Alles am Auto, oder genauer gesagt, nur eines der Dinge hier am Auto, würde bei mir normalerweise einen Brechreiz auslösen. Ich hasse hässliche Sachen. Alle hässlichen Sachen. Ich vertrage es nicht, wenn etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Das spüre ich körperlich. Ich weiß, dass meine Kollegen und besonders meine Untergebenen, hinter vorgehaltener Hand darüber reden, wie perfektionistisch ich bin. Aber sie wissen auch, dass das sie nichts angeht. Das ist meine eigene Sache.
Als ich etwas schnell um eine Ecke fahre, höre ich hinten im Auto ein dumpfes Geräusch.
Ich müsste eigentlich jede Sekunde in diesem Auto hassen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich in jeder anderen Situation übergeben würde. Aber die ist nicht „jede andere Situation“, dies nicht. Ich habe nichts abgetrocknet, bevor ich mich hineingesetzt habe. Ich habe nicht daran gedacht, den Stoff des Rocks so weit wie möglich herunterzuziehen, damit meine Haut nicht etwas Ekliges berührt. Ich habe gar keinen Rock an. Ich habe meinen schönen kleinen Hintern in den klammen, von der Sonne aufgewärmten Sitz geklemmt, nur mit sehr kurzen Shorts bekleidet. Ich ließ die Hände über die Seiten des Lenkrads gleiten. Konnte spüren, wie glatt es an einigen Stellen war. Verschlissen von den groben und verschwitzen Händen übergewichtiger Arbeiter. Als ich sie vor mir sah, kitzelten die Nackenhärchen. Es waren ungewaschene, schmutzige Männerhände. Ich atme durch die Nase, ziehe die Luft tief in die Lungen. Kein Brechreiz. Ich bekomme Lust ein Lied zu summen. Was ich sonst nicht mache.
Ich halte an einer roten Ampel. Ich fahre aus der Stadt heraus. Hier im Industriegebiet ist weniger Verkehr. Es ist nicht mehr weit. Ich schließe die Augen und lasse die Sonne mein Gesicht wärmen. Ich suche und finde den Schalter, mit dem ich die Scheibe öffnen kann. Ich öffne die Augen und stütze meinen Unterarm auf der offenen Scheibe ab. Wie butch von mir, denke ich. Ich lächele leicht. Bevor die Ampel auf Grün umspringt, klopft es hinten wieder. Dieses Mal ist es nicht nur ein einzelnes Geräusch. Es ist ein rhythmisches und viel zu lautes Geräusch. Ich schaue in den Außenspiegel. Sehe mich an der Kreuzung um. Dort steht ein grauer Lastwagen, der rechts an der roten Ampel hält. Kann er es hören? Sonst ist hier niemand. Die Ampel springt von Rot auf Gelb. Ich warte nicht, bis es Grün wird. Während es hinten laut ist, beschleunige ich den Transporter so stark ich kann, ohne dass es verdächtig wirkt. Zumindest versuche ich es. Dann hüpft die alte Karre eineinhalb Meter und geht aus. Ich summe nicht mehr. Von hinten kommt Krach. Ich schwitze. Ich schiele zum Lastwagenfahrer, während ich versuche, den Motor anzulassen. Er lächelt. Ich winke ihm hektisch zu, während ich versuche zu lächeln. Er winkt zurück. Das Auto springt an. Ich fahre zitternd von dannen.
Ich kann hier nicht so herumfahren. Hier draußen gibt es nicht viele Menschen, aber es reicht, wenn einer die Polizei ruft. Ich brauche einen ruhigen Ort, an dem ich die Situation unter Kontrolle haben kann. Ich sehe mich um, während ich langsam weiterfahre. Ich sehe eine kleinere Straße die Straße kreuzen, auf der ich fahre. Ich biege in sie ein, weg von der von Google Maps vorgeschlagenen Route. Etwas weiter sehe ich auf der rechten Seite, was ich suche. Eine Gasse zwischen zwei hohen, fensterlosen Fabrikwänden. Ich fahre 50 Meter in den Schatten der Gasse hinein und parke. Als der Motor abgestellt ist, hört sich der Lärm hinten ohrenbetäubend an. Ich löse den Sicherheitsgurt, lehne mich über den Beifahrersitz, wo meine Nike-Tasche steht. Ich öffne den Reißverschluss, suche ein bisschen in der Tasche und hole meinen 19-Zoll Streetwise Barbarian LED hervor, eine Kombination aus Taschenlampe, Elektroschocker und Knüppel. Ich mag es, dass er so schwer ist. Ich steige aus. Die Kälte im Schatten der alten Wände überrascht mich. Ich bekomme an den Armen und zwischen den Schulterblättern Gänsehaut. Ich schalte den Elektroschocker ein. Gleichzeitig schalte ich die 180 Lumen starke Taschenlampe ein. Ein kleiner Druck und das Licht ist wieder aus. Ich habe ihn in der Hand und lasse ihn an der Seite herunterhängen. Ich bin stolz darauf, wie nonchalant ich das Biest halte. Ich bin jetzt ruhig. Er wird mich nicht überraschen. Das hier ist mein Tag, denke ich, während ich hinten die Autotüren öffne. Dafür, dass er jetzt schon ein paar Stunden hier liegt, ist er überraschend sauber und ordentlich. Er ahnt, dass er vielleicht eine Chance hat zu entkommen. Oder zumindest, dass dies seine größte Chance ist. Seine Füße sind zusammengebunden, ebenso seine Hände. Sein Angriff auf mich ist kläglich. Ich schlag ihm vorsichtig auf den Oberarm. Das soll bedeuten „ruhig liegen“. Er gehorcht. Ich lasse ihn meinen Elektroschocker auch an seinem Bein spüren. Sein Gewicht. Er liegt völlig regungslos. Dann versucht er, nach mir zu treten, trifft aber nicht. Dafür treffe ich. Ich schlage ihm auf das Schienbein. Er versucht es noch einmal. Ich schlage ihm auf das andere Bein. Es schmerzt, das tun zu müssen. Sie haben mir versprochen, dass er bewusstlos ist, bis ich ankomme. Aber sie haben mir gesagt, dass das keine exakte Wissenschaft ist und mir diesen Elektroschocker gegeben. Ich kann hören, dass er versucht, unter dem Gaffa-Tape und dem über seinen Kopf gezogenen Leinensack nicht laut zu stöhnen. Dann ist es still. Ich kann es nicht lassen. Ich versuche es nicht einmal, es zu lassen. Ich ziehe den Elektroschocker über seine Beine. Er zittert etwas und ich halte den Atem an. Dann verpasse ich ihm einen Stoß. Sein ganzer Körper spannt sich an. Ich schalte den Elektroschocker aus. Er bricht auf dem Teppich des Autos zusammen. Ich habe Lust den Sack abzunehmen. Mit den Fingern durch seine kurzen, struppigen Haare zu fahren. Ich mache es nicht und das macht mich stolz. Jetzt habe ich die Ruhe anzukommen. Ich habe es getan. Ich sehe ihn mir an. Er sieht gut aus. Muskulös, braun, gut proportioniert. Er sieht für einen Rugbyspieler zu anspruchsvoll aus, selbst in Unterwäsche. Ich atme tief ein, schließe leise die Tür, setze mich wieder hinters Steuer, lassen den Wagen an und fange an zu summen. Ich mache alles richtig. Ich bin so glücklich!
Als ich wieder auf der Google Maps-Route bin, schalte ich das Radio ein. Ich tanze ein wenig auf dem Sitz meines Königreiches einer todblauen Karre zu Musik, die ich weder kenne noch leiden kann. 18 Minuten bis zum Ziel. Mir geht es gut.
Als ich bei dem verlassenen Lagergebäude ankomme, dessen Adresse sie mir vergangene Woche geschickt haben, schließe ich das Tor auf. Ich muss das ganze Gewicht meines kleinen Körpers einsetzen, um es so weit zu öffnen, dass ich mit dem Auto hineinfahren kann.
Als ich damals die Halle gesehen hatte, habe ich sie angerufen und das alles hier in Gang gesetzt. Sie strahlt den Verfall aus, den Leute versuchen in ihren Wohnungen zu imitieren. Den Verfall, auf dem Rom gebaut ist. Oder Florenz. Farbe, die auf natürliche Weise abblättert. Putz, der aus Altersgründen die Steine loslässt. Dies ist wohl der einzige Verfall, den ich aushalte. Der Verfall, der viele Jahrzehnte benötigt hat, den ich verlassen und wieder besuchen kann. Dazu kommt die Größe des Raumes. Als ich hier nur war, um ihn zu inspizieren, bin ich in die Mitte gegangen. Ich konnte spüren, wie mich der Platz aufsog. Es ist ein hoher, rechteckiger Raum. Über die ganze Länge des Raumes verläuft ein steil geneigtes Glasdach. Die hohen, schmalen Scheiben, die sich zum Licht und zueinander recken, sind über einem alten Betongeländer aus kleinen Fliesen mit einem Kreuz darin angebracht. Ein Relikt aus einer Zeit, in der man auch Lagerhallen verziert hat. Unter den Scheiben und dem Gelände verläuft, ebenfalls über die ganze Länge der Halle, eine graue Stahlkonstruktion, die alle zehn Meter zu den Seitenwänden verläuft. An dem Tag war es später Nachmittag. Die Sonne stand auf den Scheiben, sie hat im ganzen Raum Schatten erzeugt. Tausend Quadratmeter Gitter. Wie passend, habe ich gedacht. Jetzt ist es Vormittag. Es gibt keine Schatten, aber viel Licht. Hier staubt es, aber nicht viel für ein verlassenes Gebäude. Die Halle ist bis auf einen dunkelgrünen Arbeitstisch in der Mitte und ein Regal, das ein paar Meter entfernt steht, leer. Tisch und Regal haben ein seltsames maritimes Thema. An dem gelben Regal ist ein blaues Netz aufgehängt. Ein Anker und weitere Netze unter dem Tisch. Es ist nicht lange her, dass andere den Ort genutzt haben. Das sticht in meinem Zwerchfell. Das sollte mein Ort sein, nur unser Ort. Ich schäme mich dafür, dass ich so reagiert habe. Meine Gedankengänge werden von Motorengeräuschen draußen am Tor unterbrochen. Sie wissen, was sie tun müssen. Ich habe keine Lust sie zu sehen. Ich nehme meine Tasche aus dem Auto und betrete etwas, was früher mal ein Büro gewesen ist. Die Zeit, die es braucht, denke ich. Der Gedanke, dass das Ganze viel zu schnell vorbei sein würde, hat in den vergangenen Tagen an mir genagt, als ich mich auf den Tag gefreut und mich vor ihm gefürchtet habe. Jetzt. Die Zeit, die es braucht,