Reiterhof Dreililien 5 - Alte Lieder singt der Wind. Ursula Isbel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Isbel
Издательство: Bookwire
Серия: Reiterhof Dreililien
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788726219623
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und nach seinem Vater den hochtrabenden Namen „Arbo von Trostberg“ trug.

      Arbo von Trostberg, der Zwerg, lag noch im Stroh neben seiner Mutter und döste. Wir öffneten die Boxtür, und Mikesch führte Rapunzel auf die Stallgasse. Sie folgte ihm höchst widerwillig und sah immer wieder in die Box zurück. Erst als ihr Fohlen sich auf die wackligen Beine stellte und ihr eilig nachtorkelte, war sie bereit, mitzukommen.

      Wir brachten die beiden aus dem Stall. Ein paar Stuten wieherten entrüstet. Es gefiel ihnen wohl nicht, daß Rapunzel schon hinaus durfte, während sie weiter in ihren Boxen stehen mußten. Zwerg, das schmächtige braune Hengstfohlen, hielt sich dicht neben seiner Mutter.

      Als wir die Tür zum Schafstall öffneten und Rapunzel hineinführten, stieß sie ein kurzes, schrilles Gewieher aus: Sie hatte Nofret gesehen.

      Zum erstenmal seit vielen Stunden spitzte Nofret die Ohren. Sie antwortete mit einem kläglichen Laut, und Mikesch führte Rapunzel samt Nachwuchs langsam und vorsichtig zu ihr. Zum Glück vertrugen sich die beiden Stuten für gewöhnlich gut – was durchaus nicht bei allen der Fall war –, so daß man sie unbedenklich zusammenbringen konnte.

      Wir sorgten dafür, daß das Fohlen zwischen Nofret und Rapunzel stand. Ich bekam vor Aufregung kalte Hände, während ich beobachtete, wie Nofret beim Anblick des Fohlens zu zittern begann. Plötzlich versuchte sie sich aufzurichten.

      „Dr. Hofbauer hat gesagt, sie muß liegenbleiben!“ flüsterte ich Mikesch erschrocken zu. Er aber schüttelte nur den Kopf und winkte ab.

      Ohne den Blick von Rapunzels Fohlen zu wenden, richtete sich Nofret auf. Ein Schauder ging über ihre Flanken, als sie das dünne kleine Wesen beschnupperte.

      Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Mikesch faßte nach meinem Handgelenk und drückte es. Da sah ich, daß Nofret das Fohlen zu belecken begann – zärtlich und mit mütterlicher Gründlichkeit. Sie hatte es angenommen! Und Rapunzel, die danebenstand und zusah, schien das ganz in Ordnung zu finden.

      Wenige Minuten später hatte der Zwerg den Kopf gesenkt, stieß die Nase an Nofrets Bauch und fing an zu trinken – so, als wäre das die natürlichste und selbstverständlichste Sache der Welt. Ob das Fohlen selbst auf diesen Einfall gekommen war, oder ob ihm Nofret durch irgendein geheimes, uns Menschen verborgenes Zeichen zu verstehen gegeben hatte, daß es trinken sollte, konnte ich nicht sagen. Doch das war ja auch nicht wichtig – Hauptsache, es trank; und Nofret säugte es und vergaß darüber ihren Verlust. Hauptsache, Rapunzel ließ zu, daß ihr Fohlen eine zweite Mutter bekam, eine Art Amme. Vorerst zeigte sie jedenfalls keine Eifersucht, sondern steckte die Nase in den Hafereimer, den Helge noch am Vortag eigens für Nofret hergebracht hatte.

      Nofrets Kopf war gesenkt. Doch sie sah nicht länger teilnahmslos und erbarmungswürdig aus; sie schien sich zu entspannen und das weiche Maul an ihrem Gesäuge zu genießen wie etwas, worauf sie lange gewartet hatte. Das Fohlen schmatzte glückselig, und ich dachte, daß der Zwerg bald kein Zwerg mehr sein würde, jetzt, wo er zwei Mütter hatte.

      3

      Schon bald stand Nofret zusammen mit anderen Mutterstuten und ihren Fohlen auf der kleinen Koppel beim Birkenwäldchen und teilte sich mit Rapunzel in die mütterlichen Pflichten. Nun bekam der Zwerg von zwei Seiten mahnende Püffe, wenn er zu übermütig wurde, dafür aber auch Milch und Zärtlichkeiten im Überfluß. Zwischen den beiden Stuten herrschte schönste Eintracht – es gab weder Streit um Besitzansprüche noch um Erziehungsfragen.

      „Wenn das so weitergeht, wird aus dem Zwerg bald ein Paradehengst“, meinte Matty. „Ich hoffe bloß, ihm platzt nicht vorher der Bauch.“

      Doch Mikesch erklärte lachend, von etwas Gutem bekäme man nicht so leicht zuviel, und so war es auch. Der Zwerg wuchs und gedieh mit unglaublicher Geschwindigkeit und genoß es offensichtlich, zwei Mütter zu haben. Und mit der Zeit hörten wir auf, ihn Zwerg zu nennen und tauften ihn statt dessen „Superman“.

      Inzwischen wurden die Spätsommertage sacht und fast unmerklich zu Herbsttagen. Morgens gab es die ersten Bodennebel; sie wehten wie geisterhafte Schleier vom Waldsaum herüber und lagerten auf den Koppeln. Im Gras und in den Brombeerbüschen hingen die Fäden des Indianersommers, voll von Tauperlen, die in der Morgensonne glitzerten. Tagsüber jedoch war es noch warm, mit jenem klaren, stillen Himmel, wie man ihn nur im Herbst findet, mit dem schweren Geruch umgepflügter Erde und den abgezirkelten Schwärmen der Zugvögel, die sich auf ihren Weg nach Süden machten.

      Nachts erwachte ich manchmal vom Plumpsen herabfallender Äpfel, die dann am nächsten Tag eingesammelt werden mußten. Die weniger schönen, verhutzelten oder wurmstichigen kamen nach Dreililien in die Futterkammer, wo sie für die Pferde gelagert wurden.

      Pilze gab es auch in unseren Wäldern und auf den Wiesen – Champignons und Semmelstoppelpilze, Braunkappen und sogar noch Steinpilze. Doch die glücklichen Zeiten, in denen ich mit Jörn zwischen Schule und Stallarbeit zum „Schwammerlsuchen“ durch die Wälder gestreift war, waren vorüber.

      Helge arbeitete nun in seiner Freizeit öfter im Gemüsegarten des Kavaliershäusls. Ich traute meinen Augen kaum, als ich eines Nachmittags von der Schule zurückkam und sah, wie er Kirstys Salatbeet umstach, dampfenden Pferdemist aus der Schubkarre lud und mit der Mistgabel über die Erde breitete.

      „Wie hast du das bloß geschafft?“ fragte ich Kirsty, die gerade in der Küche saß und Kathrinchen davon abhielt, Spinat an die Zimmerdecke zu schleudern. „Der tut doch sonst nie, etwas freiwillig!“

      „Meinst du Helge?“ Sie sah mich erstaunt an. „Ich glaube, du schätzt ihn da ein bißchen falsch ein, Nell. Er kam heute vormittag dazu, wie ich Mist von Dreililien holen wollte. Da hat er ganz einfach gesagt, er hätte heute seinen freien Nachmittag und würde für mich im Gemüsegarten arbeiten.“

      „Einfach so?“ Ich starrte sie fassungslos an.

      „Ja, einfach so. Das Angebot hab ich natürlich gern angenommen. Dafür kann er jederzeit zu mir zum Töpfern kommen, wenn er mag, und braucht auch für den Ton nichts zu bezahlen.“

      Es geschahen noch Zeichen und Wunder. Helge, der sich für gewöhnlich um nichts kümmerte als um seine eigene Person und notfalls noch um die Pferde, tat freiwillig etwas für einen anderen! Kirsty hatte wohl die richtige Art, mit ihm umzugehen, freundlich und ohne Vorurteile, Sie meinte weder, sie müßte ihn mit Samthandschuhen anfassen, nur weil er eine schwere Kindheit und Jugend hinter sich hatte und schon früh straffällig geworden war, noch ließ sie sich von seiner oft mürrischen, mißtrauischen Art einschüchtern oder reizen.

      Eine halbe Stunde später lehnten die beiden am Gartenzaun und unterhielten sich über biologischen Gartenbau. Durch das offene Küchenfenster hörte ich einen Teil ihres Gesprächs mit und wunderte mich, wie gut Helge auf diesem Gebiet Bescheid wußte. Sie redeten von Kompostierung, Gründüngung, Kräuterjauche, der Bedeutung von Regenwürmern (die ich bisher nie für besonders bedeutsam gehalten hatte) und dem Zusammenhang zwischen Mondphasen und Pflanzzeiten.

      Schließlich war ich so beeindruckt, daß ich den Kopf aus dem Fenster streckte und sagte: „Hör mal, Helge, woher zum Teufel weißt du das bloß alles?“

      „Hab mich damit beschäftigt“, gab er herablassend zurück.

      Ich verbiß mir eine grobe Entgegnung. Er hatte es noch immer nicht gelernt, normal und freundlich auf eine normale, freundliche Frage zu antworten. Hinter fast allem, was man zu ihm sagte, vermutete er einen versteckten Angriff auf seine Person. Dieses Mißtrauen saß so tief, daß es mir manchmal unausrottbar zu sein schien.

      Kirsty sagte in ihrer ruhigen Art: „Eigentlich ist das ein Thema, über das wir alle Bescheid wissen müßten — besonders die Bauern. Sonst werden wir eines Tages an den Giften sterben, die in unserer Nahrung sind, und der chemische Dünger wird alles Leben in unseren Böden vernichten. Es ist schlimm genüg, daß wir uns nicht gegen den sauren Regen schützen können. Wer weiß, wie lange unsere Wälder hier noch gesund sein werden. Und wie seine Wirkung auf Obst und Gemüse ist und damit wiederum auf uns, wird sich wohl erst in vielen Jahren heraussteilen. Die Gifte, mit denen wir so sorglos umgehen,