Der Richter schickte hierauf seine Mutter wieder zurück und zwei Frauen zu ihrer Begleitung, denen er heimlich Befehl gegeben, auf alles genau achtzugeben und ihm wieder zu sagen, was bei seiner Mutter geschehen würde. Sobald sie bei sich angelangt war, ließ sie den Beichtvater holen, und erzählte ihm Wort für Wort, was sich bei ihrem Sohne zugetragen, und alles was Merlin gesprochen hatte. Darüber entsetzte sich der Beichtvater gewaltig und konnte kein Wort hervorbringen. Er ging auch sogleich, ohne Abschied von ihr zu nehmen, aus der Stadt hinaus und gerade zum Fluß hin, denn er dachte, geblendet vom Satan und verzweifelnd, der Richter würde ihn gefangennehmen und schimpflich hinrichten lassen. Er zog also vor, sich selber den Tod zu geben, stürzte sich in den Fluß und ertrank.
Als der Richter dies von den beiden Frauen erfuhr, war er erstaunt, ging sogleich zu Merlin und sagte ihm, er habe wahr gesagt. »Ich lüge niemals«, erwiderte ihm Merlin, »aber ich bitte Dich, gehe zu dem frommen Einsiedler, Meister Blasius, und teile ihm diese Nachricht mit.« Der Richter tat es sogleich, worauf Merlin, seine Mutter und ihr Beichtvater Meister Blasius sich in Frieden zurück begaben zu ihrer Behausung.
VI. Über Begebenheiten, die Merlin dem Einsiedler Blasius in die Feder diktierte
Meister Blasius war ein frommer und sehr gelehrter Mann, der Gott von ganzem Herzen diente. Es erstaunte ihn, das Kind Merlin so weissagen zu hören und solchen übermenschlichen Geist bei ihm wahrzunehmen. Er war im Herzen über diese Seltsamkeit bekümmert und suchte auf allerhand Art Merlin hierüber auszufragen, um die Ursache davon zu erforschen. »Meister Blasius«, fing Merlin endlich an, »ich bitte Dich, gib Dir keine Mühe, mich zu erforschen, denn je mehr Du mich wirst reden hören, desto mehr Ursache wirst Du finden zu erstaunen; beruhige Dich, glaube mir, und tue was ich Dich heißen werde.« – »Wie soll ich Dir glauben«, erwiderte Blasius; »sagtest Du nicht selbst, Du wärst ein Kind des Teufels? Wenn ich dies nun glaube, so wie ich es wirklich glaube, muß ich dann nicht fürchten, daß Du mich täuschst und hintergehst?« – »Sieh«, sagte Merlin, »es ist die Macht der Gewohnheit aller bösen Gemüter, daß sie eher das Böse glauben und annehmen als das Gute. Der Böse sieht nichts als Böses, so wie der Gute nur das Gute sieht.«
Er erklärte ihm darauf das Geheimnis seiner Erzeugung, und wie der Teufel durch sich selber betrogen worden, indem er ihn in dem Leib einer gottgeweihten und reinen Jungfrau erzeugt habe. »Jetzt aber«, fuhr er fort, »höre mich und tue, was ich Dir sagen werde. Verfertige ein Buch, darin Du alle Dinge aufschreiben sollst, die ich Dir vorsagen werde. Allen Menschen, die künftig das Buch lesen werden, wird es eine große Wohltat sein, denn es wird sie bessern und sie vor Sünden bewahren.« – »Sehr gern«, sagte Blasius, »will ich das Buch auf Dein Wort, und nach Deinem Worte verfertigen, ich beschwöre Dich aber zuerst im Namen Gottes, der Dreieinigkeit und aller Heiligen, daß Du mich nichts schreiben läßt, was dem Willen und den Geboten unsers Herrn Jesu Christi entgegen ist.« – »Ich schwöre Dir«, sagte Merlin. »Nun so bin ich bereit«, erwiderte Blasius, »von ganzem Herzen und ganzer Seele zu schreiben, was Du mir befiehlst, ich habe auch Tinte und Pergament, und alles, was zu einem solchen Werke nötig ist.«
Nachdem er alles bereitgelegt, fing Merlin an, ihm vorzusagen; zuerst die Freundschaft von Christus und Joseph von Arimathia, wie auch von Adalam und de Perron und den anderen Gefährten, so wie es sich mit ihnen zugetragen, so wie auch das Ende des Joseph und aller anderen. Nach alledem sagte er ihm die Geschichte und die Ursache seiner wunderbaren Erzeugung vor, mit allen Umständen, so wie wir sie hier vor uns haben.
Blasius war immer mehr erstaunt über die wunderbaren Dinge, die er von Merlin vernahm; die Worte, die er schreiben mußte, dünkten ihm alle gut und wundervoll, und er schrieb eifrig fort. Als sie aber recht mit dem Werk beschäftigt waren, sagte Merlin eines Tages zu ihm: »Meister, es steht Dir große Not bei Deinem Werk bevor, mir selber aber eine noch weit größere.« – »Wie das?« fragte Blasius. »Man wird mich«, antwortete Merlin, »nach dem Abendland holen kommen; diejenigen aber, die von ihrem Herrn mich zu holen gesandt werden, haben ihm mit einem Eid zugesagt, mich zu erschlagen und ihm mein Blut zu überbringen. Sie werden jedoch, so bald sie mich gesehen und mich reden gehört, keine Lust haben, mir Übles zu tun; ich werde alsdenn mit ihnen gehen. Du aber begib Dich von hier weg, und zu denen hin, die das Gefäß des Heiligen Gral besitzen; sei aber stets bemüht, die Bücher weiter zu schreiben.
Diese Bücher werden immer und zu jeder Zeit gern von allen gelesen werden, aber man wird ihnen nicht glauben, weil Du kein Apostel Christi bist; denn diese Apostel schrieben nichts auf, als was sie mit eignen Augen sahen, mit ihren Ohren hörten, Du aber schreibst bloß das, was ich Dir sage. Und eben so, wie ich den Leuten jetzt verborgen und unbekannt bin, gegen welche ich mich nun rechtfertigen muß, eben so werden es wohl auch diese Bücher bleiben, nur wenige Menschen werden sie erkennen und Dir Dank dafür wissen. Auch das Buch von Joseph von Arimathia nimm mit Dir. Wenn Du einst Dein Werk vollendet haben wirst, muß dieses Buch von Joseph mit dazugehören; diese beiden Bücher zusammen werden ein schönes und herrliches Werk ausmachen. Diejenigen, die es künftig lesen und verstehen, werden uns für unsre Mühe segnen. Alle Gespräche und die eigentlichen Worte zwischen Christus und Joseph von Arimathia sage ich Dir nicht, die gehören nicht hierher.«
VII. Wie Vortigern durch Ränke und Listen zur Macht kam
Zur selben Zeit regierte ein König, namens Constans. Wir erwähnen nichts von den Königen, die vor ihm regierten; wer aber ihre Anzahl und ihre Geschichte zu wissen verlangt, der muß die Historia von Bretagna lesen, welche Brutus genannt wird; Meister Martin von Glocester hat sie aus dem Lateinischen in die romanische Sprache übertragen.
König Constans hatte drei Söhne, die hießen Moines, Uter und Pendragon. Auch lebte in seinem Lande ein Mann, namens Vortigern, ein sehr tapfrer und mächtiger Ritter von großem Ansehen. Als König Constans starb, beratschlagte das Volk sich, wen es zum Nachfolger erwählen sollte; der größte Teil des Volkes wie die meisten Edlen waren dafür, den Moines, ältesten Sohn des verstorbenen Königs, zu erwählen, ungeachtet er noch ein Kind war; ihm aber, und keinem andern gehörte das Reich von Rechts wegen; Vortigern, als der Mächtigste und Verständigste im Lande, war derselben Meinung. Der junge Moines wurde also zum König und Vortigern einstimmig zu seinem Seneschall ernannt.
Damals war das Reich im Kriege mit den Heiden; sie kamen von Rom und von anderen Seiten her, verheerten das Land und bekriegten die Christen. Vortigern aber regierte das Reich nach eigener Willkür, ohne sich des jungen Königs anzunehmen; der war noch zu unverständig und zu kindlich, um sich selbst raten zu können. Nachdem Vortigern sich nun des ganzen Regiments bemächtigt, so daß ihm niemand entgegen sein durfte und das ganze Reich nur von ihm abhing, wurde er hochmütig und geldgeizig, bekümmerte sich weder um den König noch um das Land, denn er wußte wohl, daß niemand als er etwas unternehmen oder ausführen konnte; er zog sich von allem zurück und lebte bloß für sich. Die Heiden versammelten, als sie diese Nachricht über den Seneschall erhielten, sogleich ein großes Heer und fielen damit in das Land der Christen ein. König Moines ward sehr bestürzt, daß sein Seneschall das Regiment wie auch das Heer verlassen und sich zurückgezogen hatte; in seiner Bestürzung begab er sich sogleich zu ihm hin und bat ihn flehentlich, doch das Heer wieder gegen den Feind anzuführen. Vortigern aber entschuldigte sich mit seinem hohen Alter, das ihm nicht mehr erlaube, in den Krieg zu ziehen noch sich der Regierungsgeschäfte viel anzunehmen. »Nehmt«, sprach er zum König, »einen andern zu Eurem geheimen Rat; Euer Volk haßt mich, weil ich stets zu sehr auf Euern Vorteil bedacht war; erwählt also einen unter ihnen und übergebt ihm mein Amt, denn ich will nichts