Den 1. Oktober.
Ich ging und besah mir die Stadt in mancherlei Rücksichten, und da es eben Sonntag war, fiel mir die große Unreinlichkeit der Straßen auf, worüber ich meine Betrachtungen anstellen musste. Es ist wohl eine Art von Polizei in diesem Artikel, die Leute schieben den Kehrig in die Ecken, auch sehe ich große Schiffe hin und wider fahren, die an manchen Orten stille liegen und das Kehrig mitnehmen, Leute von den Inseln umher, welche des Düngers bedürfen; aber es ist in diesen Anstalten weder Folge noch Strenge, und desto unverzeihlicher die Unreinlichkeit der Stadt, da sie ganz zur Reinlichkeit angelegt worden, so gut als irgendeine holländische.
Alle Straßen sind geplattet, selbst die entferntesten Quartiere wenigstens mit Backsteinen auf der hohen Kante ausgesetzt, wo es nötig, in der Mitte ein wenig erhaben, an der Seite Vertiefungen, das Wasser aufzufassen und in bedeckte Kanäle zu leiten. Noch andere architektonische Vorrichtungen der ersten wohlüberdachten Anlage zeugen von der Absicht trefflicher Baumeister, Venedig zu der reinsten Stadt zu machen, wie sie die sonderbarste ist. Ich konnte nicht unterlassen, gleich im Spazierengehen eine Anordnung deshalb zu entwerfen und einem Polizeivorsteher, dem es Ernst wäre, in Gedanken vorzuarbeiten. So hat man immer Trieb und Lust, vor fremden Türen zu kehren.
Den 2. Oktober 1786.
Vor allem eilte ich in die Carità: ich hatte in des Palladio Werken gefunden, dass er hier ein Klostergebäude angegeben, in welchem er die Privatwohnung der reichen und gastfreien Alten darzustellen gedachte. Der sowohl im Ganzen als in seinen einzelnen Teilen trefflich gezeichnete Plan machte mir unendliche Freude, und ich hoffte ein Wunderwerk zu finden; aber ach! es ist kaum der zehnte Teil ausgeführt; doch auch dieser Teil seines himmlischen Genius würdig, eine Vollkommenheit in der Anlage und eine Genauigkeit in der Ausführung, die ich noch nicht kannte. Jahrelang sollte man in Betrachtung so eines Werks zubringen. Mich dünkt, ich habe nichts Höheres, nichts Vollkommneres gesehen, und glaube, dass ich mich nicht irre. Denke man sich aber auch den trefflichen Künstler, mit dem innern Sinn fürs Große und Gefällige geboren, der erst mit unglaublicher Mühe sich an den Alten heranbildet, um sie alsdann durch sich wiederherzustellen. Dieser findet Gelegenheit, einen Lieblingsgedanken auszuführen, ein Kloster, so vielen Mönchen zur Wohnung, so vielen Fremden zur Herberge bestimmt, nach der Form eines antiken Privatgebäudes aufzurichten.
Die Kirche stand schon, aus ihr tritt man in ein Atrium von korinthischen Säulen, man ist entzückt und vergisst auf einmal alles Pfaffentum. An der einen Seite findet man die Sakristei, an der andern ein Kapitelzimmer, daneben die schönste Wendeltreppe von der Welt, mit offener, weiter Spindel, die steinernen Stufen in die Wand gemauert und so geschichtet, dass eine die andere trägt; man wird nicht müde, sie auf- und abzusteigen; wie schön sie geraten sei, kann man daraus abnehmen, dass sie Palladio selbst für wohlgeraten angibt. Aus dem Vorhof tritt man in den innern großen Hof. Von dem Gebäude, das ihn umgeben sollte, ist leider nur die linke Seite aufgeführt, drei Säulenordnungen übereinander, auf der Erde Hallen, im ersten Stock ein Bogengang vor den Zellen hin, der obere Stock Mauer mit Fenstern. Doch diese Beschreibung muss durch den Anblick der Risse gestärkt werden. Nun ein Wort von der Ausführung.
Nur die Häupter und Füße der Säulen und die Schlusssteine der Bogen sind von gehauenem Stein, das Übrige alles, ich darf nicht sagen von Backsteinen, sondern von gebranntem Ton. Solche Ziegeln kenne ich gar nicht. Fries und Karnies sind auch daraus, die Glieder der Bogen gleichfalls, alles teilweise gebrannt, und das Gebäude zuletzt nur mit wenig Kalk zusammengesetzt. Es steht wie aus einem Guss. Wäre das Ganze fertig geworden, und man sähe es reinlich abgerieben und gefärbt, es müsste ein himmlischer Anblick sein.
Jedoch die Anlage war zu groß, wie bei so manchem Gebäude der neuern Zeit. Der Künstler hatte nicht nur vorausgesetzt, dass man das jetzige Kloster abreißen, sondern auch anstoßende Nachbarshäuser kaufen werde, und da mögen Geld und Lust ausgegangen sein. Du liebes Schicksal, dass du so manche Dummheit begünstigt und verewigt hast, warum ließest du dieses Werk nicht zustande kommen!
Den 3. Oktober.
Die Kirche Il Redentore, ein schönes, großes Werk von Palladio, die Fassade lobenswürdiger als die von St. Giorgio. Diese mehrmals in Kupfer gestochenen Werke müsste man vor sich sehen, um das Gesagte verdeutlichen zu können. Hier nur wenige Worte.
Palladio war durchaus von der Existenz der Alten durchdrungen und fühlte die Kleinheit und Enge seiner Zeit wie ein großer Mensch, der sich nicht hingeben, sondern das Übrige soviel als möglich nach seinen edlen Begriffen umbilden will. Er war unzufrieden, wie ich aus gelinder Wendung seines Buches schließe, dass man bei christlichen Kirchen nach der Form der alten Basiliken zu bauen fortfahre, er suchte deshalb seine heiligen Gebäude der alten Tempelform zu nähern; daher entstanden gewisse Unschicklichkeiten, die mir bei Il Redentore glücklich beseitigt, bei St. Giorgio aber zu auffallend erscheinen. Volkmann sagt etwas davon, trifft aber den Nagel nicht auf den Kopf.
Inwendig ist Il Redentore gleichfalls köstlich, alles, auch die Zeichnung der Altäre, von Palladio; leider die Nischen, die mit Statuen ausgefüllt werden sollten, prangen mit flachen, ausgeschnittenen, gemalten Brettfiguren.
Den 3. Oktober.
Dem heiligen Franziskus zu Ehren hatten die Patres Capucini einen Seitenaltar mächtig ausgeputzt; man sah nichts von Stein als die korinthischen Kapitäle; alles Übrige schien mit einer geschmackvollen prächtigen Stickerei nach Art der Arabesken überzogen, und zwar so artig, als man nur etwas zu sehen wünschte. Besonders wunderte ich mich über die breiten, goldgestickten Ranken und Laubwerke. Ich ging näher und fand einen recht hübschen Betrug. Alles, was ich für Gold gehalten hatte, war breit gedrücktes Stroh, nach schönen Zeichnungen auf Papier geklebt, der Grund mit lebhaften Farben angestrichen, und das so mannigfaltig und geschmackvoll, dass dieser Spaß, dessen Material gar nichts wert war, und der wahrscheinlich im Kloster selbst ausgeführt wurde, mehrere tausend Taler müsste gekostet haben, wenn er echt hätte sein sollen. Man könnte es gelegentlich wohl nachahmen.
Auf einem Uferdamme im Angesicht des Wassers bemerkte ich schon einigemal einen geringen Kerl, welcher einer größern oder kleinern Anzahl von Zuhörern im venezianischen Dialekt Geschichten erzählte; ich kann leider nichts davon verstehen, es lacht aber kein Mensch, nur selten lächelt das Auditorium, das meist aus der ganz niedern Klasse besteht. Auch hat der Mann nichts Auffallendes noch Lächerliches in seiner Art, vielmehr etwas sehr Gesetztes, zugleich eine bewunderungswürdige Mannigfaltigkeit und Präzision, welche auf Kunst und Nachdenken hinwiesen, in seinen Gebärden.
Den 3. Oktober.
Den Plan in der Hand suchte ich mich durch die wunderlichsten Irrgänge bis zur Kirche der Mendicanti zu finden. Hier ist das Konservatorium, welches gegenwärtig den meisten Beifall hat. Die Frauenzimmer führten ein Oratorium hinter dem Gitter auf, die Kirche war voll Zuhörer, die Musik sehr schön, und herrliche Stimmen. Ein Alt sang den König Saul, die Hauptperson des Gedichtes. Von einer solchen Stimme hatte ich gar keinen Begriff; einige Stellen der Musik waren unendlich schön, der Text vollkommen singbar, so italienisch Latein, dass man an manchen Stellen lachen muss; die Musik aber findet hier ein weites Feld.
Es wäre ein trefflicher Genuss gewesen, wenn nicht der vermaledeite Kapellmeister den Takt mit einer Rolle Noten wider das Gitter und so unverschämt geklappt hätte, als habe er mit Schuljungen zu tun, die er eben unterrichtete; und die Mädchen hatten das Stück oft wiederholt, sein Klatschen war ganz unnötig und zerstörte allen Eindruck, nicht anders, als wenn einer, um uns eine schöne Statue begreiflich zu machen, ihr Scharlachläppchen auf die Gelenke klebte. Der fremde Schall hebt alle Harmonie auf. Das ist nun ein Musiker, und er hört es nicht, oder er will vielmehr, dass man seine Gegenwart durch eine Unschicklichkeit vernehmen soll, da es besser wäre, er ließe seinen Wert an der