.

      Es kam, weil Coligny zu langsam war. Er hätte viel stürmischer seinen fremden Verbündeten entgegenrücken müssen, um den Krieg ins Innere Frankreichs zu tragen. Statt dessen ließ er sich vom Feind schon überraschen, als er noch gar nicht weit gekommen war, rief Condé zu Hilfe und opferte den Prinzen vom Geblüt, damit nur das Heer entkam. Bei Jarnac, durch einen Schuß aus dem Hinterhalt, fiel Condé. Die Freude war groß in der Armee des Herzogs von d’Anjou, der Leichnam wurde auf einer Eselin umhergeführt, damit alle Soldaten ihn sähen und die Ausrottung aller Protestanten für nahe hielten. Besser begriff Henri von Navarra, der Neffe des Toten, was Gott vorhatte. Jetzt kam er selbst dran, er wurde ein Führer.

      Er hatte bisher zu Pferd gesessen, sonst nichts, aber es war viel. Dem Feind entgegenreiten, völlig schuldlos, rein und neu, während jener voller Sünden ist und bestraft werden soll. Das ist seine Sache, um so schlimmer für ihn, wir sind den ganzen Tag, fünfzehn Stunden, in Bewegung, ohne abzusitzen, herrlich, unermüdlich, und fühlen den Körper nicht. Der Wind nahm ihn auf, er flog, die Augen wurden immer heller und schärfer, er sah so weit wie nie vorher, weil er jetzt einen Feind hatte. Aber der war plötzlich nicht mehr nur im Wind und in der Ferne. Er kündete sich an, eine Kugel kam geflogen. Der Nachhall des Schusses ist schwach, die Kugel aber liegt wirklich am Boden, schwer und aus Stein.

      Am Beginn jedes Gefechtes hatte Henri Furcht, er mußte sich damit abfinden. „Wenn wir keine Furcht kennten“, sagte ihm ein Pastor, „könnten wir sie auch nicht überwinden zur Ehre Gottes.“ Henri beherrschte seine Erregung und stellte sich auf denselben Platz, wo der erste gefallen war. Das hatte auch sein Vater Antoine getan und war getroffen worden. Ihn traf keine Kugel, seine Furcht war fort, und er ritt mit den Seinen, um die feindliche Artillerie zu umgehen. Wenn es gelang, das waren noch Streiche!

      Jetzt war sein Onkel Condé nicht mehr da, dem unbesorgten Jungen wurde auf einmal Ernst und Verantwortung aufgeladen. Seine Mutter Jeanne eilte herbei, sie selbst stellte ihn den Truppen als Führer vor, der Kavallerie zuerst und dann der Infanterie. Henri schwur bei seiner Seele, seiner Ehre und seinem Leben, er werde die gute Sache nie verlassen, und ihm wurde zugejubelt. Dafür mußte er, anstatt nur durch den Wind zu reiten, auch im Rat sitzen. Das wäre ermüdend gewesen, wenn es nicht die guten Witze gegeben hätte. Ein Brief an den Herzog von d’Anjou machte ihm viel Vergnügen. So hieß jetzt der zweite noch lebende Sohn Katharinas, früher nur Monsieur genannt, auch ein Henri, einer der drei Henris aus der Schulzeit in Paris. Jetzt standen sie gegeneinander im Feld.

      Dieser Henri hatte ihm hochmütig und belehrend geschrieben über seine Pflicht und Schuldigkeit gegen das Königreich. Das wäre noch hingegangen, aber der gesuchte Ton — entweder ein Sekretär, der ein Fremder sein muß, hat das mühselig stilisiert, oder Henri Monsieur, wenn er es selbst ist, weiß sich nicht mehr zu lassen vor lauter Geziertheit und Überzüchtung, wie seine Schwester Margot! Der Prinz von, Navarra verhöhnte in seiner Antwort die ganze feine Familie. Der Schreiber hätte sich ausgedrückt wie ein Ausländer, die landläufige Sprache des gemeinen Mannes kennte er nicht. Na, und die gute Sache ist doch natürlich dort, wo man richtig französisch spricht!

      Henri berief sich auf die Sprache und den Stil. Damit verriet er etwas, das ihm nicht bewußt wurde: er selbst kam von anderswo, und seine ersten Laute waren nicht ganz diese gewesen. Inzwischen hatte er die Redeweise des Hofes, der Schule, endlich aber die der Soldaten und des Volkes erlernt, und das war seine liebste. „Das Französische ist die Sprache meiner Wahl“, sollte er später ausrufen, als er schon wieder wußte, wie es um ihn stand. Jetzt wollte er vielmehr glauben, daß es seine erste und einzige gewesen wäre. Er schlief mit seinen Leuten im Heu, wenn es grade so kam, zog auch die Kleider nicht aus, wusch sich nicht viel öfter als sie, roch und fluchte wie sie. Einen gewissen Vokal bildete er noch immer anders als sie, aber das wollte er nicht merken, hatte auch vergessen, wie damals auf dem Schulhof die beiden anderen Henris sich anstießen und ihn belächelten, weil er dem Wort Löffel einen falschen Artikel heigab. Noch immer gebrauchte er den falschen.

      Manchmal erkannte er klar die Fehler in der Kriegführung, die Coligny machte. Das war, wenn die Lust zu leben und zu reiten den Jungen nicht völlig hinriß. Gewöhnlich schien es ihm wichtiger, sich zu schlagen, als die Schlacht zu gewinnen, denn lang und fröhlich war das Lehen. Vor dem Admiral, einem alten Mann, mußte man Ehrfurcht haben, denn er hatte den Krieg erlernt; und erst die Niederlagen, die Siege und die Jahre, alles zusammen ergibt das Wissen. Dem Kriegsgott in Person, mit der Maske eines tragischen Denkmals, vertraute Henri keine Zweifel an, besprach sie nur mit seinem Vetter Condé, dem Sohn des gefallenen Prinzen vom Geblüt, den Coligny geopfert hatte.

      Sie waren einig in dem Punkt, der allein die Jugend zusammenführt: der Alte hat seine Zeit gehabt. Ihm gelingt nichts mehr — und wenn wir es schon besprechen: was ist ihm im Grunde jemals zum Vorteil ausgeschlagen? Versündigen wir uns nicht! Er hat Frankreich, wie alle Alten sich erinnern, gerettet einst in Flandern — wie hieß die Stadt? Die Guise hatten den Krieg damals gewollt gegen Philipp von Spanien, unseren angestammten Feind. Es sind alte Geschichten, vor unserer Zeit geschehen, wer kennt sie noch genau? Der Herr Admiral hatte abgeraten von dem Feldzug, im letzten Augenblick verhütete er dann die Niederlage, persönlich schloß er sich in die unbefestigte Stadt ein; aber wer wird belohnt? Nicht er, sondern die Guise, die Schuldigen an dem Krieg. Das ist noch schlimmer, als wenn er jenen Platz — ah! Saint Quentin hieß das Nest — lieber gleich den Spaniern übergeben hätte. Wer keinen Erfolg hat —

      Was wahr ist, soll es bleiben: er nahm zu seiner Zeit Boulogne den Engländern fort. Das weiß man noch. Er hat eine französische Flotte befehligt, und als ich von den Steinen in La Rochelle hinüberblickte nach der Neuen Welt, mußte ich denken, daß als erster von allen Franzosen Herr Admiral Coligny es unternommen hatte, eine französische Kolonie zu gründen. Vierzehn Emigranten mit zwei Pastoren segelten nach Brasilien, und natürlich wurde nichts