Reiterhof Dreililien 5 - Alte Lieder singt der Wind. Ursula Isbel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Isbel
Издательство: Bookwire
Серия: Reiterhof Dreililien
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788726219623
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      Ursula Isbel

      Reiterhof Dreililien – Alte Lieder singt der Wind

      Saga

      Reiterhof Dreililien – Alte Lieder singt der WindCover Bild: Shutterstock Copyright © 1995, 2019 Ursula Isbel und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726219623

      1. Ebook-Auflage, 2019

       Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

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      1

      Noch war Sommer und eine von jenen glücklichen Stunden, in denen ich in der Hängematte lag und durch das Gewirr von Blättern und reifenden Äpfeln zum Himmel aufsah, wo auf blauem Grund blaßrosa Wölkchen segelten und Lerchen ihre schwirrenden Kreise zogen. Noch summten Bienen im Rosenspalier am Haus, und die goldenen Köpfe der Sonnenblumen leuchteten vom Garten herüber.

      Das Beste aber waren die Geräusche – die leisen, friedlichen Laute von den Koppeln; und dazu der Geruch nach Pferden und frischem Heu, den der Wind mir zutrug.

      Ich hatte mein Tagebuch mit in den Garten gebracht, aber ich schrieb nichts hinein. Dabei hätte es so vieles nachzutragen gegeben, vor allem über die letzte Ferienwoche, in der ich mit Jörn zusammen nach Amsterdam gefahren war. Doch jetzt, wo die Schule wieder angefangen hatte, waren solche Hängemattenstunden selten und kostbar. Ich konnte sie nur richtig genießen, wenn ich einfach faulenzte.

      Ich streckte die Nase in den Wind, schnupperte nach den Pferden und dachte an Jörn. Heute abend sollte ich ihn im Krankenhaus in Rosenheim abholen, wo er vor einer Woche seinen Zivildienst begonnen hatte. Wir wollten ins Kino gehen. Auch das war ein seltener Luxus, denn meistens fehlte es uns an Geld für solche Abwechslungen. Außerdem waren wir abends für gewöhnlich viel zu müde von der Stallarbeit, um noch in die Stadt zu fahren.

      Aus dem Kavaliershäusl erklang Kindergeschrei, und beim Schuppen begann mein Vater Holz zu hacken. Die Stille, die sachten, verträumten Spätsommergeräusche, gingen in den hallenden Schlägen unter; doch auch das gehörte zu unserem Leben auf dem Land.

      Ich schaukelte mit der Hängematte hin und her und beobachtete aus halbgeschlossenen Augen, wie Kirsty aus dem Haus kam, mit wirren Haaren und einer fleckigen Schürze. Sie kochte gerade Zwetschgenmarmelade ein und war in den süßen Duft des gezuckerten Fruchtmuses eingehüllt.

      „Gut, daß du hier bist, Nell!“ sagte sie seufzend, als sie mich entdeckte. „Ich dachte, du wärst nach Dreililien gegangen. Könntest du dich mal eine Weile um Kathrinchen kümmern? Ich hab gehofft, ich könnte ungestört einmachen, während sie ihren Mittagsschlaf hält, aber natürlich ist sie früher als sonst aufgewacht und hat es irgendwie geschafft, sich von der Eckbank aus ein Glas Marmelade vom Tisch zu angeln. Das Zeug war noch heiß, und sie hat sich von oben bis unten bekleckert und geschrien wie am Spieß, weil ich mir erlaubt habe, sie unters Wasser zu halten. Jetzt brauche ich ein armes Opfer, das sie für eine halbe Stunde ablenkt, bis ich mit der Marmelade fertig bin.“

      „Mache ich“, sagte ich großzügig und stieg aus der Hängematte. Es kam nicht oft vor, daß Kirsty mich bat, ihr Kathrinchen, meine Stiefschwester, abzunehmen; außerdem aß ich hausgemachte Marmelade für mein Leben gern.

      Kathrinchen lag nackt auf dem Küchenteppich und fuchtelte mit Armen und Beinen. In ihren spärlichen Haaren klebten Spuren von Zwetschgenmus. Herr Alois, Kirstys wuscheliger brauner Hund, saß mit besorgtem Gesicht daneben.

      Ich hob Kathrinchen hoch und sagte: „Jetzt legen wir uns in die Hängematte und schaukeln ein bißchen, ja?“

      Für gewöhnlich lachte Kathrinchen wie ein Kobold, wenn sie mich sah, aber heute hatte sie offenbar ihren schlechten Tag. Sie verzog den Mund, und ich wiegte sie rasch hin und her, weil alle Zeichen darauf hindeuteten, daß sie gleich zu schreien anfangen würde.

      Kirsty seufzte wieder. „Wenn sie jetzt noch mal losbrüllt, lege ich sie in ein Binsenkörbchen und setze sie auf dem Waldweiher aus“, sagte sie.

      Ich mußte lachen. Kathrinchen, die ihre Stirn schon in Falten gelegt hatte, sah mich verdutzt an und steckte den Daumen in den Mund.

      Ich sagte: „Die Drohung hat gewirkt. Sie gibt keinen Mucks von sich.“

      „Vielleicht hält sie bloß die Luft an, damit sie hinterher um so länger und lauter schreien kann.“

      Herr Alois folgte mir eifersüchtig zur Tür. Seit einiger Zeit schien er es für seine Pflicht zu halten, Kathrinchen vor allen möglichen eingebildeten Gefahren zu beschützen.

      Kirsty rief mir nach: „Aber setz sie lieber auf die Wiese, sie hat keine Windeln an. Sonst pinkelt sie dich noch voll oder so.“

      Ich wußte, was sie mit „oder so“ meinte. Die Hängemattenstunde war also endgültig vorüber. Ich legte Kathrinchen ins sonnenbeschienene Gras, ließ mich neben ihr nieder und sah zu, wie sie gelenkig ihren großen Zeh in den Mund nahm.

      „Daß du so was kannst!“ sagte ich.

      Sie schenkte mir ein verträumtes Lächeln. Ihre gute Laune war wiederhergestellt. Kathrinchen liebte es, ohne Windeln und sonstiges hinderliches Verpackungsmaterial im Garten zu sitzen, Käfern und Spinnen nachzukrabbeln und sie gelegentlich auch in den Mund zu stecken.

      Ein Schmetterling kam geflattert und kreiste in taumelndem Flug über uns. Kathrinchen betrachtete ihn aus großen, erstaunten Augen. Da sprang Herr Alois ganz plötzlich mit wildem Gebell auf und raste mit fliegenden Ohren zur Gartenpforte.

      „Überfall!“ sagte ich. Kathrinchen ließ vor Schreck ihren Zeh los, und der Schmetterling flatterte davon.

      Mattys Kopf tauchte zwischen der Haselnußhecke auf. Herr Alois wedelte und sprang mit freudigem Gekläff an der Pforte hoch. Seine Begeisterung galt jedoch nicht so sehr Matty, den er nur flüchtig begrüßte; denn er lief aus dem Garten, um Ausschau nach Diana zu halten, der gefleckten Jagdhündin von Dreililien.

      „Die sitzt an der Wegkreuzung und wartet auf Jörn“, sagte Matty, während er auf uns zukam. „Sie kann immer noch nicht begreifen, weshalb Jörn nicht hier ist, wenn wir anderen zu Hause sind.“

      Ich dachte, daß es mir ähnlich ging. Auch ich konnte mich nur schwer an Jörns häufige Abwesenheit gewöhnen. Und es versetzte mir jedesmal einen Stich, wenn ich nachmittags von der Schule zurückkam und Diana an der Wegkreuzung warten sah, mit hängenden Ohren und kummervollen Augen.

      Matty ließ sich neben mir im Gras nieder. Seine Haare waren in diesem Sommer wieder ein Stück gewachsen; er trug sie jetzt meist im Nacken zusammengebunden. Auch sein sonnengebräuntes Gesicht hatte sich verändert. Die Nase war unversehens ein Stück größer geworden und sah ein bißchen unförmig aus. Der Mund hatte ebenfalls eine andere Form angenommen, war schmäler und fester geworden. Irgendwie paßte in seinem Gesicht nichts mehr so recht zusammen... „Wie ein Hefeteig, der am Aufgehen ist“, hatte Kirsty einmal gesagt.

      Auch Matty seufzte, obwohl er keine Marmelade einkochen mußte. Während er sich über Kathrinchen beugte und sie am Kinn kitzelte, murmelte er: „Mikesch hat sich abgeseilt.“

      „Was?“ sagte ich.

      „In die Stadt ist er gefahren. Ich glaube, heute hatte er mal wirklich die Schnauze voll.“

      „Kein Wunder“, sagte ich. „Aber was ist denn passiert? Gab’s Stunk mit den Reitschülern?“

      „Sozusagen.“ Matty ließ es zu, daß Kathrinchen an seinem ziemlich schmutzigen Zeigefinger kaute. „Es war wegen Anja.“

      „Anja?“ wiederholte ich. „Die kommt doch sonst immer nur sonntags.“

      „Diesmal ist sie heute schon aufgetaucht, weil sie morgen angeblich mit ihren Eltern nach Berlin fliegt oder sonst was. Jedenfalls, sie raucht ja seit neuestem, und heute hat sie es doch tatsächlich fertiggebracht,