Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788726482881
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      ,Ich muß meine Schlacht haben‘, dachte Henri, kaum daß die Gesandten Venedigs abgereist waren; eigentlich aber hatte er schon bei ihrem ruhmreichen Erscheinen so zu sich gesprochen. Gerade der unheimliche Ruhm machte ihm seine Lage klar. Er war noch immer ein König ohne Krone, dem seine Hauptstadt fehlt. Ein Feldherr seinesgleichen hat kein Geld, und damit sein Heer ihm nicht auseinander läuft, muß er möglichst oft eine Stadt erobern: diese zahlt für ihn. Es sind die Städte seines Königreiches; eine schwere Sache, der Vater des Vaterlandes und recht volkstümlich zu bleiben, während er im Umherziehen seine Feinde unterwirft und Abgaben eintreibt. Keine Woche seit dem festlichen Märchen von Tours, da war er wie vorher mitten im harten Leben.

      Er reinigte sowohl die Touraine wie die nächsten Provinzen vom Feind und drang in die Normandie ein — hatte dort aber schon gestanden, als er bei Arques den Sieg errang. Wohin war der Sieg gekommen? Die eroberten Plätze, die er hinter sich gelassen hatte, waren inzwischen abgefallen. Sein Feind, das war kein Mensch wie er: eine Hydra mit vielen Köpfen war es. ,Du schlägst sieben ab, acht wachsen nach. So geht es mir mit der Liga. Straßenweise bekehren sich meine Untertanen zu mir, wenn ich in ihrem Nest der Herr hin. Wollen nie gegen mich die Waffen getragen haben — obwohl ich nur ihren Garten müßte umgraben lassen, dort liegen die Musketen. Alles das wäre unterhaltend, ich wäre gemacht, in dieser Art das Leben zu verbringen. Und wenn ich in Wirklichkeit nicht dafür gemacht bin, sondern für Größeres, so tu ich doch klug, davon zu schweigen.‘

      „Meine Gesundheit ist so gut wie noch nie“, erklärte er jedem in diesem Winter bei häufigem Schneefall und dem Nächtigen auf gefrorenem Erdboden. „Auch mein Heer hat keine Krankheiten, und es wird immer größer, da allein dies Nest mir sechzigtausend Taler zahlt. Wetten, das nächste am Wege ergibt sich bis Donnerstag!“

      Wirklich schloß er mit der Stadt Honfleur einen solchen Vertrag. Waren Mayenne oder sein Sohn Nemours bis Donnerstag nicht zur Stelle, dann sollte das Tor ihm geöffnet werden, und richtig, so kam es. Der Führer Mayenne ließ seine Liga eine Liga sein und ruhte sich in Paris aus, „wo auch ich es mir einmal so sanft tun werde“, äußerte Henri zuversichtlich. Für sich dachte er: ,Ich muß meine Schlacht haben.‘ Er erwog dies abwechselnd wie einen fröhlichen Streich — oder auch wie die Entscheidung seines Lebens.

      In seinem Gepäck führte er ein seltenes Stück mit eine Weckuhr, die er sorgfältig stellte. Mit Schlafen verging ihm weniger Zeit als dem dicken Mayenne bei Tisch. Eine Neuigkeit für seine gute Natur: zuweilen versäumte er sogar die wenigen Stunden. Aufgestützt sann er. ,Ich muß meine Schlacht haben — und nicht wie sonst, als ich sie gewinnen oder verlieren konnte. Ich darf sie nicht verlieren, darf diese nicht verlieren: dann wär es aus. Mich beobachten nachgerade zu viele, die Welt sieht mir zu, meine Verbündeten, die mir vor der Zeit gehuldigt haben, aber besonders der König von Spanien, der dies Königreich begehrt. Würde es auch haben, sobald ich nicht mehr da wäre. Wer sollte ihn noch hindern. Dies Volk streitet sich um seine Religion. Hätten nur alle die wahre, dann könnte sogar Don Philipp ihnen nicht an. Indessen was weiß ich, jeder hat die seine, ich bin Hugenott und lieg auf hart gefrorener Erde. Soll Don Philipp kommen, soll er mit viel Macht anrücken — all eins, ob meine Religion die rechte ist, hier gilt nicht das Bekenntnis, es geht um das Königreich, das in jedem Fall von Gott ist. Diese Sache spielt zwischen mir und Gott‘ — wurde dem König leuchtend klar, in einer ganz finsteren Nacht, indessen unter dem Zelt eine Ölfunzel knisterte und erlosch.

      Der Wecker schlug an, der König stand auf und rief nach seinen Offizieren. An diesem Tag war viel zu tun und lange zu reiten. Ein Wassergraben mußte trockengelegt werden, damit die Belagerer bis unter die Mauer der Festung vordrängen. Dies vollbracht, wurde hin und her geschossen, bis der frühe Abend fiel. Henri war zu Pferd schon unterwegs wegen anderer Arbeiten im weiten Umkreis. Sehr hungrig, erreichte er um die Zeit des Nachtessens die Stadt Alençon und begab sich mit wenig Begleitung nach dem Hause eines ergebenen Hauptmannes, fand ihn indessen nicht vor. Der Frau war der König unbekannt, sie hielt ihn für einen der königlichen Heerführer und empfing ihn nach Gebühr, wenn auch mit merklicher Verlegenheit.

      „Fall ich Ihnen lästig, meine Dame? Reden Sie frei weg, ich will keine Umstände machen.“

      „Mein Herr, dann sag ich es lieber gleich. Heute ist Donnerstag; ich hab in der ganzen Stadt umhergeschickt: nichts aufzutreiben, ich bin einfach verzweifelt. Nur ein braver Handwerker hier nebenan sagt, er hab am Haken eine fette Pute hängen; will sie aber durchaus nicht anders hergeben, als wenn er mitessen darf.“

      „Ist er denn in Gesellschaft zu brauchen?“

      „Ja, mein Herr, in unserem Viertel macht keiner soviel Witze. Sonst ein anständiger Mann, Feuer und Flamme für den König, und sein Geschäft geht ganz gut.“

      „Dann lassen Sie ihn nur kommen, liebe Dame. Ich habe wirklich Appetit; und wenn er auch langweilig wäre, lieber eß ich mit ihm, als gar nicht.“

      Hierauf wurde der Handwerker geholt und erschien in seinem Sonntagsrock mit der Pute. Während nun diese briet, unterhielt er den König, schien ihn aber gleichfalls nicht zu kennen: sonst hätte er schwerlich mit dieser Unbefangenheit dahergeredet, Nachbarsklatsch, Einfälle, Scherze, alles so gut, daß Henri für die Weile den Hunger vergaß. Alsbald verfiel er selbst in den Ton seines Gesellschafters — ohne Absicht, und merkte es nicht einmal. Keine schwere Sache, der Vater des Vaterlandes und recht volkstümlich zu bleiben, während er doch Untertanen zum Gehorsam zwingt und Abgaben eintreibt. Das ganze Geheimnis ist sein gutes Gewissen, wegen des ehrlichen Geschäftes, das er betreibt. Ohne Umschweife und List seine Landsleute zur Vernunft bringen und dies Königreich retten. Dessen gedenkt er im Grunde fortwährend, im Schlaf und auch beim munteren Gespräch. Der ordentliche Handwerker ihm gegenüber erzählt, vergißt aber gleichfalls seine Werkstatt nicht.

      Der König denkt: ,Ich muß meine Schlacht haben. Jetzt ist sie nicht mehr weit. Ich habe genug feste Plätze eingenommen, daß den Dicken die Ruhe verläßt. Mein Vetter Marschall Biron macht seinerseits der Liga viel Verdruß, und alle unsere Erfolge laß ich der Königin von England melden. Jetzt wollen wir die Stadt Dreux belagern: das wird Mayenne nicht mit ansehen können, er muß herbeirücken und sich zum Kampf stellen. Auch die Spanier werden es von ihm verlangen. Wozu sonst hätte er ihre Hilfstruppen, die ersten, die Philipp der Liga gewährt. Kommen aus den Niederlanden, vom Gouverneur, Farnese. Und ihn selbst sollt ich nicht zu sehen kriegen, den großen Strategen und berühmtesten Künstler des Krieges? Möchte wissen, was er von mir sagt, Farnese.‘

      Bei diesem Namen mußte Henri vom Sitz auf. Der Handwerker behielt den Mund offen. Henri wiederholte ihm aber richtig, was er erzählt hatte. „Als der Handschuhmacher den gewaltigen Hufschmied bei seiner Frau fand, da streckte er versöhnlich die Hand hin und sprach: ,Von dir, Freund, kann ich es nicht glauben.‘“ Henri lachte. „Gevatter! Das ist komisch.“

      „Sehr komisch, Gevatter!“ wiederholte der gute Mann und war über das stürmische Benehmen seines Genossen beruhigt. In diesem Augenblick rief die Hausfrau ihre Gäste zu Tisch. Selbdritt verzehrten sie das große Geflügel, aber die Hausfrau und der Handwerker hielten sich zurück, der Gast bekam das meiste, und so reichlich er aß, soviel lachte er über die Geschichten seines Nachbarn, davon wurde dieser immer besserer Laune. Daher war es erstaunlich anzusehen, wie er nach dem letzten Glase, als man aufstehen sollte, das runde Gesicht ganz lang zog und furchtsam die Augen schloß. Der König hätte auch das für einen Spaß gehalten, da lag ihm aber der Mann zu Füßen und bat: „Verzeiht, o Herr, verzeiht! Dies ist der schönste Tag meines Lebens gewesen. Ich kannte Eure Majestät, ich hab gedient und bei Arques gekämpft für meinen König; hab meine Lust gebüßt, an Ihrem Tisch zu sitzen. Vergebung nochmals, Sire, ich mußte mich dumm stellen, damit Sie über meine Scherze ein bißchen lachten. Jetzt ist das Unglück geschehen, ein Knecht wie ich hat mit Ihnen zu Abend gegessen.“

      „Was machen wir nur dabei?“ fragte der König.

      „Ich sehe ein einziges Mittel.“

      „Nun?“

      „Sie müssen mich in den Adelsstand erheben.“

      „Dich?“

      „Warum