Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788726482881
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von Wuchs. Dennoch bemerkte ich sie gleich. Aber glücklicherweise habe ich sie erst bekommen, als sie schon ausgereift war.“

      „Ah! Ihre Schwester.“ Der König wollte sich weiter entsinnen. „Wie heißt sie?“

      „Es sind sechs Schwestern. Aber Eure Majestät meinen die ältere, Diana. Sie hatte zuerst den Herzog von Epernon.“

      Der König hätte fast gesagt: Und alle sechs mit der Alten müssen ein Regiment gehabt haben. Er rief sich auch ins Gedächtnis, daß sie zusammen die sieben Todsünden gonannt wurden. Er äußerte statt dessen:

      „Eine schöne Familie, in die du kommst, Feuillemorte. Wirst du deine Gabriele heiraten?“

      Der Herzog von Bellegarde erklärte voll Stolz: „Eine ihrer Ahnen mütterlicherseits wurde von Franz dem Ersten, Clemens dem Sechsten und Karl dem Fünften ausgezeichnet. Es liebten sie nacheinander ein König, ein Papst und ein Kaiser.“

      Der König verließ indessen die galanten Damen, von denen die Geliebte seines Großstallmeisters sich herschrieb. Der Name des Herzogs von Epernon war gefallen, ein Name, beschwert mit alten Kämpfen, die keineswegs beigelegt waren. Alle Sorgen seines Königreiches ergriffen den König, da ließ er sein Pferd im Schritt gehen trotz großer Ungeduld seines Begleiters und sprach von seinen Feinden. Sie hatten das Königreich unter sich aufgeteilt, und jeder in seiner Provinz spielte den selbständigen Fürsten, der sich einem ketzerischen König nicht unterwirft. Sogar ein Epernon, er hat angefangen als Lieblingsjunge des vorigen Königs! Sogar der darf den Vorwand der Religion gebrauchen. Laut sagte er: „Bellegarde, du aber bist katholisch und mein Freund, sag mir, ob ich denn wirklich den gefährlichen Sprung tun muß.“

      Der Edelmann verstand den König; er antwortete: „Sire! Sie haben bestimmt nicht nötig, die Religion zu wechseln. Wir dienen Ihnen, wie Sie sind.“

      „Wenn das wahr wäre“, murmelte der König.

      „Und Sie sollen meine Geliebte sehen“, rief sein Begleiter in heller Freude. Der König erhob die Stirn. Jenseits eines waldigen Tales und rauschenden Gewässers, über Hügel, über Wellen bunten Laubes, in Wipfeln und Himmelsbläue schwebte das Schloß. So scheinen sie oft von Ferne wie aus Luft gebildet, bevor wir sie dann kennenlernen, und ihre Dächer blinken. Was erwartet uns? Sie sind bewehrt mit Graben und Mauern, oben mit Geschützen bestückt, aber Rosen ranken hinauf. Was erwartet uns in diesem? Die zehrende Unruhe wegen seiner Feinde und das Bangen vor seiner Bekehrung, beides machte den König empfänglich für Vorgefühle. Er hielt an, sagte, daß es spät würde, und wollte umkehren. Bellegarde verlegte sich aufs Bitten, begierig wie er war, von seinem Herrn gerühmt zu werden wegen seines unvergleichlichen Besitzes. Der König hörte von purpurnen Lippen, zwischen denen Perlen schimmern sollten; von Wangen wie Lilien und Rosen, aber hindurch drangen die Lilien, und ebenso weiß ist der ganze Körper, der Busen aus Marmor, die Arme gehören einer Göttin, die Beine einer Nymphe.

      Da ließ der König sich bewegen, und sie ritten denn hin.

      Das Schloß lag hinter Graben und Zugbrücke. Es hatte einen Haupttrakt und vorgeschobene Flügel, ein jeder mit seinem Türmchen in durchbrochener Bauart. Das Mittelgebäude bestand aus zwei Stockwerken, hohem Dach, offenem Säulengang, mächtigem Portal und verzierten Fensterrahmen. Ursprünglich rauh, jetzt elegant verschönt war das Schloß, und überall rankten Rosen, die letzten entblätterten sich noch.

      Der König wartete draußen, indessen sein Begleiter hineinging. Im Hintergrunde der Halle erhoben sich die beiden Arme einer gerundeten Treppe. Der Herzog de Bellegarde ging darunter weg in einen Saal, der grünes Licht empfing von dem jenseitigen Garten. Er kehrte wieder, neben sich eine dunkelhaarige junge Dame im gelben Kleid mit Rosenkränzen. Schnell und leicht kam sie dem Herzog zuvor und verneigte sich vor dem König. Aus der bescheidenen Stellung sah sie ihn schelmisch an. Die schmalen Augenspalten erteilten dem Herrn den Wink, die Bescheidenheit der hübschen Person nicht zu ernst zu nehmen, und das tat er nicht. Er sagte sogleich:

      „Sie besitzen so viele Vorzüge, Fräulein, daß Sie ganz gewiß dieselbe sind, um derentwillen der Großstallmeister hierher zu kommen pflegt. Ich hatte nicht zuviel erwartet.“

      „Sire! Sie sprechen gut: fahren Sie fort. Ihr Großstallmeister blickt inzwischen nach meiner Schwester aus.“ Wobei sie sich in die Halle zurückzog. Der König folgte.

      „Sie sind Diana!“ rief er und stellte sich erstaunt. „Um so besser. Sie sind frei. Wir werden uns verstehen.“ Schlag um Schlag sagte sie:

      „Ich bin niemals ganz frei. Wer mich aber verstehen wollte, müßte erfahren sein. Wissen Sie wohl, wie viele Frauen er gekannt haben müßte? Achtundzwanzig.“

      Genau so viele Geliebte sollte der König gehabt haben, flüchtige Bekanntschaften nicht mitgerechnet. Sie wußte Bescheid und zeigte ihren Witz.

      „Sehr gut“, bemerkte auch er, und dachte daran, dem Fräulein eine Verabredung anzubieten. In demselben Augenblick sah er auf dem Podest der Treppe eine Gestalt erscheinen.

      Ihr Fuß schwebte hernieder zu der höchsten der Stufen. Ihr Samtkleid war grün und schwankte im Reifen. Oben fiel der Schein des nahen Abends ein, darin erglänzte das goldene Haargeflecht, und die eingewobenen Perlen schimmerten. Der König tat eine Bewegung vorwärts, stockte sogleich, und die Arme sanken ihm an den Seiten hin. Alles kam von dem nie geahnten Zauber der Herniedersteigenden. ,Sie macht es wie eine Fee, wie eine Königin’ — dachte der König, als hätte er nicht häßliche Königinnen gekannt, aber er fühlte sich im Märchen. ,Wie gut, daß sie es als Fee und Königin doch kindlich unbedacht macht!‘ Eine ihrer Hände lag an ihrer Perlenschnur, über das Geländer glitt die andere — und wie ein Körper sich niedersenkt und herabläßt, jeder Schritt dies Wunder von Gehaltenheit, Gelöstheit, Spannung, Größe, alles in einem: der König hatte es nie gesehen. Er hatte noch nicht schreiten gesehen.

      Er stand im Schatten, sie wußte es nicht oder suchte ihn doch nicht. Bellegarde hatte sie verfehlt, er war voreilig über den falschen Treppenarm geeilt: sie lachte ihn aus, sie wendete den Hals, eine Regung lebhaft und naiv. Ja, sie vergaß sich und sprang zwei Stufen hinauf, sie wäre zu ihrem Geliebten gelaufen. Ein Zeichen von ihm hielt sie wohl auf, sie setzte ihr strahlendes Schreiten fort. Der König erwartete sie nicht, er war rückwärts gewichen. Als sie unten ankam, befand er sich außerhalb des Portals.

      Aus der Mitte seines Leibes stieg, äußerst schnell, ein Schluchzen auf, und im Hals angelangt, verhinderte es ihn zu sprechen. Da Gabriele d’Estrées ihm zugeführt wurde, war er stumm. Der Großstallmeister ließ die Hand des jungen Mädchens los, er erschrak. Sofort war ihm klar, was er getan hatte. Der König hatte die Sprache verloren, er erschien getroffen, erschüttert — entsetzt, mußte Bellegarde denken, und betrachtete das Gesicht seiner Freundin, ob es nicht in das Haupt der Medusa verwandelt wäre. Sie war aber ein Mädchen geblieben wie andere, gewiß schöner als andere, was Bellegarde am besten wußte. Sein Besitzerstolz verhinderte ihn nicht, den Eindruck, den sie auf den König machte, übertrieben zu finden, abgesehen davon, daß er gefährlich war.

      Gabriele senkte vor dem König ihre braunen Wimpern, sie waren lang und beschatteten die hellen Wangen. Kein Blick oder Lächeln erlaubte dem König, ihre bescheidene Haltung für unecht zu befinden. Hier wollte eine Frau ihm weder gefallen noch von ihm beachtet werden, als ob eine weiß und blonde Göttin beiseite stehen könnte. War es ihr bewußt? Dann war es ihr gleichgültig. Der König seufzte, er bat die himmlische Erscheinung, sich seinetwegen keinen Zwang aufzuerlegen, und machte eine Bewegung nach seinem Großstallmeister. Dieser nahm die Hand des Fräuleins und führte es wenige Schritte weiter, wo an der Mauer noch Rosen sich entblätterten.

      Diana sagte: „Sire! Jetzt werden Sie für alle meine Vorzüge blind sein, aber ich bin eine gute Schwester.“

      Er fragte hastig, ob außer ihnen beiden niemand zu Hause wäre. Sie antwortete, nein, und ihr Vater wäre ausgeritten ihre Tante aber machte mit der Kutsche einen Besuch. „Ihre Tante?“ Er hob die Brauen. „Madame de Sourdis“, sagte sie, und mehr brauchte es auch nicht: er kannte sein Königreich genau. Madame de Sourdis, Schwester der durchgegangenen Mutter Gabrieles und selbst galant.