Von Pilzen und anderen Menschen. Cecily von Hundt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cecily von Hundt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783709939413
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mit Cox Orange und saftigen Birnen, und im französischen Garten, wie er ihn nannte, schlängelten sich durch wilde Rotdornbüsche weiße Kieselwege an kleinen Tümpeln vorbei. In der Mitte lag ein großer Weiher mit saftigen Seerosen und schattigen Trauerweiden. Das war der unberührte Teil, den ich besonders liebte. Der zweite Grund, warum es mich ins Grüne zog, war der, daß ich dort meine Ruhe hatte. Abgesehen von Papa, bevorzugte meine Familie die warmen, weichen Sessel im Haus. Sie mochten keine frische Luft oder duftende Blumen. Die Frösche im Teich ekelten sie, der Staub auf den Wegen machte ihre Schuhe schmutzig und abgesehen davon benahmen sich die kleinen Tierchen alle miteinander ungehörig und fügten ihnen rote Schwellungen zu, die kratzten und juckten. Ich nahm ihnen das nicht weiter übel. Hatte meine Mutter oder später Josephine das Gefühl, sie müßten etwas für ihren Teint tun, wies ich sie auf ihre von der Sonne ausgebleichten Haare hin. Das genügte im Normalfall schon, und ich war sie los. Als Kind verbrachte ich die meiste Zeit auf dem Balkon, der zum Garten hinaus lag. Ich versteckte mich hinter den Gitterstäben, von wo aus man den ganzen Park überblicken konnte, die dunkelgrünen, fleischigen Rhododendronrabatten, die sich an das Haus schmiegten und die scharf gemähten Rasenflächen, die an jeder Ecke mit feisten, weißen Putti bestückt waren. Ich sah auf Aline, das junge, schwarze Kindermädchen aus Seattle, und zählte, wie oft sie um das Haus lief, um mich zu suchen, und jedes Mal, wenn sie in mein Blickfeld kam, malte ich mit Mamas Lippenstift einen Strich auf den Balkonboden. An guten Tagen kam ich auf achtzehn.

      „Miss Emma, Sie werden schon sehen, was Sie davon haben, wenn Sie jetzt nicht sofort zum Vorschein kommen.“ Das sagte sie immer und sie wußte, daß es mich nicht beeindruckte. Doch beide wußten wir, daß sie mich nicht fangen würde, ich war zu jung und zu flink, und sie zu faul und zu dick. Ich wartete so lange, bis sie um die Ecke gekeucht war, und schlüpfte dann leise in das kühle Treppenhaus. Auf dem geschwungenen, schmiedeeisernen Treppengeländer konnte man perfekt rutschen. Als kleines Kind brach ich mir dabei den linken Fuß, doch da niemand Notiz davon nahm, rutschte ich weiter, bis ich verheiratet war. Wichtig war, so schnell zu rutschen, daß man mit dem linken Fuß die Balance in der Luft halten konnte und sich mit dem rechten am Geländer entlang gleiten ließ; wurde man ängstlich und zögerte, fiel man zwangsläufig. Ich war jedoch so gut, daß ich Zeit meines Lebens bedauere, daß es für Treppengeländerrutschen keinen Wettbewerb gibt. Ich wußte, keiner hätte mich schlagen können. Beim Aufkommen mußte der dunkelbraune, polierte Treppenabsatz genau getroffen werden. Schnell, mit nackten Füßen über den kalten Marmorfußboden und raschem Blick in den Spiegel im Vorzimmer, ob Mama oder Papa mich entdecken würden, floh ich mit gesenktem Kopf nach draußen ins Freie. Hatte ich diesen Gang geschafft, kletterte ich die große Hängebuche hinauf, die hundert Meter vom Haus entfernt stand. Von dort aus hatte man den besten Ausblick auf unser prächtiges, verleugnetes, englisches Herrenhaus mit seinen spitzen Giebeln und dem Efeu, der sich um die großen Fenster rankte. Ich liebte ihn, aber Mama sagte, er müsse weg, er zerstöre den Stein. Doch ich wußte, für solche praktische Dinge war sie zu vergeßlich.

      Wenn ich an meine Mutter denke, dann denke ich vor allem an ihre Krankheiten, die sie regelmäßig befielen und zu ihren hervorstechendsten Eigenschaften gehörten.

      Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie meine schöne Mutter in ihrem großen, weißen Holzbett lag, dessen Kopf- und Fußende mit blauem Damast bespannt waren. Die Wände des Schlafzimmers waren weiß gestrichen, mit Stuck abgesetzt und die dunkelroten Samtvorhänge die meiste Zeit des Tages zugezogen.

      Ich durfte nicht laut mit ihr reden, sie war sehr empfindlich in bezug auf Geräusche und vor allem in bezug auf mich.

      „Du klingst wie ein Reibeisen, Emma“, sagte sie immer. „Sprich so wenig wie möglich.“ So wußte ich nicht genau, was ich in ihrem Krankenzimmer sollte, wenn Aline mich in diesen Tagen gegen die Mittagszeit an der Hand nahm und mich zu ihr führte. Ich saß an ihrem Bett und hörte ihr ergeben zu, wie sie mir Ratschläge gab. Sie waren immer von der gleichen Art: ich solle mich nicht schmutzig machen, höflich gegenüber Aline und den anderen Angestellten sein, nicht auf die Hängebuche klettern und fleißig zum lieben Gott beten, daß er mich später hübsch werden läßt. Ich protestierte nicht. Nachdem sie geendet hatte, küßte ich sie auf ihre weiße, kühle Wange und nutzte die Gelegenheit, wenn Aline nicht in der Nähe war, mir beim Hinausgehen einen ihrer Lippenstifte von der Kommode zu angeln, um meine Vorräte auf dem Balkon aufzufrischen. Ich war eine ordentliche Person. Es waren der Dienstag und der Donnerstag, an denen ich ihr entkommen konnte. Noch heute sind diese Tage irgendwie die schönsten Tage in der Woche. Dann kamen die Wilson-Schwestern. Sie kamen nicht wirklich zu Besuch. Sie waren anders als die hell gekleideten, blassen Freundinnen meiner Mutter, und sie hatten keine Angst vor meinen schmutzigen Fingern. In ihrer Gesellschaft, bei ihren roten Haaren und teigigen Gesichtern fühlte ich mich wohl. Anette, die ältere von beiden, hatte das ganze Gesicht mit Sommersprossen übersät, und beide hatten sie große schiefe Nasen, die immer glänzten, selbst an den trübsten, dunkelsten Herbsttagen.

      „Die kleine Emma wird hübsch werden“, sagten sie regelmäßig, wenn sie mich sahen, und sie taten so, als wäre das verwunderlich.

      „Natürlich werde ich das.“

      „Deine Mutter sagt etwas anderes.“

      Das wußte ich, aber es trübte meine Überzeugung nicht. Es war klar, daß ich eine schöne Frau werden würde. Denn das brauchte man, damit man geliebt wurde, das hatte ich schnell begriffen. „Sie sieht nicht gut“, erklärte ich ernsthaft, „sie hat von Geburt an sehr schlechte Augen, das weiß nur niemand.“

      „Ach wirklich?“ Annie, die zweite Schwester, mit zwei unterschiedlich großen Brüsten, starrte mich erstaunt an.

      „Wie schlecht?“

      „Sehr schlecht. Ich muß ihr immer vorher Bescheid sagen, wer Sie sind, sie würde Sie sonst nicht erkennen. Außerdem hat sie Angst vor Ihnen.“

      Das stimmte. Es war für Mama eine entsetzliche Vorstellung, es käme zufällig jemand vorbei, wenn die Wilsons da waren.

      „Sie braucht sich nicht vor uns zu fürchten, kleine Emma. Wir sind ihre Freunde.“

      Sie wurden regelmäßig von Dorfpfarrer Mr. Cook geschickt, um meine Mutter zu bekehren, aber jeder im Dorf wußte, daß sie nicht in die Kirche ging. Mit Ausnahme von mir. Mama sagte den häßlichen Wilson-Schwestern immer, ihr würde die Messe in Chesterfield mehr zusagen, sie verabscheue die Katholiken, erklärte sie, sie seien alle Verbrecher. Wie der Zufall es wollte, wurde ich von der Schule in Pfarrer Hockins Firmunterricht geschickt, und als er mir erzählte, er hielte schon lange keine Messen mehr, des bösen Rheumas wegen, wurde mir klar, daß man mich belogen hatte, und daß meine Mutter eine Sünderin war. Die schweren Tage meiner Kindheit waren jedoch diejenigen, an denen meine liebe Mutter auf der Höhe war, wie sie zu sagen pflegte.

      An diesen Tagen floh ich vor ihr und ihrer Stimme, die sonst weinerlich und schwach aus den hellblauen Wolken ihres Kissens emporstieg, aber einen durchdringenden und schneidenden Tonfall bekam, den ich über den frisch gemähten Rasen bis hinauf in mein Versteck in der Hängebuche hören konnte, und die mich rief.

      Und dann begann die Jagd um den ganzen Park herum. Ich flüchtete vor Aline, die auf dicken Beinen mich zu fangen versuchte, und vor Mama, die wie eine Drohne drohend auf der Terrasse saß und uns beide durch die Anlagen hetzte. Erwischte sie mich, wurde ich auf den alten Speicher gesperrt, auf den ich alleine nicht gehen durfte, da meine Eltern Angst hatten, ich könnte mich an den rostigen Nägeln und alten, blinden Spiegeln verletzen. Mit der Angst um meine Person war es nicht mehr weit her, wenn es darum ging, daß ich von der Bildfläche verschwinden sollte. Ich freute mich, denn ich liebte diesen Ort mit den großen, alten Schränken, vollgestopft mit verbogenen Schuhen, mottenzerfressenen Kleidern, alten Büchern und Lampenschirmen. Im Winter war es warm und trocken, und im Sommer kletterte ich durch eine kleine Luke auf das Dach und konnte die Sterne beobachten.

      Soweit ließ es sich leben. Mühsam wurde es erst, wenn ich nicht schnell genug begriff, wenn sie einen ihrer guten Tage hatte. Sie bestellte mich dann, sich an ihre mütterlichen Pflichten erinnernd, in ihr Zimmer und ich mußte ihr vorführen, wie weit meine Gesangstalente gediehen waren, die mir beim besten Willen nicht angedeihen wollten. Sie war entschieden anderer Meinung,