Regina sah mich nur an.
»Hab ich?«
»Nein. Hast noch nie die Hand gegen mich erhoben. So nich.«
»Was soll das heißen?«
»Du schlägst mich nich. Wär aber auch egal, denn ich würd dich abknallen und wär wie der Blitz raus zur Tür, wenn du dich auch bloß einmal an mir oder meiner Tochter vergreifen tätst.« Der Trotz war wieder da. Das war besser als ihr Schmerz. »Du schlägst mich nich, aber du machst andere Sachen, genauso schlimme.«
»Zum Beispiel?«
Regina sah auf meine Hände. Ich blickte auch hinunter und sah geballte Fäuste.
»Heute Nacht«, sagte sie. »Wie nennste das?«
»Nenn ich was?«
»Was du mit mir gemacht hast. Ich hab nix von dir gewollt. Aber du hast mich gezwungen. Du hast mich vergewaltigt.«
»Vergewaltigt?« Ich lachte. »Ein Mann kann doch seine eigene Frau nich vergewaltigen.«
Mein Lachen erstarb, als ich die zornigen Tränen in Reginas Augen sah.
Edna starrte ihre Mutter mit großen Augen an, fragte sich, wer diese neue Mutter war.
»Und das is noch nich alles, Easy. Ich hab unsere Tochter nach ihrer Urgroßmutter Pontella nennen wolln. Aber wegen dir ham wir se Edna nennen müssen. Du hast gesagt, es is bloß, weil dir der Name gefällt, aber ich weiß, du hast se nach der Frau genannt, die mit deinem verrückten Freund verheiratet war.«
Sie meinte EttaMae.
Sie hatte recht.
»Ich will bloß wissen«, sagte ich, »ob du die sechshundert Dollar willst. Ich will se ja beschaffen, aber du musst mich drum bitten.«
Regina hob ihr schönes schwarzes Gesicht und sah mich an. Nach einer Weile nickte sie; es war eine kleine, undankbare Geste.
Und ein leerer Sieg für mich. Ich wollte, dass sie glücklich war, weil ich ihr helfen konnte, wenn sie es brauchte. Aber was sie brauchte, war etwas, was ich ihr nicht geben konnte.
7
An den nächsten Abenden machte ich mich rar. Ich ging in verschiedene Bars, trank fast bis elf und kam dann nach Hause. Bis dahin waren alle im Bett. Ich konnte etwas leichter atmen, wenn mir niemand Fragen stellte.
Nie, in meinem ganzen Leben, war jemand in der Lage gewesen, etwas über mein Privatleben zu erfahren. Es war oft vorgekommen, dass ich lieber Zähne eingebüßt als bei einem Polizeiverhör geantwortet hatte. Und hier war ich mit Reginas Schweigen und ihrem Misstrauen.
Nachts träumte ich von sinkenden Schiffen und abstürzenden Fahrstühlen.
Es wurde so schlimm, dass ich in der dritten Nacht überhaupt nicht schlafen konnte.
Ich hörte jedes Geräusch im Haus und den Frühverkehr auf der Central Avenue. Um halb sieben stand Regina auf. Einen Augenblick später schrie Edna von fern, dann lachte sie.
Um sieben kam der Babysitter, Reginas Cousine Gabby Lee. Sie gab laute Geräusche von sich, die Edna mochte und die mich immer weckten.
»Uuuu-ga-wa!«, rief die kräftige Frau. »Uuugi, uugi, uugi, wa, wa, wa!«
Edna quietschte wild vor Vergnügen.
Um Viertel nach sieben schlug die Haustür zu. Das war Regina, die zu ihrem kleinen Studebaker ging. Ich hörte, wie der blecherne Motor ansprang und das Auto stotterte, als sie abfuhr.
Gabby Lee war mit Edna im Bad. Aus einem unerfindlichen Grund meinte sie, Babywindeln müssten im Bad gewechselt werden. Vermutlich war das ihre Vorstellung von früher Sauberkeitserziehung.
Als sie herauskam, sagte ich: »Guten Morgen.«
Gabby Lee war eine massige Frau. Eigentlich nicht besonders dick, aber fassförmig und hellhäutiger als die meisten Weißen, die man je zu Gesicht bekommt. Sie hatte drahtiges erdbeerrotes Haar und eindeutig negroide Gesichtszüge. Ihr Lächeln war anderen Frauen und kleinen Kindern vorbehalten.
»Biste heute hier?«, fragte sie mich – den Mann, der ihren Lohn bezahlte.
»Es is mein Haus, oder?«
»Zuckerpüppchen« – das war einer ihrer Spitznamen für Regina – »will, dass ich heut mal sauber mache. Wenn de hier bist, biste mir bloß im Weg.«
»Es is mein Haus, oder?«
Gabby Lee räusperte sich und knurrte.
Ich ging um sie herum, um im Bad mal eben auszutreten. Im Waschbecken dampfte eine schmutzige Windel.
Die Zeitung auf der Veranda war zusammengerollt, gehalten von einem dünnen blauen Gummiband. Ich holte sie und machte Kaffee mit der alten Maschine, die ich 1945 drei Tage nach meiner Entlassung vom Militär gekauft hatte.
Jesus gab mir einen Gutenmorgenkuss. Er hatte seine Schultasche dabei und trug Tennisschuhe, Jeans und ein hellbraunes kurzärmeliges Hemd.
»Sei heut brav und lern fleißig«, sagte ich.
Er nickte heftig und grinste wie ein Kandidat für ein politisches Amt. Dann lief er zur Tür hinaus und rannte zur Straße.
Er war nie ein guter Schüler gewesen. Aber nach dem fünften Schuljahr hatten sie ihn in eine Sonderklasse gesteckt. Eine Klasse für Kinder mit Lernproblemen. Seine Klassenkameraden reichten von jugendlichen Delinquenten bis zu leicht Zurückgebliebenen. Aber seine Lehrerin, Keesha Jones, kümmerte sich besonders darum, dass Jesus las. Er saß fast immer bis spät in die Nacht mit einem Buch im Bett.
Ich goss mir eine Tasse Kaffee ein und setzte mich an den Frühstückstisch, in der Absicht, mir darüber klar zu werden, was ich wegen Regina tun sollte. Wer weiß, vielleicht wäre auch etwas dabei herausgekommen, wenn nicht die Schlagzeile des Los Angeles Examiner gewesen wäre.
FRAUENMORD
VIERTES OPFER
KILLER MACHT SOUTHLAND UNSICHER
Robin Garnett war zum letzten Mal in der Nähe von einem Thrifty’s Drugstore gesehen worden, nicht weit entfernt vom Avalon Boulevard. Sie sprach mit einem Mann, der einen Trenchcoat mit hochgeschlagenem Kragen und einen breitkrempigen Stetson trug. Der Artikel berichtete, wie sie später in einem kleinen Schuppen auf einem leer stehenden Grundstück vier Blocks davon entfernt aufgefunden worden war. Sie war zusammengeschlagen und möglicherweise vergewaltigt worden. Sie war völlig entstellt, aber der Artikel führte nicht aus, in welcher Weise. Außerdem erklärte sich im Folgenden von selbst, warum dieser Mord eine Nachricht für die Titelseite war, während die vorigen drei Morde Kurzmeldungen gewesen waren – Robin Garnett war eine Weiße.
Ich konnte in Erfahrung bringen, dass Robin eine Studentin an der University of Los Angeles gewesen war, bei ihren Eltern wohnte und die Highschool von L.A. besucht hatte. Was der Artikel verschwieg, war, was sie überhaupt in dieser Gegend zu suchen hatte.
Ich zündete eine Camel an und trank meinen Kaffee. Ich machte die Fensterläden auf, damit ich sie kommen sehen konnte.
Gegen neun trat Gabby Lee aus dem Schlafzimmer, mit Edna, die für den Park völlig eingemummelt war. Ich streckte die Arme aus, und Edna schrie vor Vergnügen. Sie langte nach mir, aber Gabby Lee hielt sie fest.
»Bring mir meine Kleine«, sagte ich schlicht.
Ich hielt Edna fest, sie meine Nase. Wir brabbelten miteinander und lachten und lachten.
»Wir müssen weg«, sagte Gabby Lee nach einer Weile.
»Ich hab gedacht, du sollst sauber machen?«
»Dazu