Jupp Heynckes & die Bayern. Detlef Vetten. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Detlef Vetten
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783730704240
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die Scheibe nicht mehr gerade, sie gleitet ihm fast aus den verkrampften Fingern. So wuchtet er sie nach oben und steht mit gequältem Gesicht unter Dohas Sonne.

      Ein Mann, der ein Stück Metall über seinen Kopf hebt: Das kennt man doch. Das kennt man gerade von einem wie Martínez. Normalerweise ist das Metall edel und zu einem Pokal oder einer Schale verarbeitet. Und Martinez lacht wie einer, dem die Welt geschenkt worden ist. An diesem Mittwoch im Januar hält er mit letzter Kraft nur eine Eisenscheibe hoch. Und zum Lachen gibt’s auch keinen Grund.

      Am Samstagabend treffen die Bayern im Freundschaftsspiel auf das Team von Al-Ahli. Sie gewinnen mit 6:0. Ein Tor erzielt der Neue. Flanke James, Kopfball Wagner – Tor! So ist’s recht. Sandro Wagner ist hochzufrieden. In der Winterpause haben die Bayern-Bosse den Hünen eingekauft – er ist ein Mittelstürmer mit Fortune und soll vor allem für den Fall Sicherheit geben, dass der unersetzliche Robert Lewandowski verletzt ist.

      Nun also ist der Pole in München geblieben, und Wagner macht gleich mal seinen Job. Er ist immer gefährlich, scheitert dreimal an einem exzellenten Torhüter, trifft einmal die Querlatte, dann köpft er ins Tor.

      Super!, sagen Trainer und Kollegen. Den Mann kann man brauchen.

      Jérôme Boateng: „Ich glaube, dass wir einen guten Stürmer bekommen haben. Er ist sehr ehrgeizig und gibt Gas.“

      David Alaba: „Ich glaube, dass er sich schon sehr wohlfühlt. Er hat sich super eingefügt.“

      Jupp Heynckes: „Sandro hat sich wirklich sehr gut eingegliedert. Er war sehr aktiv, hat sich in den Trainingseinheiten immer wieder positiv gezeigt. Ich finde, dass er für uns noch ein wichtiger Spieler werden kann.“

      Okay, so darf’s weitergehen: „Nach einer harten Trainingswoche mit sehr intensiven Einheiten war das heute ein ordentlicher Test, denke ich“, resümiert Wagner nach dem 6:0. „Wir hatten gute Spielzüge, alle sind gesund geblieben. Mit der nötigen Frische hätten wir noch das eine oder andere Tor mehr machen können.“

      Er ist, erklärt er, rundum glücklich: „Ich habe beim FC Bayern das Fußballspielen gelernt, dann ging es mal rauf und mal runter. Dass ich noch einmal bei den Bayern landen würde, dass ich jetzt mit 30 sogar Nationalspieler sein würde – das habe ich nicht mal geträumt.“

      Der gebürtige Münchner ist als Fußballer in der Tat ordentlich Achterbahn gefahren: FC Bayern München, zweite und erste Mannschaft. MSV Duisburg. Werder Bremen, erste und zweite Mannschaft. Kaiserslautern. Hertha BSC Berlin, Erste und Zweite. Darmstadt. Hoffenheim. Und jetzt, 2018, FC Bayern München. „Ja, das ist echt ein Traum. Ich habe ein gutes Leben. Und Herr Heynckes ist für mich wie eine Vaterfigur.“

      Gegen Ende des Trainingslagers muss der Neue beim Abendessen singen. So ist das Usus bei den Bayern. Mal sehen, wie sich der Novize beim Karaoke blamiert.

      Wagner singt nicht, er knödelt. Sehr musikalisch ist er nicht. Aber loyal. Und der Refrain des Songs, den sich der Kerl ausgesucht hat, ist toll: „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht.“

      Das finden sie geil, die anderen. Jupp Heynckes schmunzelt.

      Zurück in Deutschland gibt’s einen Tag frei. Dann ist Endspurt der Rückrundenvorbereitung. Mats Hummels (Adduktorenprobleme) und Robert Lewandowski (Patellasehnenprobleme) stoßen zur Mannschaft. Hummels ist, zusätzlich zur abklingenden Verletzung, ein wenig abgelenkt. Seine Frau wird in den nächsten Tagen ihr erstes Baby bekommen. Das macht den Profi nervöser als ein Pokalspiel.

      Letzter Test gegen die SG Sonnenhof Großaspach. 5:3 gewonnen, Ribéry schießt drei Tore.

      Letzte Pressekonferenz vor der Rückrunde. Heynckes ist prima gelaunt. Er warnt, was soll er sonst wohl machen: „Seit zwölf Spielen hat Leverkusen nicht mehr verloren. Das ist eine junge, hochtalentierte, hungrige, schnelle Mannschaft, die auch viel Fantasie hat. Ein hartes Spiel wird das – mit vielen Zutaten, die den Fußball attraktiv machen. Es ist schon ein Auftakt, der es in sich hat, der prickelnd und schwierig ist.“

      Heynckes grinst (übrigens: Der Mann müsste mal zum Friseur, das silbergraue, nach hinten gekämmte Haar gerät aus der Fasson). Er ist gerade gefragt worden, ob er keinen Bammel vor der Statistik habe; schließlich hätten die Bayern seit Jahren nicht mehr in Leverkusen gepunktet.

      Der Bayern-Trainer wird zum Schelm: „Den letzten Bayern-Sieg in Leverkusen, wer hat den errungen? Wer war da Trainer?“ Die Herrschaften von der Presse schweigen, worauf der Jupp die Frage selbst beantwortet: „Das war ich. Warum soll ich da Bammel haben?“

      Als er mit der Mannschaft in den Katakomben der Arena verschwindet, ist vom Schelm nichts übrig. Jupp Heynckes ist im Fight-Modus, genau wie seine Spieler.

      Auf der Ehrentribüne lockert Präsident Hoeneß den Fanschal.

      Die Gladiatoren laufen ein, machen sich ein letztes Mal warm. Hoeneß sieht hinunter auf die teuren Akteure: die Ersatzspieler und die elf Männer, die Heynckes ins Gefecht schickt.

      Vor einem Vierteljahr war das noch ein Haufen außergewöhnlicher Fußballer, die nicht so recht zusammenzupassen schienen. Die zum Teil verunsichert waren, die ihre Laufwege vergessen hatten, die nicht mehr an geile Spiele glaubten. Nun hat sie dieser Jupp zu einem Trupp von Sieg-Söldnern geschweißt. Sie klatschen sich ab und machen sich an die Arbeit.

      Die erste Bayern-Elf 2018:

      Sven Ulreich. Manuel Neuer, der beste Torhüter der Welt, ist noch immer nicht gesund, quält sich durch eine knüppelharte Reha. Sein Stellvertreter Sven Ulreich spielt klasse. Jupp Heynckes mag seine nüchternen, effizienten Auftritte. Und der Trainer schätzt die Intelligenz Ulreichs. Der weiß, dass sein Freund Neuer unerreichbar ist. „Manu hat einfach eine Gabe, die brutal ist. Er antizipiert die Bälle extrem früh. Manu ist auf einer anderen Ebene als alle anderen Torhüter auf der Welt.“ Aber solange er, Ulreich, den Job bei Bayern machen darf, genießt er’s. Macht keine Fehler, ist einer der Besten der Liga. Hält sogar Elfer, die der Neuer nicht pariert hätte. Die Fans haben Vertrauen, er hat ein gesundes Selbstvertrauen: „Fußball ist so schnelllebig. An einem Tag bist du der Depp, am anderen kannst du der Held sein. Wichtig ist, dass du weißt, du hast ein gutes Spiel gemacht, ohne in der Bewertung zu übertreiben. Man muss immer die Kirche im Dorf lassen.“

      Rafinha, bürgerlich Marcio Rafael Ferreira de Souza, geboren 1985 im brasilianischen Londrina. Friedlicher Zeitgenosse, mit dem Mann kann man nicht streiten. Keine Allüren, keine Extrawürste, ein zuverlässiger Dienstleister, in der Abwehr wie auch im Aufbauspiel. Die Bosse mögen den Rechtsverteidiger sehr. „Rafinha ist für uns ein wichtiger Spieler auf dem Platz, aber auch ein sehr beliebter Mensch in der Kabine“, sagt Karl-Heinz Rummenigge. Und Rafinha? Macht eine gänzlich unkomplizierte Liebeserklärung: „Der FC Bayern ist für mich wie eine zweite Familie und einer der besten Vereine der Welt. Hier kann ein Fußballprofi alt werden. Hier möchte ich noch so viele Titel wie möglich gewinnen.“

      Jérôme Boateng. Weltmeister. Einer, der eine Abwehr versichert mit seinem Können. Fehler sind ihm fremd. Schlägt Pässe, wenn es sein muss, bis zum Mond. Ein ruhiger Zeitgenosse. Bildet sich nichts auf sich ein – auch wenn er einen Modefimmel kultiviert und mit Werbung viel Zugeld verdient. Hatte mit Verletzungen an der Schulter und am Oberschenkel zu tun, nun will er wieder der Alte werden. Vergisst allmählich die letzten Tage unter Trainer Ancelotti, vor allem die Momente vor dem Spiel in Paris. „Wir saßen im Besprechungsraum, und fünf von uns wurde dann anderthalb Stunden vor dem Spiel gesagt, dass wir nicht spielen, plötzlich und ohne jede Erklärung“, schildert Boateng den denkwürdigen Tag: „Die betreffenden Spieler waren geschockt, das kann man schon sagen.“

      Niklas Süle, ungarische Wurzeln, gradlinig, auf dem Platz ein harter Brocken. „Du musst versuchen, du selbst zu bleiben. Das Wichtigste ist für mich, dass alles respektvoll abläuft. Man sollte sich nie verstellen, sondern einen guten Job machen und nicht künstlich werden.“

      David Alaba. Kommt aus Wien, hat’s manchmal mit Selbstzweifeln. Stiller Kollege, der ohne Alkohol feiern kann wie ein Volltrunkener. Sein Vater George, Musiker aus Nigeria, sagt: